Iserlohn/Berlin. Juniorpartner der Grünen? Das lehnt Paul Ziemiak ab. Der CDU-Generalsekretär aus Iserlohn zu Antisemitismus, Fridays for Future und Hans-Georg Maaßen

Auf ihn kommt es maßgeblich an: Paul Ziemiak aus Iserlohn ist der Generalsekretär der Bundes-CDU – und damit auch der oberste Wahlkampfmanager der Christdemokraten. Sollte er es schaffen, die CDU aus ihrem derzeitigen Umfragetief zu holen, dann dürfte ihm auch nach der Wahl eine bedeutende Position im Berliner Polit-Betrieb sicher sein – auch wenn mit Armin Laschet, Jens Spahn und Ralf Brinkhaus weitere Frontmänner der CDU aus Nordrhein-Westfalen kommen.

Belarus hat ein Flugzeug zur Landung gezwungen, um einen kritischen Journalisten festzunehmen. Reichen die Maßnahmen der Europäischen Union aus?

Paul Ziemiak:Der Vorgang ist beispiellos, Ministerpräsident Armin Laschet und der polnische Premierminister haben zurecht von Staatsterrorismus gesprochen. Der festgenommene Journalist Roman Protasewitsch genießt politisches Asyl der Republik Polen; er befand sich auf einem innereuropäischen Flug mit einer europäischen Fluglinie mit einem anerkannten Schutzstatus als politisch Verfolgter. Offenbar unternimmt Diktator Lukaschenko alles, um seine Macht zu erhalten. Die EU hat erste konkrete Maßnahmen ergriffen. Das war absolut richtig. Es wird noch weitere Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Regimes und ihre Unterstützer geben. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Sanktionen die Machthaber und nicht die Gesamtbevölkerung in Belarus treffen.

An welche Verschärfungen denken Sie?

Wir müssen die Sanktionsliste auf europäischer Ebene erweitern. Allen Verantwortlichen sollte klar sein, dass ihre persönlichen Kosten sehr, sehr hoch sein werden.

Gehört Lukaschenko selbst auf so eine Liste?

Selbstverständlich. Alle, die von diesem verbrecherischen System profitieren, die es unterstützen oder aufrechterhalten, müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Wie können wir die Opposition in Belarus stärken?

Wichtig ist zunächst, dass die EU mit einer Stimme spricht. Sie darf Polen und Litauen nicht allein lassen. Zudem müssen wir allen, die aus dem Land aus politischen Gründen fliehen, Asyl gewähren. Wir müssen die Opposition dabei unterstützen, sich international Gehör zu verschaffen. Das heißt aber nicht, dass wir Belarus seine politische Richtung vorgeben. Uns geht es nicht darum, ob das Land nach Westen oder nach Osten steuert. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft entscheiden können und drängen auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf freie Wahlen.

Zurück nach Deutschland: Hat der Antisemitismus zugenommen?

Der offene Antisemitismus hat definitiv zugenommen. Er war vorher schon da, aber er ist jetzt sichtbarer geworden. Wir erleben ihn in unterschiedlichen Formen und sollten uns davor hüten, Dinge gegeneinander aufzurechnen. Denn es spielt für die Bekämpfung des rechtsradikalen Antisemitismus überhaupt keine Rolle, ob es auch islamistischen oder linksradikalen Antisemitismus gibt. Es gibt übrigens auch einen Antisemitismus in ganz bürgerlichen Kreisen, der sich vor allem in Vorurteilen zeigt. Dazu zähle ich etwa die Behauptung, Juden seien sehr geschäftstüchtig und hätten deshalb viel Einfluss in der Welt. Unser Kampf gilt jeder Form des Antisemitismus.

Welche Gegenmaßnahmen schlagen Sie vor?

Wir brauchen einen Dreiklang aus Prävention, Repression und Information. Aufklärungsarbeit, interkultureller und interreligiöser Dialog sind enorm wichtig. Jedes Kind in Deutschland, egal wo es herkommt, sollte eine Gedenkstätte eines Konzentrationslagers besuchen. Ich halte auch die Einrichtung eines deutsch-israelischen Jugendwerks für sinnvoll, um damit den direkten Austausch der jungen Menschen zu fördern.

