Hagen. Ab Montag gelten die neuen Corona-Maßnahmen. Wie empfinden Gastronomen, Pflegekräfte, Jugendtrainer oder auch Eltern die Situation?

Am Montag beginnt das November-Experiment: Deutschland fährt das gesellschaftliche Leben zurück. Nachdem die bisherigen Corona-Schutzmaßnahmen weder steigende Infektionszahlen noch mehr Patienten auf Intensivstationen verhindern konnten, wollen Bund und Länder mit Hilfe drastisch verschärfter Regelungen eine unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus’ verhindern. Kontakte vermeiden, so die Maxime beim großen Deutschland-Test.

Die Regeln werden sich in vielerlei Hinsicht auswirken – nicht nur dort, wo Einrichtungen wie Restaurants oder Fitnessstudios geschlossen werden. An dieser Stelle lassen wir daher stellvertretend für viele andere unmittelbar Betroffene Vertreter von Berufsgruppen, aber auch eine Mutter, eine Sterbebegleiterin und einen Rentner zu Wort kommen.

Die Reaktion einer Oberärztin

Yvonne Reuß, Oberärztin am Klinikum Hochsauerland.
Yvonne Reuß, Oberärztin am Klinikum Hochsauerland. © Klinikum Hochsauerland

In den vergangenen Tagen haben wir eine deutliche Zunahme an Corona-Patienten gesehen. Wir versorgen bereits heute mehr Patienten als in der ersten Phase der Pandemie im März und April. Mit verschiedenen Maßnahmen haben wir uns auf die steigenden Corona-Infektionszahlen vorbereitet. Daher ist die Versorgung in unserer Region bisher gesichert. Aber auch unsere Möglichkeiten sind irgendwann ausgeschöpft. