Menden. Spätestens seit Corona droht Innenstädten die Verödung. In Menden aber sprießen neue Läden. Welche Geschäfte öffnen werden und wie es dazu kam.

Ein paar Tage sind es nur noch bis zur Eröffnung. Die Folie für den Schriftzug am Fenster fehlt noch, sagt Safet Abaz, 25 Jahre alt, Inhaber des Ladens, der „Sweet Dreams“ heißen wird, weil er süßes Gebackenes verkaufen wird. Käsekuchen zum Beispiel, der nicht Käsekuchen heißt, sondern Cheese Cake. Klingt cooler, ist cooler. „Schokokuchen am Stiel, Waffeln, Crepes – wir werden alles bieten, was im Internet gerade gehypt wird“, sagt Abaz. Naschzeugs, das nicht nur lecker ist, sondern cool und angesagt. Foto machen für Instagram. Sowas eben. Süße Träume, die er keineswegs allein hat.

Internet setzt Einzelhandel zu: Den Innenstädten droht die Verödung

Abaz‘ kleiner Laden wird am Samstag eröffnen am Rande der Innenstadt von Menden, einem Ort mit 50.000 Einwohnern, den die gleichen Probleme plagen wie viele andere Städte auch: Der Einzelhandel darbt, weil die Menschen ihre Dinge im Internet bestellen. Ladenlokale stehen leer. Verödung droht vielerorts. Die Corona-Pandemie wirkt dabei wie ein gefährlicher Beschleuniger. Aber Safet Abaz, der ­Käsekuchen-Mann, ist nicht allein. Er ist einer von sieben Unternehmern, die in diesen Wochen ihre Läden in ­Menden eröffnen. Tendenz: steigend. Corona-Depression? Nein, so fühlt sich das da gerade entlang der Hönne nicht an.

Die süßen Träume werden auch durch Geld vom Land möglich, das sich Menden so schnell und entschlossen sicherte wie kaum eine andere Stadt ihrer Größe. Die Kommune aus dem Märkischen Sauerland gehört mit fast 800.000 Euro Förderung zu den zehn Städten in NRW, die am meisten Geld einstreichen. Geld, mit dem leerstehende Ladenlokale von der Stadt angemietet und zu 20 Prozent der Kosten weitervermietet werden an Menschen mit Ideen. Förderungszeitraum: zwei Jahre. Über 30 Ladenlokale standen in Menden leer, mindestens die Hälfte soll mit dem Geld wieder mit Leben gefüllt werden.

Unternehmer aus Menden: „Aufbruchstimmung ist da“

„So etwas wie Aufbruchstimmung ist da“, sagt Thorsten Kannengießer (47), ein umtriebiger Unternehmer, den viele in Menden kennen. Mitte Juni geht er mit „MOM’s Kitchen“ an den Start, einem Laden, der frische Hausmannskost anbieten wird. Er hat bereits Gastro-Standorte in Münster, Essen, Dortmund, Wuppertal, die zuletzt starke Umsatzeinbußen verzeichneten. Trotzdem jetzt Menden. „Die Förderung gab den Anstoß, das Konzept noch in der Krise umzusetzen“, sagt er.

Dass sich was tut und dass er ein Teil davon ist, gefällt ihm. Baulich ist die Innenstadt längst modernisiert worden. „Menden ist meine Heimatstadt. Ich will meinen Beitrag leisten, dass auch meine Kinder in zehn Jahren alles in der Stadt finden, was sie brauchen“, sagt er. „Wenn unter den Betreibern ein Wir-Gefühl entsteht, dass wir hier gemeinsam was auf die Beine stellen, dann sehe ich hier jede Menge Potenzial. Das Portfolio ist jedenfalls gut.“

Innenstädte der Zukunft: mehr Gastronomie, mehr Erlebniswert

Die Stadt Menden hat in Kooperation mit der Wirtschaftsförderungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft (WSG) genau auf diesen Aspekt geachtet: eine möglichst zukunftsträchtige Mischung. „Die Menschen gehen weniger in die Innenstadt, um etwas zu besorgen, sondern um eine gute Zeit zu verbringen“, sagt Tim Behrendt, WSG-Geschäftsführer. Heißt: Weniger klassische Einkaufsläden, mehr Gastronomie, mehr Nachtleben, mehr „Ansiedlungen, die originell sind und die online nicht austauschbar sind“. Das sei, was Frequenz verspreche.