Und die Repression...?

Antisemitismus ist keine Meinung, sondern Judenhass, also im Kern Menschenhass. Wir brauchen ein hartes Vorgehen der Justiz gegen Menschen, die diesen Hass schüren. Wir haben harte Strafen, sie müssen aber konsequenter eingesetzt und ausgeschöpft werden. Vielmehr dürfen wir bestimmte Dinge einfach nicht mehr akzeptieren. Wenn die israelische Fahne an einem Gebäude in Deutschland abgenommen wird, weil man glaubte, der Lage nicht mehr Herr werden zu können, ist das ein Armutszeugnis für unser Land. Eine wehrhafte Demokratie muss sich wehren.

Bleibt die Information.

Hier sind vor allem die Schulen gefragt. Sie müssen die Geschichte des Antisemitismus und des Nahost-Konflikts noch intensiver behandeln. Lehrerinnen und Lehrer müssen in diesem Bereich gestärkt und besser geschult werden. Viele können zu diesem Thema einfach nichts sagen.

In Gelsenkirchen haben vor allem junge arabisch-stämmige Männer antisemitische Parolen gerufen. Ist die Integration in dieser Zuwanderergruppe gescheitert?

Ich wäre vorsichtig damit, ganze Bevölkerungsgruppen in Mithaftung zu nehmen. Bei dem genannten Beispiel trifft es trotzdem zu. Sie sind durch ein Zuhause und durch ausländische Fernsehsender geprägt, die Antisemitismus akzeptieren oder gar fördern. Deutschland hat eine besondere Verantwortung, die Forderung „Nie wieder!” mit Leben zu füllen. Das gilt aber nicht nur für extremistische Gruppen. Wenn eine Organisation wie Fridays for Future International von Märtyrern der Hamas spricht und vom Apartheitssystem Israel und eine Boykottbewegung gegen Israel unterstützt, die ja nichts anderes sagt als „Kauft nicht bei Juden”, dann ist auch das Antisemitismus pur. Ich bin froh, dass sich der deutsche Fridays-for-Future-Ableger davon distanziert hat. Aber Greta Thunberg ist ein Vorbild für Millionen junger Menschen. Das macht mir große Sorgen. Solche Aussagen nähren judenfeindliches Gedankengut.

Zum Wahlkampf: Stellen Sie sich darauf ein, Juniorpartner unter den Grünen zu sein?

Nein, diese Frage stellt sich nicht. Wir kämpfen um jede Stimme und wir werden diese Bundestagswahl gewinnen. Wir werden das bessere Programm haben und stellen den besseren Spitzenkandidaten als die Grünen. Deutschland muss stabil in der Mitte bleiben; die riesigen Herausforderungen zwischen Ökologie und Ökonomie müssen von jemandem bewerkstelligt werden, der Erfahrung im Regieren eines großen Industrielandes hat. Die Grünen sind das nicht.

Haben Sie Ihr Weihnachtsgeld korrekt abgerechnet?

Ja!

Also könnte Ihnen so ein Fehler wie bei Frau Baerbock nicht passieren?

Wo Menschen sind, passieren Fehler. Aber gerade die Grünen haben mangelnde Transparenz immer kritisiert, verfügen jedoch offenbar über ein verdecktes Bonussystem, das ich bis heute nicht durchschaue. Viele Bürgerinnen und Bürger empören sich darüber, dass die politische Spitze der Grünen einen Corona-Bonus wegen vermeintlich hoher Belastungen bekommen hat. Ich kann dieses Unverständnis nachvollziehen.

Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, tritt in Thüringen für die CDU an. Werden Sie ihn aus der Fraktion werfen, wenn er mit der AfD kooperiert?

