Hagen. Am ersten Tag nach dem zweiten Lockdown ist die Stimmung in den Schulen gemischt. Vorfreude paart sich mit Sorgen. Ein Protokoll.

66 Tage sind vergangen, seitdem Josefine Körber zuletzt hier war. Dass die Gesamtschule Haspe für sie mal ein Sehnsuchtsort wird, hätte die angehende Abiturientin aus Ennepetal damals nicht gedacht. Doch das Glück wird ein wenig getrübt, die Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus ist ein steter Begleiter. Protokoll von der Rückkehr in einen nicht normalen Alltag.

7.30 Uhr

Aufstehen, frühstücken. Früh am Morgen tut sich Josefine Körber noch ein wenig schwer, in den Tag zu starten. Ihre Routine in den vergangenen Wochen war eine andere. „Wenn ich manchmal erst um 14 Uhr eine Videokonferenz hatte, habe ich natürlich länger geschlafen“, sagt Josefine Körber. Heute aber ist das anders. Ein wenig sei die Situation mit der Rückkehr aus einem langen Urlaub zu vergleichen, findet sie. Nur dass es dieses Mal kein Urlaub war.

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Am 18. Dezember war Josefine Körber das vorerst letzte Mal in der Schule. Damals, kurz vor Weihnachten, weiß keiner, wie lange der neuerliche Lockdown anhalten wird. Eine ungewisse Situation. Ähnlich ungewiss wie ihre Gefühle an diesem Montagmorgen, an dem sie sich bereit macht, um zur Schule zu fahren. „Es ist eine seltsame Mischung aus Aufregung, Vorfreude und Nervosität“, gibt sie offen zu. Bevor sie das Haus verlässt noch einmal kurz prüfen: Schlüssel? Portemonnaie? Handy? Maske?

8.45 Uhr

Über die Brücke vor der Schule überquert die angehende Abiturientin die Ennepe. Wie viele Schüler der Gesamtschule Haspe kommt auch Josefine Körber mit dem Auto zur Schule. Nicht mit dem Bus. Ein Infektionsherd weniger. Ihr Gesicht ist zur Hälfte verdeckt durch eine Maske.

9.05 Uhr

Auf dem Weg in das Schulgebäude macht nur weniges den Anschein, dass hier sonst über 1000 Schüler unterrichtet werden. Außer Josefine Körber ist niemand hier in der großen Aula der Gesamtschule. Sie steht nach mehr als zwei Monaten erstmals wieder hier.

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Auch für die Zehntklässler der Bad Laaspher Realschule Schloss Wittgenstein war am Montag der erste Schultag nach dem Lockdown seit Mitte Dezember.
Von Emma Rothenpieler, Eberhard Demtröder und Bastian Grebe

Weiter Richtung Klassenraum. Jeder Schüler, jeder Lehrer trägt Maske. Keine Umarmungen, kein Händeschütteln. Die Regeln sind streng und werden eingehalten.

Den Weg in die dritte Etage darf Körber nur über das gelbe Treppenhaus nehmen – obwohl neben dem Abiturjahrgang nur noch die zehnten Klassen auf dem großen Areal der Schule mit drei Gebäuden sind. Die anderen beiden Treppenhäuser im Gebäude nutzt keiner.

9.13 Uhr

Es klingelt. Ein ungewohntes Geräusch. Eines, dass die Schüler seit Beginn der Pandemie nicht mehr gehört haben. Die Pausenglocke wurde einst abgeschaltet, damit nicht alle Schüler gleichzeitig durch die Treppenhäuser auf den Schulhof drängen. Jetzt aber ist kaum jemand da, der drängen könnte.

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Elf Schüler sitzen an vereinzelten Tischen in dem kleinen Klassenraum. Als Lehrerin Kerstin Rase-Scheffler den Unterricht eröffnet, geht die Tür noch einmal auf. Ein verspäteter Schüler. Am ersten Schultag nach 66 Tagen. Schule ist nicht mehr normal, zur Schule gehen ist schon fast besonders. Wo früher Hefte lagen, stehen heute Laptops oder Tablets. Jeder hat einen Bildschirm vor sich, doch wenn die Lehrerin redet, geht der Blick nach vorne. Als hätten sie sich nichts mehr gewünscht.

