Hagen. Politisches Machtzentrum Südwestfalen: Warum fünf Unter-40-Jährige und ein Wiederkehrer nach der Bundestagswahl das Zeug zu mehr haben.

Um die Jahrtausendwende galt Südwestfalen schon einmal als ein politisches Machtzentrum der Republik. Mit Franz Münterfering als SPD-Generalsekretär, Fraktionschef und später Vizekanzler sowie mit Friedrich Merz als CDU-Fraktionschef waren gleich zwei Sauerländer in entscheidenden Funktionen. Merz wird nach längerer Polit-Pause wohl auch nach dieser Bundestagswahl wieder eine große Rolle spielen. Aber nicht nur er: Gleich mehrere heimische Politikerinnen und Politiker – bis auf Merz alle noch unter 40 – haben die Chance dazu. Ein Überblick:

Paul Ziemiak (CDU)

Annegret Kramp-Karrenbauer hatte Paul Ziemiak 2018 zum Generalsekretär gemacht, unmittelbar nach ihrer Wahl zur CDU-Parteichefin. Sie ist als CDU-Parteichefin Geschichte, er ist geblieben: Der Iserlohner, der zunächst als überfordert im Amt galt, hat sich inzwischen Anerkennung als oberster CDU-Parteimanager erkämpft und wird wahrscheinlich im Bundestag bleiben: Er hat Chancen, den Wahlkreis Märkischer Kreis I direkt zu gewinnen, auf der CDU-Reserveliste hat er zudem mit Platz 6 einen vorderen, wenn auch nicht 100-prozentig sicheren Rang. Ob noch wichtigere Ämter für den 35 Jahre alten Ziemiak winken, wird vom Wahlergebnis abhängen. Fällt es gut für die CDU aus, dürfte der verheiratete Vater zweier Kinder dafür belohnt werden – auch wenn mit Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und Fraktionschef Ralph Brinkhaus noch mehr männliche CDU-Spitzen aus NRW kommen. Stürzt die CDU ab, dürfte er dafür mitverantwortlich gemacht werden. Er ist aber jung genug, um später durchzustarten.

Dirk Wiese (SPD)

Das tiefschwarze Hochsauerland ist nicht ein automatisches Karrieresprungbrett für Sozialdemokraten, Dirk Wiese aus Brilon hat es trotzdem geschafft: Gerade 37 Jahre alt, sitzt er schon seit 2013 im Bundestag, war parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Russland-Beauftragter und ist nun Vize-Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Nicht zu vergessen: Der verheiratete Vater zweier Kinder ist einer der Sprecher des einflussreichen Seeheimer Kreises, in dem sich die konservativen Sozialdemokraten sammeln. Dass er einen sicheren Platz 5 auf der Reserveliste der NRW-SPD hat, zeigt seine innerparteiliche Bedeutung. Sollte die SPD wieder in die Regierung kommen, gibt es ohnehin viele Posten zu verteilen, kommt sie in die Opposition, dann wird ein Neu-Aufbau mit frischen Gesichtern nötig. Wiese könnte eines sein.

Johannes Vogel (FDP)

Dass er als Vorbote einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP gelten könnte, weist Johannes Vogel zurück. Auch weil er ja als FDP-Generalsekretär in NRW mit für eine schwarz-gelbe Koalition im Land gesorgt habe. Gleichwohl: Der verheiratete 39-Jährige, der im Wahlkreis Olpe/Märkischer Kreis antritt, gilt als Sozialliberaler, ist Sozial- und Arbeitsmarkt-Experte – und nun einer der Stellvertreter von Christian Lindner als Parteichef. Vogels Einfluss wächst. Dass er wieder über die FDP-Landesliste (Platz 5) in den Bundestag einziehen wird, ist fast sicher. Was danach kommen wird? Eine Konstellation, in der die FDP den Arbeits- oder Sozialminister stellen wird, ist unwahrscheinlich. Hinderlich könnte auch sein, dass mit Lindner, Alexander Graf Lambsdorff und Marco Buschmann weitere FDP-Frontmänner aus NRW kommen. Aber ohne Einfluss wird Vogel, der aus Wermelskirchen stammt, kaum bleiben.

Janosch Dahmen (Grüne)

An einem Tag ein Statement in den Tagesthemen, am Abend davor Diskutant bei Anne Will: Janosch Dahmen ist binnen weniger Monate zur öffentlichen Figur geworden. Der 39-Jährige sitzt erst seit Herbst als Nachrücker im Bundestag. Doch die Grünen haben ihn schnell in den Vordergrund geschoben. Sein Beruf passt in die Pandemie-Zeit: Der verheiratete zweifache Vater ist Arzt, war zuletzt Rettungsmediziner in Berlin. So gilt er nun als eine Art „grüner Karl Lauterbach“. Aufgewachsen in Berlin, ist er vor Jahren zum Medizinstudium an der Uni Witten/Herdecke nach NRW gekommen. Nun tritt er im Wahlkreis Hagen/EN-Kreis II an – nicht gerade eine grüne Hochburg. Aber mit Platz 24 hat Janosch Dahmen auch über die Grünen-Reserveliste für NRW gute Chancen, wieder in den Bundestag einzuziehen.

