Meschede/Olpe. Nirgends im Handel ist die Digitalisierung so weit fortgeschritten wie im Buchhandel. Wie das bei der Überwindung des Lockdowns hilft
Der krisenerprobte Buchhandel wird angesichts der Corona-Pandemie zur Hoffnung für die Innenstädte. Denn die Buchhändler, die heute noch im Geschäft sind, wissen, wie es geht. Seit mehr als zehn Jahren müssen sie gegen die Marktmacht des US-Handelsriesen Amazon bestehen. Der Überlebensdruck ist gnadenlos. „Wir hatten als erste unter der Digitalisierung zu leiden, und wir haben die Lehren daraus gezogen“, betont Georg Spielmann, Inhaber der Buchhandlung Dreimann und der Bücherstube Hachmann in Olpe. „Keine Branche ist heute so durchdigitalisiert wie der Buchhandel. Und wir sind die Branche, die nach den Apotheken am schnellsten liefert. Das ist ein Pfund, womit der Buchhandel immer schon punkten konnte.“
Im Lockdown haben sich die Kunden ans Online-Einkaufen gewöhnt. Nicht jeder Einzelhändler kann dieses Bedürfnis bedienen. Die digitale Kompetenz der Buchhändler und ihre Service-Kreativität sind häufig als vorbildlich herausgestellt worden. Buchhändler haben ihre Ware zum Kunden gebracht, in dem sie mit Apotheken kooperiert, nach Feierabend mit dem Fahrrad ausgeliefert und kontaktfreie Abholorte eingerichtet haben. Sie haben die Bestellungen per Mail, Telefonanruf, WhatsApp und auf Facebook entgegengenommen. Das rechnete sich wegen des zeitlichen Mehraufwandes betriebswirtschaftlich kaum. Aber es führte dazu, dass die starke Bindung an den Buchhändler des Vertrauens gefestigt werden konnte.
Stammkundschaft hält in Meschede die Treue
„Der Buchhandel ist deshalb so gut durch die Krise gekommen, weil wir das schon so lange machen, die Online-Shops, dem Kunden Service vor Ort zu bieten, das Einkaufserlebnis“, sagt Katrin Föster, die in Meschede, Schmallenberg und Arnsberg die Buchhandlungen WortReich führt. „Dadurch haben wir eine große Stammkundschaft, die uns die Treue gehalten hat. Die Online-Shops haben es geschafft, einen Grundumsatz zu bringen, etwa durch Online bestellen und in der Buchhandlung abholen. Ich habe nie verstanden, dass die Einzelhändler seit 20 Jahren zusehen, was die Buchhändler wegen Amazon unternehmen und sagen: Das brauche ich nicht. Jetzt haben sie gesehen, dass es etwas anderes gibt als die Ladentür zu öffnen und zu warten, dass der Kunde kommt.“
Beide Kanäle, stationär und digital, zu bedienen und zu pflegen, ist für Buchhändler längst selbstverständlich. „Man muss im Netz sichtbar sein. Wenn ich im Netz und in den Sozialen Medien sichtbar bin, kontaktieren die Kunden mich auch, wenn sie eine Jeans suchen. Dann kann man immer eine Lösung finden.“
Auf oder zu? Zeitweise wusste das niemand
Gleichwohl will Katrin Föster ihre Kritik an der Politik in den vergangenen Monaten nicht verschweigen. „Ich habe nicht verstanden, warum im dritten Lockdown der Buchhandel auf Bundesebene als Grundversorgung eingestuft wurde, das Land NRW das Bundesrecht aber nicht in Landesrecht umsetzte. Das war so konfus in NRW. Ich kann jeden Kollegen verstehen, der zeitweise nicht mehr wusste, ob er auf hat oder zu, das war sehr anstrengend.“
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels spricht von 30 Prozent Umsatzeinbruch bis einschließlich April 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Volkswirtin Katrin Föster vermutet, dass das Minus an bestimmten Standorten eher weit höher ausfällt, in Großstadt-Innenstadtlagen etwa, die von der Laufkundschaft abhängig sind oder in Kommunen, die vom Tourismus leben.