9.20 Uhr

Schnell ist Schule wieder Schule. Es dauert keine Sekunde, da gehen gleich mehrere Finger in die Luft. Es ist die erste Frage seit 66 Tagen die Kerstin Rase-Scheffler ihren Schülern von Angesicht zu Angesicht stellt. „Echte Gesichter statt schwarzer Bildschirme“, sagt sie. Es wirkt ein wenig so, als hätten Josefine Körber und ihre Mitschüler im Grundkurs Sozialwissenschaften nur darauf gewartet, wieder in einem richtigen Klassenraum zu sitzen. Wieder gemeinsam zu lernen.

9.40 Uhr

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„Ich habe diese Stelle nicht heruntergeladen“, sagt Josefine Körber, als ihre Lehrerin dazu auffordert, einen Text zu lesen. Handy raus, Seite abfotografiert, Text auf den Bildschirm geholt. So geht das heute. Währenddessen öffnet Rase-Scheffler die Seiten Flügel der Tafel, hier will sie die Ergebnisse der Schüler sammeln. Eine Tafelwand knallt beim Öffnen gegen einen Overhead-Projektor. Die Schüler schauen auf ihre Bildschirme. Viele haben laut Rase-Scheffler noch einmal aufgerüstet, sind technisch auf dem neuesten Stand. Alex, der in der ersten Reihe sitzt, zeigt einem Mitschüler sein neues Programm – damit lassen sich Schaubilder schnell selbst erstellen. Die Lehrerin staunt.

10.20 Uhr

In Haspe dauern die Schulstunden länger. Nach exakt 67,5 Minuten ist die erste Stunde beendet. „Es war schon ein wenig lang zum Ende hin“, sagt Josefine Körber auf dem Weg aus dem Klassenraum. „Es gibt weniger Ablenkungen, weniger als zuhause in jedem Fall.“ Im Homeschooling ist bei den meisten Kindern die Kamera aus, in der Schule sind die Augen der Lehrerin immer wachsam.

10.30 Uhr

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Freistunde. In der Aula sitzt niemand, ab und an huscht eine Lehrkraft vorbei. Ein wenig mulmig sei ihr ja schon. „Ich bin echt nicht scharf auf Corona“, sagt Körber. Sie wolle nicht Schuld haben, dass sie das Virus in ihre Familie trage. „Nur weil ich zur Schule gegangen bin.“ Der Unterricht im Klassenraum ist für sie ersetzbar, die Gesundheit hingegen nicht. Eine zwiespältige Situation. „Es geht ja nicht um einen Einzelnen, es geht um uns alle“, sagt sie.

11.50 Uhr

Homeschooling in der Schule. Im Englisch-Unterricht geht es gerade um das Thema Arbeit. Wie sie das Homeschooling fanden, fragt die Lehrerin. Die Diskussion entwickelt sich schnell in eine Richtung, alle sind sich einig, dass Präsenzunterricht durch nichts zu ersetzen ist. Zuhause selbstständig zu lernen, sei mit der Zeit anstrengend – sorge aber auch für Freiheiten. „Ich kann selbst einteilen, wo ich meine Prioritäten beim Lernen setze“, sagt Josefine Körber. Kurz vor dem Abitur sind das die Leistungskurse.

13.30 Uhr

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Josefine Körber und ihre Mitschüler lachen herzhaft. Es ist Pause, zwanzig Minuten Zeit für die Freunde. Mit Abstand zueinander sitzen sie sich im Klassenraum gegenüber. „Es ist schon seltsam, wenn man immer auf Distanz bleiben muss“, sagt Körber. Im Unterricht sind die Tische weit auseinandergezogen, jeder sitzt für sich. „Ein bisschen fühlt man sich schon allein gelassen“, findet Körber. Und dennoch glaubt sie, dass die Situation sie und ihre Mitschüler zusammenschweiße.

15.30 Uhr

Der erste Schultag ist rum, nach zwei zusätzlichen Stunden Französisch ist Josefine Körber wieder zuhause angekommen. „Hausaufgaben mache ich später“, sagt die 18-Jährige. Der erste Schultag hat sie bewegt, körperlich wie psychisch. An ihrem ersten Schultag ist ihr einiges bewusst geworden: „Die Situation in der Schule hat mir gezeigt, wie angespannt die Lage inzwischen auch für uns ist.“