Katrin Helling-Plahr (FDP)

Ihre Themen sind nicht gerade leichte Kost: Zur Legalisierung der Sterbehilfe hat Katrin Helling-Plahr aus Hagen einen eigenen Gesetzentwurf mit SPD-Mann Karl Lauterbach und Linken-Politikerin Petra Sitte initiiert. Sie will die nicht kommerzielle Leihmutterschaft in Deutschland legalisieren. Und hochschwanger sprach sie im Bundestag aus Sicht einer Mutter über Bluttests auf Trisomie 21 während der Schwangerschaft. Die Juristin aus Hagen (35) hat sich einen Namen in der Gesundheits- und Rechtspolitik sowie Medizin-Ethik gemacht, das Nachrichtenmagazin Spiegel hat ihr schon eine Geschichte gewidmet. Und sie hat gute Chancen mit Platz 15 auf der Liste der NRW-FDP zur Bundestagswahl. Ob es noch mehr wird, hängt vom Wahlausgang ab. Ihr Vorteil: Zwar kommen viele FDP-Größen aus NRW – aber wenig Frauen.

Friedrich Merz (CDU)

So oder so: Friedrich Merz wird nach der Wahl eine wichtige Rolle spielen. Dass er den Wahlkreis im Hochsauerland, den er bereits von 1994 bis 2009 vertrat, direkt gewinnen wird, gilt als sicher. Wenn Armin Laschet Kanzler werden sollte, dann könnte der in Brilon geborene und schon lange in Arnsberg lebende Jurist Minister werden. In sein Kompetenz-Team will Laschet seinen Konkurrenten um den Parteivorsitz als Wirtschafts- und Finanzfachmann ohnehin einbinden. Und wenn die CDU verliert? Dann dürfte der 65-jährige Merz, der den Konservativen als Lichtgestalt gilt, von eben diesen beim Neuaufbau der Partei gerufen werden.

>> HINTERGRUND: Wie ist die Situation in den Wahlkreisen?

Zwei Wege gibt es in den Bundestag: Man gewinnt den Wahlkreis direkt (das ist vor allem bei der CDU wichtig) oder man zieht über die Reserveliste seiner Partei ein (das ist bei meist Grünen, FDP und oft bei der SPD entscheidend). Die Region bald deutlich stärker im Bundestag vertreten sein. Denn der könnte durch mehr Überhang- und Ausgleichsmandate noch größer werden – ein Effekt, der massiver wird, wenn die CDU zwar relativ schwach ist, aber viele Wahlkreise (knapp) direkt gewinnt. Bei AfD und Linkspartei habe alle bislang bekannten Kandidaten aus der Region aufgrund ihrer Platzierungen auf den Listen ihrer Partei wohl keine Chance auf den Bundestag, bei den anderen ist dies differenzierter.

Der Überblick:

  • Wahlkreis 138 (Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis I): Mit dem langjährigen Abgeordneten René Röspel galt der Wahlkreis als sicher für die SPD. Doch die schickt nun Parteichef Timo Schisanowski (39) ins Rennen. Sein Listenplatz 51 ist aussichtslos, er muss auf einen Wahlkreis-Sieg hoffen. Gleiches gilt für die CDU, die Medien-Manager Christian Nienhaus (60) ins Rennen schickt, auf Platz 49 der CDU-Liste steht. Janosch Dahmen (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) haben Chancen, über die Listen einzuziehen.
  • Wahlkreis 139 (Ennepe-Ruhr-Kreis): Der CDU-Kandidat hat bundesweit Schlagzeilen gemacht: Hartmut Ziebs (61), Ex-Chef des Deutschen Feuerwehrverbandes, der sein Amt im verbandsinternen Streit verloren hatte, weil er von der Gefahr einer Unterwanderung der Feuerwehr durch die AfD warnte. Mit Platz 45 auf der CDU-Liste muss er auf den Wahlkreissieg setzen. Genauso wie Axel Echeverria (SPD), der auf Rang 31 seiner Partei steht. Ina Giesswein (Grüne, Platz 30) und Anna Neumann (FDP, Platz 28) müssen auch auf sehr gute Ergebnisse ihrer Parteien hoffen.
  • Wahlkreis 147 (Hochsauerlandkreis): Dass Friedrich Merz das Direktmandat gewinnen wird, gilt als sicher. Auch SPD-Mann Dirk Wiese kommt wohl mit Platz 5 auf der Liste in den Bundestag. Wird die FDP ähnlich stark wie in Umfragen, gilt das auch für FDP-Mann Carl-Julius Cronenberg (Platz 14). Chancen darf sich bei einem starken Grünen-Ergebnis zudem Maria Tillmann mit Platz 31 der Liste machen.
  • Wahlkreis 148 (Siegen-Wittgenstein): Derzeit ist Volkmar Klein (CDU) der direkte Wahlkreisinhaber. Er dürfte Chancen haben, dass dies so bleibt. Spannend wird die Frage sein, ob es auf den jeweiligen Partei-Listen für die SPD-Kandidatin Luiza Licine-Bode (Platz 32), die Grüne Laura Kraft (Platz 23) und FDP-Mann Guido Müller (Platz 29) reichen könnte für den Bundestag.
  • Wahlkreis 149 (Olpe/Märkischer Kreis II): Auch wenn es mit Florian Müller einen neuen CDU-Kandidaten gibt, dürfte der das Direktmandat gewinnen: Der Wahlkreis gilt als schwarze Hochburg. Mit Nezahat Baradari (SPD) und Johannes Vogel (FDP) gibt es schon jetzt zwei weitere Abgeordnete. Ob Baradaris Platz 26 auf der SPD-Liste reichen wird, ist unklar, Vogel dürfte es schaffen.
  • Wahlkreis 150 (Märkischer Kreis): Dagmar Freitag, für die SPD lange Garantin für einen Wahlkreis-Sieg, tritt nicht wieder an. Schafft es die aus Brandenburg „importierte“ Bettina Lugk? Oder wird der Wahlkreis „schwarz“? Polit-Promi Paul Ziemiak tritt erstmals in seiner Heimat an. Sowohl er auch als Lugk (Platz 14) könnten es auch über die Reservelisten ihrer Parteien schaffen. Die Kandidaten von FDP und Grünen dagegen nicht.