250 Jahre Beethoven. Warum fasziniert dieser Komponist noch immer, und zwar auch Rockmusiker und Unmusikalische. Acht Gründe für Beethoven

Die Frauen

„Deine Liebe macht mich zum glücklichsten und unglücklichsten zugleich“, schreibt Beethoven an die namenlose „Unsterbliche Geliebte“. Damit trifft er den Kern des Problems. Frauen himmeln ihn an, vor allem die Klavierschülerinnen. Er wiederum liebt die Frauen, und er verliebt sich in Frauen. Aber eine dauerhafte Bindung oder Ehe ergibt sich daraus nie. Mal sind die Frauen verheiratet, mal treten andere Hindernisse auf. Die Konflikte, die seine Musik unter dem Stichwort „durch Nacht zum Licht“ so erhebend und befreiend werden lassen, sie sind tief in Beethovens Persönlichkeitsmuster angelegt. Einsamkeit ist für ihn als Künstler lebensnotwendig, aber er sehnt sich nach der Zweisamkeit. Die lebenslange Spannung zwischen dem Wunsch nach Vereinigung und dem Versagen der Vereinigung sublimiert er in seiner Musik.

Die Ohren

Mit nur 27 kommt die Katastrophe. Beethovens Gehör lässt nach, mit 45 wird fast alles weg sein. Musik hört er nur noch in sich. Absurde Maschinen, sinnlose Therapien, etliche Ärzte, deren Versuchskaninchen er wird. Sie machen alles nur noch schlimmer, seine Menschenfeindlichkeit vor allem. Mit Gästen unterhält er sich schreibend, so entstehen die berühmten Konversationshefte. Beethoven schämt sich, kein Instrument mehr hören zu können; ihn regiert „traurige Resignation“. Aber genauso der Wille, nicht aufzugeben. Typisch.

Der Alkohol

Kein Genie ohne Klischees. Auf Beethoven treffen sie alle zu? Melancholie, Einsamkeit, Absonderlichkeit, schlimme Kindheit. Der Alkohol gehört dazu. Beethoven stirbt an Leberzirrhose und Bleivergiftung. Der billige Wein, den er täglich trinkt, ist mit Bleizucker gesüßt statt mit teurem Rohrzucker. Schon mit elf Jahren soll der junge Beethoven auf der Flucht vor seinem gewalttätigen Vater in Bonn im Wirtshaus gesessen haben. Als er 16 ist, stirbt die geliebte Mutter, und der Vater verliert völlig die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum. Der junge Musiker steht mit der finanziellen Verantwortung für die ganze Familie da. Die Berichte über Beethovens eigenen Alkoholmissbrauch müssen gleichwohl eingeordnet werden. Da das Wasser keimbelastet ist und als gesundheitsschädlich gilt, trinkt man Wein oder Bier in großen Mengen – gegen den Durst.

Das Chaos

Der Cellist Steven Isserlis (*1958) hat eine grandiose Anekdote auf Lager. Sein Großvater, Pianist, sucht 1922 in Wien eine Wohnung. Er findet ein Objekt. Die Besitzerin aber ist 102 und hat ein gutes Gedächtnis: Nein, an Musiker vermiete ihre Familie nicht mehr. Bei ihrer Tante hätte mal einer gewohnt, der dauernd auf den Fußboden spuckte. Name: Beethoven! So sehr ihm die Musikgeschichte das Unangepasste dankt, so schlimm trifft es den Alltag. Essensreste auf Partituren? Normal. Der Nachttopf? Steht – bis zum Überfluss. In seinen Werken: Perfektionist. Ansonsten: Schlamper. Beethoven über Beethoven: „Meine Haushaltung sieht einem Schiffbruche beynahe ähnlich.“

Der Götterfunke

Der Begriff der Freiheit ist Beethovens Leitstern. Schon als Junge kommt er in Bonn mit den Ideen und politischen Strömungen im Gefolge von Aufklärung und Revolution in Kontakt. Das „Neue“ in Beethovens Musik ist, dass sie etwas zu sagen hat. Beethoven schreibt Bekenntnismusik, die gleichsam an die ganz Menschheit adressiert ist. Nichts liegt dem Bürger Beethoven ferner, als mit seinen Klängen ein paar Adelige beim Kartenspiel zu zerstreuen. Beethoven ist der erste freiberufliche Komponist. Zugleich aber sehnt er sich nach einer festen, sicheren Anstellung, als Kapellmeister zum Beispiel. Mäzene versprechen ihm ein festes Gehalt, um ihn in Wien zu halten. Doch das muss er nach der Geldentwertung infolge der Napoleonischen Kriege gerichtlich einklagen. Die 9. Sinfonie wird Vermächtnis und Utopie zugleich. Sie ist Musik für eine neue Zeit, eine Gesellschaft freier und gleichberechtigter Menschen.

