Hagen. Laienreanimations-Experte Jens Schilling hofft, dass der Zusammenbruch von Christian Eriksen Menschen wachrüttelt. Erste Reaktionen hat er schon.

Eigentlich wollte Jens Schilling am Samstagabend gemütlich von der Couch aus die Spiele der Fußball-Europameisterschaft verfolgen. Wie Millionen andere Zuschauer musste er beim Spiel zwischen Dänemark und Finnland mit ansehen, wie der Däne Christian Eriksen ohne Fremdeinwirkung zu Boden ging. „Da merkte man sofort an der großen Hektik, dass es ein ernstes medizinisches Problem gibt“, erkannte der Fachkrankenpfleger für Anästhesie im Allgemeinen Krankenhaus Hagen gleich, dass es sich um etwas Schlimmes handeln musste. Bei genauerem Hinsehen wurde es ihm dann klar: „Er hat einen plötzlichen Herztod“, sagte er zu seiner Frau. Und er sollte Recht behalten.

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In Deutschland brechen jährlich 50.000 bis 60.000 Menschen aufgrund eines plötzlichen Herztods zusammen. „Das ist so, als ob jemand den Stecker ziehen würde“, berichtet Schilling. Der Kreislauf fällt rapide auf Null ab, das Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und die Bewusstlosigkeit tritt ein. Bleibt dieser Zusammenbruch unbeobachtet, verstirbt die Person. Doch häufig gibt es Beobachter. Und dann gilt es zu handeln, das fordert auch Schilling, der sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für mehr Handeln einsetzt unter dem Motto: „Laienreanimation kann jeder“. Denn es zählt jede Sekunde: „Der Fall Eriksen macht es noch einmal deutlich: Bis zu dem Zeitpunkt hat er Fußball gespielt und auf einmal bricht er zusammen.“

Doch auch wenn das Herz aufhört zu schlagen, ist im Blut und der Lunge noch Restsauerstoff vorhanden. Und der muss durch den Körper gepumpt werden: „Bei einer Herzdruckmassage kann man sich das vorstellen wie bei einem nassen Schwamm, den man immer wieder zusammendrückt“, veranschaulicht Schilling. Durch den Druck wird im Körper ein Minimalkreislauf aufrecht erhalten und die Gehirnzellen weiterhin versorgt. „Das kann für drei bis fünf Minuten funktionieren. Dann ist auch der Restsauerstoff aufgebraucht“, weiß Schilling.

Zwei Dinge retten Leben

Im Ernstfall kann zweierlei helfen, so der Fachmann aus Hagen: die Herzdruckmassage und ein Defibrillator. Dieser könne die Reizleistung des Herzens auf Null setzen, wodurch sich dieses, beispielsweise nach einem Kammerflimmern, wieder in den normalen Rhythmus bringen ließe.

Wie wichtig direkte Hilfe und schnelles Handeln ist, zeigt auch der Fall bei der Europameisterschaft. Eriksen wurde umgehend betreut und erlangte sein Bewusstsein wieder. Inzwischen meldete sich der Fußball-Profi auch selbst aus dem Krankenhaus und bestätigte, dass es ihm gut gehe.

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Doch kündigt sich das Aussetzten des Herzens an? „Ich bin mir sehr sicher: Könnten wir ihn fragen, so würde er bestimmt sagen, dass er nichts gespürt hat“, sagt Schilling, der schon viele Gespräche mit Betroffenen führte: „Es kündigt sich nicht an, man kann es nicht vorhersehen. Und es trifft Sportler ebenso wie alle anderen.“

Allerdings könne sich das Herz nach einer Reanimation wieder vollständig erholen, auch Leistungssport sei wieder denkbar. Voraussetzung sei, dass die Ursache gefunden und behandelt werde. „Man muss verstehen, was vorgefallen ist und entsprechend reagieren. In manchen Fällen kann ein eingebauter Defibrillator eine Option sein.“ Mit einem solchen spielte auch Daniel Engelbrecht als erster deutscher Profifußballer, nachdem er im Spiel zusammenbrach.

Dänemark als gutes Vorbild

Wenn es nach Jens Schilling geht, wird dem ganzen Thema noch immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Besonders in Dänemark sei man deutlich weiter. „Dort kommt es in über 60 Prozent der Fälle zu einer Laienreanimation. In Deutschland liegen wir gerade einmal zwischen 40 und 45 Prozent.“ Ausschlaggebend dafür sei auch, dass in Skandinavien schon ab der sechsten Schulklasse auf Erste-Hilfe-Kurse und Laienreanimation Wert gelegt werden würde. Genau das wünscht sich der Hagener Schilling auch in Deutschland.

Und er war auf einem guten Weg: „Wir haben Schulklassen besucht, ab der achten Klasse. Es ist so wichtig auch Kinder früh mit dem Thema in Berührung zu bringen.“ Doch Corona grätschte dazwischen, Schulbesuche waren nicht mehr möglich. Dabei sei es so wichtig, den Leuten die Angst zu nehmen: „Man muss es ganz klar sagen: Beim plötzlichen Herztod sind die Menschen in dem Moment tot. Man kann ihnen also nur helfen. Aber dafür muss man reagieren. Man darf keine Angst haben, etwas falsch zu machen. Alles ist erst einmal richtig.“ Zudem gibt es in Deutschland die Telefonreanimation. Wer sich unsicher ist, wird über die Leitstelle angeleitet.

So schlimm die Bilder von Christian Eriksen im Fernsehen waren, so sehr hofft Schilling, dass sie die Menschen wachrütteln, sich weiterzubilden. Erste Reaktionen gibt es schon: „Seit Samstag haben mich schon drei Vereine angerufen, die Schulungen wollen.“