Hagen/Siegen. Theaterkünstler Werner Hahn lässt sich von Corona nicht entmutigen. Aber er blickt besorgt auf die Notlage der jungen Künstler.

Abend für Abend steht er normalerweise auf oder hinter der Bühne, im Theater Hagen, im Apollo-Theater Siegen, unzählbare Male, über 40 Jahre lang, ein Lebenswerk. In dieser Berufung hat Werner Hahn mehr als 3000 junge Menschen ermächtigt, aus der Magie des Theaters Lebensmut zu gewinnen. Werner Hahn ist der Mann, der Mutmachern Mut macht. Und jetzt? Als wir das erste Interview für die Serie geführt haben, wäre eine Situation wie die heutige nicht einmal vorstellbar gewesen. Der Vorhang bleibt unten. Die Theater sind geschlossen. Corona hat geschafft, was selbst zwei Weltkriege nicht vermochten. Verliert der Mutmacher nun den Mut?

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„Ich bin nicht der Mensch, der nur fordert und erwartet, sondern auch selbst was auf die Beine stellt und voran macht“, schildert Werner Hahn. „Persönlich ist alles darauf ausgelegt, dass sich mein Berufsleben rund macht. Ich lerne gerade, wie ich meinen nächsten Lebensabschnitt, den Ruhestand, strukturiere“, sagt der Schauspieler, Sänger, Regisseur und Autor. Dann bricht er eine Lanze für die Kollegen: „Aber die ganze junge Generation an Künstlern, die hängt wirklich in den Seilen.“

Mit Auszeichnungen gewürdigt

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Werner Hahn hat die Junge Bühne Lutz in Hagen gegründet und leitet das Junge Apollo Siegen. Er gibt denen eine Bühne, die gerne übersehen werden, den Jugendlichen in den abgehängten Stadtteilen, in den Drogenkliniken, in den Flüchtlingsheimen. Er spielt zusammen mit Menschen mit Behinderung Theater. In seiner Freizeit singt er ehrenamtlich in Altersheimen. Seine innovative Arbeit ist vielfach mit Auszeichnungen gewürdigt worden, darunter von Bundespräsident Joachim Gauck mit dem „Kinder-zum Olymp“-Preis, dem deutschen Kultur-Oscar. Das hängt der Österreicher ebenso wenig an die große Glocke wie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Verantwortung zu übernehmen, ist ein wesentlicher Bestandteil von Hahns Mission - und andere wiederum zu motivieren, selbst Verantwortung zu lernen. Deshalb blickt er durchaus mit Sorge auf das, was Corona der Kultur antut. „Diese kreativen jungen Leute, was die im ersten Lockdown alles gemacht haben, um dranzubleiben, da sind viele Künstler grandiose Wege gegangen, etwa mit neuartigen Streamingformaten. Das hat sehr an den Kräften gezehrt. Bei vielen jungen Künstlern kommen inzwischen Existenzsorgen dazu, das geht schon an die Substanz. Und diesen Künstlern muss man wirklich Mut machen.“

Junge Künstler mit dem Rücken zur Wand

Werner Hahn ist einer, der versucht, das ganze Stück zu sehen, nicht nur die einzelne Szene. Deshalb beschwert er sich nicht schnell. Doch ihn ärgert, dass im Theater gerade jene Akteure bei den Corona-Fördermitteln leer ausgehen, die Rücklagen für künftige Projekte gebildet haben, so auch das Siegener Apollo. „Dieses in die Zukunft hinein träumen, das wurde abgestraft, und wir haben Zuwendungen nicht bekommen. Das, was wir in die Zukunft investieren wollten, müssen wir jetzt aufbrauchen. Das ging den vielen jungen Soloselbstständigen und den jungen freien Theatern, die Rücklagen gebildet haben, genauso. Die stehen vor der Wand.“

Doch der Theatermann sieht ebenfalls die andere Seite. „Die Situation ist für alle extrem schwierig, auch für die Politik. Alle sind gefordert, sich zu engagieren, dass Strukturen nicht zusammenbrechen. Auch die Vergabe von Fördermitteln ist eine Situation, wo man Mut macht und zeigt: Hallo, wir denken an Dich. Dass sich die Förderprogramme oft schwer umsetzen lassen, ist eine strukturelle Herausforderung. Wir müssen die Politik beim Wort nehmen, aber mit Nachsicht. Keine Verwaltung kann die Dinge so schnell umsetzen, dass sie allen gerecht wird.“

Glaube an die Kraft des Theaters

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Aus tiefstem Herzen glaubt Werner Hahn an die Kraft des Theaters. Deshalb hofft er innig, dass die Bühnen nach Ostern wieder spielen dürfen, die Hygienekonzepte sind vorhanden, die Stücke stehen. „Wir warten nur auf ein Zeichen. Hauptsache, wir dürfen wieder Kunst machen für das Publikum, das auch wieder Vertrauen gewonnen muss, in einen öffentlichen Raum zu gehen.“

Und dann sagt der Mutmacher so einen Satz, der, wenn er denn verstanden würde, einen Ausweg aus der Krise zeigen könnte: „Wir alle sind die Pandemie.“

Ein Stück für die Westfalenpost

Derzeit schreibt Werner Hahn im Auftrag unserer Zeitung ein interaktives mobiles Theaterstück. Das soll zum 75. Geburtstag der WESTFALENPOST uraufgeführt werden. Damit möchte die Redaktion sich auf neuen, ungewöhnlichen Wegen dem Thema Diversität nähern. „Wir haben gerade eine wichtige Debatte in unserer Gesellschaft über Alltagsrassismus. Ich glaube, dass Kunst die Möglichkeit bietet, das mit ganz wenigen Mitteln aufzulösen. In der Kunst zählt nicht die Schachtel, in der man drin steckt, in der Kunst zählt das Individuum“, so der Autor und Regisseur.

Das Stück „Mücken auf der Haut“ feiert, sobald Corona es zulässt, in der neuen Arena des WP-Pressehauses in Hagen Premiere und geht anschließend auf Tournee. Bestandteil der Inszenierung sind Diskussionen mit dem Publikum. Das Thema ist wichtig, und es ist unbequem, denn so Werner Hahn, „wir dürfen nicht den Fehler machen, dass Frauen nur Frauen spielen dürfen und Schwarze nur Schwarze. Im Theater können wir alles sein, wir können die gesamte Spanne von der Geburt bis zum Tod spielerisch erfahren.“

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