Hagen. . Das Theater Hagen schickt den „Zauberer von Oz“ auf die Bühne. Das Weihnachtsmärchen begeistert mit viel Musik und starken Bildern
Die Vogelscheuche wünscht sich Verstand, der Löwe Mut und der Blechmann ein Herz. Im Theater Hagen wandert das Mädchen Dorothee deshalb jetzt mit ihren Freunden zum „Zauberer von Oz“. Jugendtheater-Leiterin Anja Schöne und ihr Team inszenieren den amerikanischen Kinderbuchklassiker in großen magischen Bildern mit viel Musik und Aktion. Am Ende stellt sich heraus, dass man vollmundigen Versprechungen nicht unbesehen trauen sollte, und dass die Suchenden schon in sich tragen, was sie sich ersehnen.
Der verrückte Musiker-Bus
Ein verrückter Bus dominiert die Bühne. Er sieht aus wie ein Raddampfer, der im viktorianischen Zeitalter gestrandet ist. Lyman Frank Baums Buch „Der Zauberer von Oz“ ist in dieser Epoche erschienen, 1900. Ein riesiges Glasauge mit Zylinder und Segeltuchohren krönt das Gefährt, das dazu dient, der Märchenband eine Plattform zu geben. Denn das Theater Hagen ist ein Opernhaus, und Weihnachtsmärchen werden hier ernst genommen. Sie erhalten eine eigene, selbst komponierte Musik und viel Gesang, und die Zuschauer können sehen, wie die Band spielt. Das ist aufregend für ein Publikum, das oft denkt, Töne kämen aus der Steckdose. Andres Reukauf hat für das Stück Songs geschrieben, die fetzig und nachdenklich zugleich sind, deren Rhythmus in die Beine geht, die aber auch im Lied Erfahrungen beschreiben, die man mit Worten schlecht ausdrücken kann.
Wer ins Weihnachtsmärchen geht, erlebt das Kontrastprogramm zu einem TV-Bildschirm. Regisseurin Anja Schöne und Ausstatterin Sabine Kreiter nutzen die volle Höhe, Breite und Tiefe der Bühne, um zu demonstrieren, was die Illusionsmaschine Theater kann. Dagegen ist ein Monitor einfach nur klein, viereckig und langweilig. Denn der Zauber des Spiels besteht in der Verwandlung. Aus Licht, rollbaren Versatzstücken und ganz viel Phantasie entsteht eine neue Welt als Gegenentwurf zur digitalen Bilderflut.
Der verrückte Bus ist nur einer von vielen Einfällen. Die gute Hexe Nord radelt auf einem Drachenfahrrad daher, und das Mohnfeld schwebt sogar auf einem umgebauten Hochrad heran. Steampunk trifft Poesie, und die Kinder bestaunen mit großen Augen jeden Effekt. Erprobte Theaterbesucher dürfen sich außerdem auf ein Wiedersehen mit der Schrott-Rosinante aus der Oper „Don Quichotte“ freuen, die jetzt als Paketesel zauberische Dienste leistet.
Das Märchen-Ensemble stürzt sich mit Begeisterung in das Abenteuer. Bis zum ersten Weihnachtstag werden Charlotte Wellling (Dorothee), Kristina Günther (Vogelscheuche), Stefan Merten (Blechmann), Andreas Elias Post (Löwe), Emanuele Pazienza (Zauberer) und Elisabeth Emmanouil (böse und gute Hexen) knapp 40 Vorstellungen spielen. Die Darsteller singen, tanzen und purzeln mit Leidenschaft über die Bühne, und sie charakterisieren die Defizite ihrer Figuren punktgenau, aber mit zarter Zuneigung, nicht mit dem dicken Hammer der Klamotte.
Wunderbare Wendungen
Das ältere Publikum muss sich erst an ein Weihnachtsmärchen gewöhnen, das weder von Werner Hahn geschrieben noch von ihm inszeniert worden ist. Doch Anja Schöne hat eine starke künstlerische Handschrift, sie kann die Hagener Märchentradition fortführen. „Ich komme ja nicht so gerne mit der Moralkeule“, sagt die junge Regisseurin. „Mut, Herz und Verstand tun sich zusammen, das ist die Botschaft. Wir zeigen, dass alle Helden Schwächen haben, und dass das in Ordnung ist, weil man sich gegenseitig helfen kann.“
Wer märchenhafte Geschichten mit einem Sinn für unerwartete und wunderbare Wendungen liebt, dem wird der „Zauber von Oz“ gefallen. Die Inszenierung ist komplex und funktioniert auf mehreren Ebenen; Grundschulkinder können genauso viel daraus mit nach Hause nehmen wie Mütter und Väter. Der Erkenntnisgewinn lautet: Wenn alle zusammenhalten und sich sogar trauen, gemeinsam zu singen, dann müssen selbst unfassbar schreckliche Hexen ihre Ohrstöpsel suchen - und der Zauber von Oz beginnt zu wirken.