17 Interessenten meldeten sich bereits für freistehende Ladenlokale. Den Zuschlag erhielten auch Ideen, die nicht das nächste Nagelstudio (nichts gegen Nagelstudios) oder den nächsten Bäcker (nichts gegen Bäcker) in die Stadt bringen, sondern die die Angebotspalette erweitern. Hier der Laden der Bubble-Tea verkauft, ein Getränk auf der Basis von grünem oder schwarzem Tee mit lustigen Blubberkügelchen. Dort das Vertriebsbüro von Vorwerk. Kundenberater Bertram Preuß öffnet ab heute immer dienstags und freitags, wenn Markt ist. Termin nach Vereinbarung. Dort kann Preuß Produkte vorführen, ohne dass ihn jemand in sein Wohnzimmer lassen müsste, was in Zeiten einer Pandemie hilfreich sein könnte. Als selbstständiger Handelsvertreter ist er auf Umsatz angewiesen. „Ich verspreche mir noch mehr Kundschaft, weil die Stadt auch zu Corona-Zeiten gut gefüllt war“, sagt er. „Ich bin dankbar für dieses Programm.“

Info-Point eines Krankenhauses neues „einmaliges Angebot“

Sogar ganz neue Wege werden in der Nachbarschaft beschritten. „Soweit uns bekannt ist, hat kein anderes Krankenhaus ein derartiges Angebot – das ist einmalig“, sagt Christian Bers, Leiter Unternehmenskommunikation und Marketing der Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis. Das Mendener Krankenhaus St. Vincenz bekommt einen Meeting- bzw. Infopoint in der Fußgängerzone. „Wir freuen uns darauf, auf diese Weise den Mendener Bürgerinnen und Bürgern ihr Krankenhaus ein wenig näher zu bringen und den Informationszugang zum Leistungsangebot zu erleichtern.“

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Noch so ein Mieter, der Kundschaft auch aus der Ferne anziehen soll, könnte das Immobilienbüro Dieckmann mit integrierter Hausbau-Expertise der Massivhaus-Firma Heinz von Heyden sein. Der Vertrag steht kurz vor dem Abschluss. Eröffnung soll Juli oder August sein, da das Ladenlokal noch umgebaut werden muss. Schließlich sollen die Kunden Ausstattungsvarianten zum Thema Dachziegel oder Putz präsentiert werden können. Ähnliche Büros gibt es bereits in Schwerte, Gevelsberg und Overath, mit dem Standort Menden will das Unternehmen einen nächsten wichtigen Schritt machen.

Junge und frische Unternehmen sind „ein super Zeichen“

„Wir hatten zuletzt viele Anfragen aus Menden und dem Sauerland und können diesen Bereich nun viel besser erschließen“, sagt Niko Majchrzak, zuständig für Marketing und PR. „In vielen Städten ist zu sehen, dass der Leerstand immer weiter zunimmt. Wenn es jetzt Menden gelingt, frische und junge Unternehmen ranzuholen, ist das ein super Zeichen.“

Dass neue Ideen funktionieren, zeigt das Beispiel von Volkan Bodur (31). Er eröffnete im April zusammen mit seinem Kumpel Volkan Karadag „Monkey Donuts“ – und vor der Tür standen die Menschen Schlange. An einem der ersten Nachmittage musste er eine Stunde vor Ladenschluss weitere Kunden abweisen: Donuts ausverkauft. Die Idee eines eigenen Ladens hatte er schon lange. Nur wann und wie und wo? „Wir haben auch an Neheim oder Dortmund gedacht, aber dann gesagt: Warum nicht hier? Wir kommen hier her, wir lieben Menden. Ich freue mich, dass in der Innenstadt was passiert.“

Dank der Förderung und der schnellen Umsetzung in Menden, passiert es jetzt und dort. Süße Träume, überall.

<<< HINTERGRUND ZUVERSICHTSKAMPAGNE >>>

Die Funke Mediengruppe startet heute Deutschlands größte Zuversichts-Kampagne zur Unterstützung von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur. Beteiligt sind alle Regionalzeitungen der Mediengruppe, zu der auch die WESTFALENPOST gehört. Insgesamt wird das Projekt also in 120 Einzelregionen in fünf Bundesländern stattfinden.

Journalistisch geht es darum, die Aufbruchstimmung dieser Tage zu begleiten. In den nächsten Wochen stellt die Redaktion deshalb nicht nur mutige Unternehmer, ideenreiche Händler oder findige Wirte vor. Wir befragen Experten zu den Handels-Konzepten der Zukunft und stellen Ideen vor, wie sich Städte modernisieren, um attraktiv für alle Generationen zu bleiben.

Natürlich werden wir auch die Probleme benennen, die sich durch die Monate der Pandemie vielerorts noch beschleunigt oder verstärkt haben. In jedem Fall soll die Kritik konstruktiv verstanden werden. Sie soll dazu beitragen, den Neustart des gesellschaftlichen Lebens zu stützen