Hagen. Die Band aus Hagen begeistert die Fans mit ungewöhnlichem Sound und tiefschürfenden Texten. Ein bisschen Spaß ist auch dabei.

Für das Feuilleton waren sie über 42 Jahre lang die „Fressen aus dem Pott“. Erfolgreich, aber eben mit dem Geruch der Herkunft aus Hagen behaftet, einer Stadt, die ihnen Heimat bleibt, was man auf den Metropolen-Boulevards nicht wirklich versteht. Doch neuerdings stehen die Telefone nicht still. Die Leute vom „Spiegel“, von der „FAZ“, von der „Brigitte“, von „Hier und Heute“ sowieso, die wollen Interviews. „Wir haben sogar um 7 Uhr im Morgenmagazin live gespielt, das sind Sachen, die man in unserem Alter gar nicht mehr machen sollte“, resümiert Rolf Möller (64) fröhlich. Nach 12 Jahren hat die Band Extrabreit ein neues Album herausgebracht, das sofort auf Platz 13 der Charts eingestiegen ist.

Die Musikwelt läuft Sturm vor Begeisterung, und die Breiten sind plötzlich nicht mehr diese Ex-Neue-Deutsche-Welle-Kapelle. Sie sind die Helden, die es geschafft haben, sich nicht vom Business windkanaltauglich schleifen zu lassen.

Die Musik made in Hagen ist anders und neu

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„Ja, was wollen DIE denn eigentlich noch“, solche Sätze haben sich Rolf Möller, als Schlagzeuger das rhythmische Herz der Band, und Stefan Kleinkrieg (65), Gitarrist und Komponist, oft angehört. Die Breiten sind eine Liveband, vor allem ihre Weihnachtstour ist beliebt. 37 Konzerte mussten sie wegen Corona absagen, fast alle ausverkauft. So könnte es noch lange weitergehen, erfolgreich, wenngleich unbeachtet. Aber dann kam „Auf Ex“ dazwischen. „Wir wissen nicht, wohin und wie lang die Reise geht“, heißt es in dem Song „Vorwärts durch die Zeit“. Das versteht Extrabreit nicht als Frage, sondern als Auftrag weiterzumachen.

Melancholische Texte

Die Musik ist anders, neu. Natürlich ist sie tanzbar, wild. Die Texte sind gesellschaftskritisch, gut beobachtet und melancholisch. Aber das ist nur die Oberfläche. Dahinter verbergen sich viele Tiefen und viele Farben. Rolf Möllers Trommelsoli etwa, welche den Gitarrensound in Richtung ganz großes Kino katapultieren. Oder das wunderbar elegische Gitarrensolo in „Seine Majestät der Tod“. Das hat schon was von Franz Schuberts bittersüßen Blicken hinter die Grenzen der menschlichen Existenz.

Die Lyrik von Kai Havaii spricht Menschheitsthemen an. „Wir haben uns damit auseinandergesetzt, wie endlich das Leben ist. Das findet man in Rock oder Pop nicht häufig“, konstatiert Stefan Kleinkrieg. „Wir wissen im Gegensatz zum Tier um unsere Endlichkeit.“ Auch der Song „Winter“ greift Motive und Metaphern auf, die tief in die Schwarze Romantik reichen. „Am Horizont seh’ ich schon Reiter. Ihr Schreien dringt schon an mein Ohr. Es wird ein langer dunkler Winter. So wie er selten war zuvor.“

Mit Tränen vor dem Kalender

Corona trifft Extrabreit hart, wie alle Künstler und Soloselbstständigen . „Wir sind ziemlich traurig, dass wir mit diesem Album jetzt nicht auf unsere Weihnachtsblitztour können“, sagt Stefan Kleinkrieg. „Dann hätte das noch einen ganz anderen Stellenwert.“ Seit März haben die Breiten keine Auftritte mehr gehabt. Das heißt: Auch das Backstage-Personal konnte seit März nichts verdienen. Rolf Möller: „Ich sitze hier mit Tränen in den Augen vor dem Kalender. Es gibt nur rote Kreuze. Hamburg, München, Düsseldorf, alles abgesagt, das tut weh.“ Extrabreit ist keine junge Gruppe mehr, die Uhr läuft. „Eine Band wie wir steckt so ein verlorenes Jahr nicht leicht weg. Wir müssen es mit Humor nehmen, sonst werden wir wütend“, weiß Kleinkrieg.

Das neue Album „Auf Ex“ ist aber auch ein Testballon. Haben sie es noch drauf? Können sie neue künstlerische Impulse setzen? Sie können. Der Erfolg bestätigt den Anspruch: „Es ist das erste Mal, dass die Leute querbeet das ganze Album gut finden und nicht nur einzelne Titel. Meine Kinder sind total begeistert von der Musik und von den Texten. Das ist ein schönes Phänomen“, freut sich Rolf Möller.

Spaß auf dem Vulkan

Derart im Ruhmesglanz konnte sich Extrabreit nicht immer sonnen. Nach den großen Erfolgen in den 80ern ging es erfolgstechnisch auf Achterbahnfahrt. Doch die Breiten spielten weiter, an unbekannten Orten, vor kleinem Publikum. Das zahlt sich jetzt aus. „Bald haben wir 1600 Konzerte hinter uns“, rechnet Rolf Möller. „Ich bin stolz darauf, dass wir es noch mal hingekriegt haben.“ Oder wie es in „Vorwärts durch die Zeit“ heißt: „Den vollen Spaß auf dem Vulkan. Hat nur der, der tanzen kann.“