Sophia Achenbach ist in Siegen geboren und hat ein Einser-Abitur gemacht. Trotzdem fragt man sie, wo sie herkommt und lobt ihr gutes Deutsch.

Sophia Achenbach aus Siegen, 21 Jahre alt, in der Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin:

„Als Kind, als junge Jugendliche hatte ich nur einen Wunsch: Ich wollte unsichtbar sein. Ich wollte in der Masse verschwinden. Der Grund ist naheliegend: Als Kind und Jugendliche war ich – wie jeder andere in diesem Alter – sehr intensiv auf der Suche nach mir selbst, nach meiner eigenen Identität. Und auf diesem Weg habe ich zumindest schonmal sehr früh erfahren, wer ich nicht bin: Jemand, der ganz selbstverständlich zu dieser Gesellschaft dazugehört.

„Ist das auch deine echte Mama?“

Eine meiner prägendsten Kindheitserinnerungen ist, dass sich Erwachsene zu mir herunterbeugen und fragen: „Ist das auch deine echte Mama?“ Mein Papa kommt aus Kenia, von ihm habe ich die dunklere Haut, die Locken, die volleren Lippen. Meine Mutter ist weiß. Sie ist auch in meinem Beisein gefragt worden, wo man denn so niedliche Adoptivtöchter herbekommt. Jedes Mal war es, als breche für mich – wenn auch nur für eine Sekunde – eine kleine Welt zusammen.

Rassismus hat viele Gesichter. Ihm zu begegnen ist ein täglicher Kampf – bis heute. Wenn ich morgens meine Wohnung verlasse, dann begleitet mich die Ungewissheit, was an diesem Tag passiert, wie eine dunkle Wolke. Für die, die Alltagsrassismen nicht ausgesetzt sind, mag das übertrieben klingen. Aber es ist so. Denn ich habe es erfahren und ich erfahre es noch heute.

„Ich fühle mich manchmal heimatlos“

Ich wollte Medizin studieren, aber mein Notenschnitt im Abitur von 1,7 reichte nicht ganz. Deswegen habe ich mich vorerst für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin entschieden. Wenn ich ins Patientenzimmer komme, dann gibt es Patienten, die eine Behandlung durch mich ablehnen. Andere machen große Augen und fragen mich als Erstes, woher ich so gut Deutsch kann oder woher ich komme? Ich bin Deutsche, in Siegen geboren und aufgewachsen, ich habe im Deutsch-Leistungskurs Kant und Goethe gelesen. Aber tatsächlich fühle ich mich oft heimatlos, weil ich dort, wo ich herkomme, als Exot wahrgenommen werde.

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Jemand, der das noch nie erfahren hat, ahnt nicht, wie sich das anfühlt. Nicht einmal meine Mutter kann das immer nachempfinden, ich habe in ihr keine Gesprächspartnerin, die weiß, wie tief einen ein solcher Angriff auf die eigene Identität trifft.

Sexualisierter Rassismus: Degradiert zu etwas, das man auf einer Checkliste abhakt

Mir ist völlig klar: Nicht immer ist das böse gemeint, aber es sind zu viele kleine Mückenstiche. Es gibt Patienten, die mir ungefragt ins Haar fassen als wäre ich ein Tier im Streichelzoo. Meine Kindheit und Jugend lang habe ich immer gehört, dass ich die Schoko-Sophia sei, die Karamell-Sophia, man hat mich Latte Macchiato genannt oder was auch immer. Hinzu kommt ein sexualisierter Rassismus, der mir seit ich elf oder zwölf bin oft begegnet ist: Ich werde zum Teil von Männern zu etwas degradiert, das man auf seiner Checkliste abhaken kann, wie ein Stück Fleisch, wie ein Objekt.

Heute weiß ich viel besser, mit all dem umzugehen. Ich habe es lernen müssen. Vor den Jungs, die sich damals im Zug erst hörbar beratschlagten, wer mir an den „knackigen, schwarzen Po“ fasst, und vor dem, der es getan hat, würde ich heute nicht mehr wortlos flüchten, weil da die Grenze viel zu deutlich überschritten wird. Und die kleineren Grenzüberschreitungen? Fahre ich jedes Mal aus der Haut? Nein. Oft sehe ich einfach darüber hinweg, weil ich zu müde bin, die Diskussionen erneut zu führen.