Die Firma

Mag sein Abgott Händel im Komponistenberuf ungekannten Wohlstand erreicht haben. Beethoven definiert den Beruf in einer Unabhängigkeit, die weitgehend ohne Bückling auskommt. Adelsnähe? Gewiss. Abhängigkeit? Nein! Das führt mehrfach zu beleidigten Förderern. Aber Beethoven macht immer klar: Das, was ich kann, wird euch kein anderer geben. Er kann verhandeln. Für einen Freiberufler in Sachen Musik steht er finanziell weit oben. Es hilft dem Schwierigen wenig: Oft fühlt er sich (grundlos) arm, viel Geld rinnt ihm durch Sinnloses durch die Hände. In 57 Lebensjahren zieht er geschätzte 75 Mal um.

Der Herzschlag

Beethovens Musik hat die Zeitgenossen in tiefe Verwirrung und Aufregung gestürzt und fasziniert ungebrochen. Wie kann man diese revolutionären Klänge heute fassen? Das funktioniert möglicherweise über Beethovens Rhythmus, seine Tendenz zu Taktverschiebung und Stolperpuls (eins und eins Und eins). Dadurch erzeugt er eine musikalische Energie, die sich in bis dato undenkbaren Beschleunigungen und Steigerungen entlädt, sich aber auch in unerhörten Vollbremsungen zurücknehmen kann. Der Nukleus dieser energetischen Kernschmelzen ist oft denkbar banal: Aus „ta da da daa“ wird eine 39 Minuten lange Fünfte Sinfonie. Die leeren Quinten zum Beginn der Neunten Sinfonie bilden das auskomponierte Nichts, also einen Riss in der Ewigkeit. Das alles sind „unmögliche“ Motive. Wie kommt einer auf so etwas? Diese Frage lässt sich nicht beantworten. Oder vielleicht doch? Götterfunken.

Das Vermächtnis

Nein, mit dem Vermächtnis meinen wir nicht das saftige Aktienpaket und die umgerechnet 150.000 Euro, die Beethoven hinterlässt. Was Musikfreunde bis heute anrührt, ist ein Brief, den er 1802 in Heiligenstadt an seine Brüder schreibt: eine tragische Offenbarung, aber auch musikalisches Welterbe ohne Noten. Ein Star bekennt, dass er ertaubt. Von Selbstmord ist die Rede. Und davon, dass sein Wesen ein Werk der Krankheit ist: Die ihn „feindselig, störrisch oder misantropisch“ erleben, bittet er, der keine Flöte mehr hören kann, keinen Hirten mehr singen, um Verzeihung. Das „Heiligenstädter Testament“ wird einer, der sich dem Tod nahe glaubt, um ein Vierteljahrhundert überdauern. Am Leben hält ihn: Musik.

Gibt es noch neue Erkenntnisse über Beethoven? Mein Beethoven-Horizont hat sich erheblich erweitert, seitdem Ensembles wie „La Chambre Philharmonique“ unter Emmanuel Krivine die Wurzeln der Janitscharenmusik und der Französischen Revolutionsmusik in Beethovens Sinfonien freigelegt haben. Beethovens Rhythmus hat Vorbilder in den türkischen Perkussionsinstrumenten wie Basstrommel, Triangel, Zimbeln und Becken, das muss man zum Klingen bringen können. Den Marsch der Französischen Revolution mit seinem „Elan Terrible“ als Energiequelle Beethovens haben mehrere Dirigenten entdeckt. Allen voran ist Nikolaus Harnoncourt zu nennen, dessen frühe Interpretationen von Beethoven-Sinfonien eine Sensation darstellten für ein Publikum, das gewohnt war, das Schicksal dräuend an die Pforten klopfen zu hören. Der Klarinettist Eric Hoeprich hingegen, einer der führenden Interpreten für das Spiel auf historischen Instrumenten, zeigt mit seinem „Ensemble Nachtmusique“ in einer Bearbeitung des „Fidelio“ als Harmoniemusik den volkstümlichen Beethoven. (Monika Willer)

Am Morgen ganz puristisch: Beethoven für den Flügel. Ich gratuliere (mir, dass es so etwas Schönes gibt) mit der 18. Sonate. Mein Herz schlägt jetzt weniger dem Rebellen und Unbequemen. Nein, in dieser fast schwerelosen Komposition umarmt einer die Welt, verschenkt sein Herz. Es spielt: Wilhelm Kempff.

Dann aber muss schon ein großes Orchester her, dem Ehrentag die Ouvertüre zu spielen. Mein Beethoven-Liebling ist „Coriolan“. Dieser Anfang!: wie eine zum Reißen gespannte Bogensehne. Dann löst sich der Pfeil, trifft Takt für Takt das große Drama. Enorm glutvoll gedeutet von der Deutschen Kammerphilharmonie unter Paavo Järvi.

Erst zur Nacht wird es kammermusikalisch, wenn das Suske-Trio mit der Nr. 1, op 9 das Tor zu betörender Kammermusik aufstößt. Der Tag aber sei ein rauschendes Fest: Auf Beethovens Violinkonzert (mit dem genialen Leonidas Kavakos, BR-Symphoniker) folgen meine liebsten Sinfonien: Bruno Walter dirigiert mit den Columbia Symphonikern die „Eroica“, André Cluiytens und die Berliner Philharmoniker bitten zur „Pastorale“. (Lars von der Gönna)