Herr Maaßen hat sich klar zur Beschlusslage der CDU bekannt. Aber klar ist: Wir werden jeden aus der Fraktion werfen, der der Auffassung ist, dass man mit der AfD zusammenarbeiten sollte. Da haben wir ganz klare Grenzen definiert.

Bisher hat der Staat Corona vor allem mit neuen Schulden bekämpft. Wie lange soll das noch so weitergehen?

Kein Land in der EU hat mehr Geld für die Krisenbewältigung ausgegeben als Deutschland. Das war richtig und der Erfolg gibt uns recht. Aber wir müssen so schnell wie möglich zurück zur Einhaltung der Schuldenbremse. Die Staatsverschuldung muss langfristig auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder darunter gedrückt werden. Auch das ist ein wichtiger Teil von Generationengerechtigkeit. Fest steht schon jetzt, dass wir nach der Pandemie verstärkt Kinder und Jugendliche unterstützen müssen.

Die Innenstädte drohen weiter zu veröden. Wer organisiert ihre Rettung – oder soll das allein der Markt regeln?

Die Corona-Krise hat die Schwierigkeiten, die derzeit viele Innenstädte erleben, wie unter einem Brennglas offengelegt. Das grundsätzliche Problem ist bekannt: Fast alles, was ich brauche, kann ich im Internet kaufen und liefern lassen. Deshalb müssen wir unsere Innenstädte neu denken. Die entscheidenden Fragen werden sein: Wo bleibt das Einkaufserlebnis? Und wer garantiert den besten Service? Wir müssen darüber nachdenken, Innenstädte noch stärker als bisher in Begegnungs-, Kultur- und Erlebnisräume umzugestalten, in denen auch das Einkaufen möglich ist.

Wer steht in der Pflicht?

Konzepte für die Innenstädte in Südwestfalen müssen vor Ort entstehen. Natürlich mit Unterstützung des Bundes und des Landes: Die nötigen Fördertöpfe sind vorhanden; eventuell müssen sie aufgestockt, auf jeden Fall aber die Auszahlung beschleunigt und entbürokratisiert werden. Entscheidung und Risiko liegen dann bei den Verantwortlichen vor Ort, also der Verwaltung und den Kommunalpolitikern.

Unsere Leser haben dem Krisenmanagement von Bund und Land im Corona-Check schlechte Noten gegeben. Fürchten Sie zur Bundestagswahl die große Abrechnung?

Wir dürfen nichts schönreden und müssen aus allen Fehlern für zukünftige Entscheidungen die richtigen Lehren ziehen. Als Familienvater weiß ich auch, dass wir gerade in Hinblick auf die Kinder an einigen Stellen aufholen müssen. Trotzdem ist richtig: Im Vergleich zu vielen anderen Ländern sind wir im Ergebnis bisher deutlich besser durch die Krise gekommen. Denken Sie an das Kurzarbeitergeld, um das uns viele Länder beneiden. Inzwischen sind 40 Prozent der Menschen in diesem Land mindestens einmal geimpft, Sommerurlaub wird für die meisten möglich sein. Die Lage der Wirtschaft, die Auslastung des Gesundheitssystems: Wir haben doch vieles besser gehandhabt, als manche uns zugetraut haben. Es wird bei dieser Wahl aber nicht um das Gestern, sondern um das Morgen gehen. Viele Menschen eint der Wunsch nach Sicherheit und Stabilität in einer stetig im Wandel begriffenen Welt.

>> Zur Person: Erst Junge-Union-Chef, dann Generalsekretär

  • Paul Ziemiak (35) ist im polnischen Stettin geboren. Als Spätaussiedler kamen seine Eltern mit den beiden Kindern aber schon 1988 nach Deutschland. Ziemiak wuchs in Iserlohn im Märkischen Kreis auf, wo er auch heute noch lebt.
  • Der verheiratete Vater zweiter Kinder war von 2014 bis 2019 Bundesvorsitzender der Jungen Union, bevor ihn 2018 die CDU-Vorsitzende Annegret Kamp-Karrenbauer zum Generalsekretär machte. Das ist er auch unter ihrem Nachfolger Armin Laschet.