Von einer diversen Gesellschaft können wir profitieren

Nicht falsch verstehen: Ich habe nicht aufgegeben. Ich weiß nur, dass ich diese Form des Alltags-Rassismus gerade der älteren Generation nicht vorwerfen kann, weil sie es nicht anders gelernt hat. Ich kann diese Menschen nicht mehr ändern. Alle anderen können und sollten sich ändern, sollten versuchen zu lernen, worauf es ankommt. Wir sind eine diverse Gesellschaft. Wir können davon profitieren, wenn wir uns gerade beim Thema Alltags-Rassismus neu ausrichten, wenn wir dazulernen wollen, Interesse zeigen. Da ist so viel, das man ändern kann und muss.

Für die Diskussion ist es wichtig, den Begriff des Rassismus aus dem rechten Spektrum zu lösen. Denn: Nur weil jemand etwas Rassistisches gesagt hat, ist er noch lange kein Rassist und schon gar kein Nazi. Aber dazu gehört auch, dass derjenige auf sich und seine Sprache achtet, dass ihm auffällt und er akzeptiert, etwas Rassistisches gesagt oder gedacht zu haben.

Jeder Mensch wird rassistisch sozialisiert

Wir alle sind rassistisch sozialisiert, übernehmen Denkweisen, Zuschreibungen und Termini oft unbewusst, ohne bislang dafür sensibilisiert worden zu sein. Auf diesen Weg müssen wir uns begeben. Der ist unangenehm, der muss unangenehm sein, denn die erste Reaktion ist Abwehr: Ich unterliege rassistischen Denkmustern? Nein. Doch! Wenn diese Hürde genommen ist, kann ein produktiver Diskurs folgen. Kein Mensch kommt als Rassist zur Welt. Das ist ein gelerntes Konstrukt von Schwarz und Weiß, von oben und unten.

Ich glaube auch, dass uns im Deutschen die Worte fehlen, um das Thema Rassismus zu behandeln. Farbig, braun, schwarz, dunkelhäutig – darf ich das noch sagen, oder nicht? Das ist es doch, was viele sich fragen. Man muss eine Person nicht zwingend anhand ihrer Hautfarbe beschreiben. Es bieten sich andere Möglichkeiten. Ich bezeichne mich selbst als Schwarz, meine damit aber nicht die Farbe, sondern eine gesellschaftspolitische Ebene.

Betroffenen muss zugehört werden

Es müssen neue Worte geschaffen werden, die es uns ermöglichen, konfliktfrei miteinander zu reden. Worte, die es im Englischen oft gibt: People of Colour zum Beispiel. Ich will, dass schon meine Kinder in einer Welt aufwachsen, die sensibler ist, in der alle oder zumindest sehr, sehr viele Menschen genau wissen, was sagbar ist und was nicht. Rassismus kann nur fortbestehen, wenn Menschen, die er betrifft, nicht zugehört wird, wenn sie nirgendwo zu sehen sind. Menschen zu sehen, die sind, wie ich, hätte mir damals geholfen: einen Lehrer, eine Ärztin, einen Erzieher.

Heute bin ich 21 Jahre alt – und ich will nicht mehr weiß sein, ich will keine glatten Haare mehr haben. Ich habe mich akzeptiert, wie ich bin, und bin heute stolz darauf, weil ich weiß, dass ich nicht die bin, die falsch ist, die das Problem ist. Es ist im Zweifel die Gesellschaft, die das Problem mit mir hat.“

<<< SERIE „MEIN LEBEN“ >>>

  • Die Serie „Mein Leben“ befasst sich in mehreren Serienteilen mit Menschen, die sich rechtfertigen müssen, weil sie sich für einen bestimmten Lebensentwurf entschieden haben, der nicht der Norm entspricht, weil sie Meinungen vertreten, an denen sich andere reiben, weil sie in ein Leben hineingeboren wurden, das ihnen Vorurteile und Diskriminierungen beschert
  • Die Serie soll die Vielfalt in der Region beleuchten und die Frage aufwerfen, wie tolerant und offen der Umgang miteinander eigentlich ist? Wie respektvoll der Austausch erfolgt? Wie Hindernisse ausgeräumt werden können?