Hoffnung in Olpe, dass Kunden den Wert der Innenstadt entdecken
Herausfordernd werden auch die kommenden Monate. Die Kunden haben sich an das Einkaufen im Internet gewöhnt. Man muss ihnen einen Grund bieten, wieder in die Stadt zu gehen. „Corona gibt mir trotz der Hinwendung zum Online-Handel doch Hoffnung, dass die Kunden vor Ort feststellen, welchen Wert eine funktionierende Innenstadt hat“, analysiert Georg Spielmann. „Es müssen jetzt handelsübergreifende Konzepte her, wie man Innenstädte als Erlebnisräume gestalten kann. Die Kommunen leben ja davon, dass der Einzelhandel funktioniert. Es ist im Interesse des Allgemeinwohls, Innenstädte lebendig zu halten.“
Das könne über Mietzuschüsse und günstiges Parken funktionieren, darüber hinaus sei es aber wichtig, eine Gemeinschaftsidee zu entwickeln. „Mein Wunsch ist es, eine über den Handel hinausgehende Diskussion zu starten. Jetzt besteht die Chance, Kultur, Handel und Gastronomie zu verzahnen.“
Hoffen auf Umdenken bei Vermietern
Dazu gehören die Kulturleistungen, die der Buchhandel erbringt in Form von Lesungen und anderen literarischen Veranstaltungen. Spielmann zum Beispiel hat von Harry Rowohlt bis Dan Brown viele internationale Literatur-Größen ins kleine Olpe geholt, derzeit entwickelt er ein neues Lesungskonzept. Auch Katrin Föster hofft, dass es bei den Vermietern ein Umdenken gibt. Sie ist überzeugt: „Jetzt kommt die Stunde der kleinen Buchhandlungen, weil die Kleinen flexibler reagieren können. Das war schon immer die Stärke des inhabergeführten Fachhandels, egal welche Branche.“
Mit regionalen Produkten in Wetter aus der Krise
Ein Mix aus digitaler und stationärer Präsenz sowie ein Schwerpunkt auf regionalen Produkten: So lautet die Idee, mit der Hans-Günter Draht von der Bücherstube Draht in Wetter den Neustart meistern und die Innenstadt wieder neu beleben möchte.
1Wie planen Sie den Neustart?
Wir möchten so schnell wie möglich zur Normalität zurück. Wir setzen dabei auf zwei Standbeine, digital und stationär. Das Internet als zusätzliche Plattform wie ein zweites Schaufenster in der Kundenkommunikation zu nutzen, halte ich für unverzichtbar. Wir sind derzeit dabei, eine Kunden-App zu entwickeln. Die Zeit im Lockdown haben wir genutzt, um unsere Auftritte auf Social Media zu intensivieren. Wir stellen auf Facebook, Twitter und Instagram regelmäßig persönliche Buchempfehlungen vor. Dabei legen wir den Schwerpunkt auf Titel, die uns jenseits der Bestsellerlisten aufgefallen sind.
2Wie kommt nach Corona wieder Leben in die Innenstädte?
Die Verödung der Innenstädte kann man nur auflösen, indem man die örtlichen Netzwerke stärkt. Wir haben z. B. schon vor sieben Jahren einen Feierabendmarkt in der Fußgängerzone angestoßen, mit Livemusik und regionalen Produkten. Zweimal im Jahr stellen wir vor Publikum die Neuerscheinungen vor, in zwei Cafés. Wir lieben es, wenn man mit einem Thema spielen kann. In der Buchhandlung haben wir einen Schwerpunkt mit regionalen Spezialitäten entwickelt, darin sehe ich eine Chance. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir in Wetter eine Markthalle für regionale Produkte etablieren, am besten in Form einer bürgerschaftlichen Genossenschaft. Das Ziel muss eine Stärkung der regionalen Wirtschaft sein. Regionale Netzwerke sind weniger krisenanfällig.
3Kann man mit regionalen Produkten gegen den Onlinehandel ankommen?
Die Geschäftspolitik von Konzernen wie Amazon ist von der Politik bislang viel zu wenig beachtet, geschweige denn verstanden worden. Durch eine lächerlich geringe Besteuerung hat das entscheidend mit zur Verödung der Innenstädte beigetragen. Wenn das Internet eines nicht bieten kann, ist es Atmosphäre. Wenn man in jeder Fußgängerzone die gleichen Filialen sieht, fühlt man sich als Kunde nicht angesprochen. Mit einem regionalen Profil, verbunden mit Aufenthaltsqualität, haben wir eine Chance. Oft können Kleinigkeiten viel bewirken, Beleuchtung, Blumenampeln, Bänke, die zum Müßiggang einladen, Klangsteine. Da müssen wir hinkommen. Jetzt ist die Zeit, diese Dinge anzupacken