Hagen. Neben Hausarzt und Impfzentrum darf auch der Facharzt gegen Corona impfen. Zwei Mediziner sagen, wie es zu Impfungen abseits der Impfliste kommt.

Der Impfstoff macht sich weiter rar. Die begehrte Flüssigkeit ist weiterhin vorerst jenen vorbehalten, die alt, krank oder besonders gefährdet sind. Begehrlichkeiten weckt sie aber bei vielen Menschen. Die Impfzentren der Region und auch die Hausärzte müssen streng nach Priorisierungsliste vorgehen, die erst im Juni aufgehoben werden soll. Wo also sonst könnte man den guten Stoff herbekommen? Antwort: vielleicht vom Facharzt.

Es gehört zu den letzten kleinen Geheimnissen dieser Pandemie in Deutschland, dass nicht nur die Hausärzte in NRW seit dem 1. April berechtigt sind, gegen das Coronavirus zu impfen, sondern eben alle niedergelassenen Kassenärzte: der Hals-, Nasen-, Ohrenarzt ebenso wie der Hautarzt, der Neurologe, der Gynäkologe. Die Liste ließe sich munter fortführen. Was sollen Bürger jetzt tun?

Corona-Impfung: Nachfrage bei den Fachärzten noch verhalten

Alle Mitglieder seien informiert worden, dass das Serum zu haben ist, heißt es von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Die Nachfrage sei noch verhalten. Es gäbe schließlich Ärzte, zu deren Alltag Impfungen eher nicht zählten. Aber es gibt auch die, die von dem Angebot Gebrauch machen. Gynäkologen, die Kontaktpersonen von Schwangeren direkt impfen können zum Beispiel. Oder Onkologen, die schwer Kranke mit einem Pieks schützen.

Doch während der gemeine Hausarzt einen sehr guten Überblick über die allgemeine Gesundheit des Patienten hat, trifft das vermutlich nicht auf jeden Facharzt zu. Der benötigt im Zweifel eine Bescheinigung. Aber der gesamte Prozess ist eh schon aufwändig genug. „Natürlich gelten die Priorisierungslisten auch für Fachärzte. Da steht genau drin, wie wir uns verhalten sollen – aber wir haben uns hier nicht so streng daran gehalten“, verrät ein Facharzt aus der Nähe von Hagen, der anonym bleiben möchte. „Ich bin ohnehin gegen die Priorisierung“, sagt der Mediziner – und macht weiterhin Angebote auch für Jüngere, die kein besonderes Risiko haben. Geimpft ist geimpft.

Astrazeneca bleibt in der Praxis liegen

Ein Kollege von ihm aus Schwelm hat ähnliche Probleme. Wenn er Astrazeneca geliefert bekommt, bleibt der Stoff in der Arztpraxis liegen. „Wir müssen nachhaken und herumtelefonieren. Und wenn dann Impfstoff übrig ist, dann verimpfe ich den – bevor ich ihn wegschmeiße – eben an jemanden, der nicht hundertprozentig in die Priorisierung passt.“ Er führt deswegen Nachrückerlisten. Kollegen, sagt er, handhabten es genauso. „Natürlich gibt es auch Gefälligkeitsimpfungen.“

Kontrolliert das denn keiner, wo das Vakzin landet? Nein, das werde nicht nachgehalten, lässt die KVWL auf Nachfrage dieser Redaktion wissen, „da vertraut man den Ärztinnen und Ärzten“. Zwar sind die Haus- und Fachärzte verpflichtet, eine Meldung beim Robert-Koch-Institut in Berlin einzureichen, wer geimpft wurde. Doch dabei handelt es sich „um anonymisierte Daten, die für die Statistik benötigt ­werden“, teilt die KVWL mit. Geschlecht, Alter, Impfmittel. Nicht viel mehr. Es wäre ja aber auch im Einzelfall schwer nachzuvollziehen, wer warum welche Impfung erhalten hat und ob da nicht noch ­jemand gewesen wäre, der sie eher verdient gehabt hätte. Schließlich gilt offiziell: Wer keine impfwilligen Patienten mehr aus der Priorisierungsgruppe 2 habe, der könne auch schon die nächste Gruppe impfen, heißt es von der KVWL. Oder um es mit dem Facharzt aus der Nähe von Hagen zu sagen: „Wo der Impfstoff landet, da kräht kein Hahn mehr nach.“

Wenn Hausärzte nicht bestellen, geht Städten Impfstoff verloren

Wo der Impfstoff landet und wo nicht – darauf haben die Hausärzte großen Einfluss. Diese erhalten das Vakzin über die Apotheken vor Ort. „Die Bundesregierung geht von 50.000 Arztpraxen im Bundesgebiet aus“, erklärt der Hagener Apotheker Dr. Christian Fehske, über den die niedergelassenen Ärzte im Stadtgebiet den Impfstoff beziehen. Sollten in einer Woche bundesweit 1 Million Impfdosen zur Verfügung stehen, bedeute dies, dass jede Praxis im Land rechnerisch 20 Dosen bekäme. „Nehmen wir an, dass nur 60 Prozent der Hagener Ärzte ihren Patienten überhaupt ein Impfangebot machen, heißt das, dass 40 Prozent der möglichen Impfmenge für Hagen nicht in Anspruch genommen wird. Denn die auf dem Papier übrig gebliebenen Impfdosen werden nicht etwa unter den impfenden Ärzten in unserer Stadt verteilt, sondern auf die Impf-Praxen im ganzen Land.“ Im KVWL-Gebiet gibt es rund 4800 Hausärzte, etwa 3500 beteiligen sich an der Impfkampagne.

Damit Hagen, das bislang eine gute Impf-Quote durch sein Impfzentrum erzielt, bei der Impfkampagne nicht zurückfällt, hat Oberbürgermeister Erik O. Schulz jetzt einen Appell an die niedergelassenen Ärzte gerichtet, die noch nicht auf den Impf-Zug aufgesprungen sind.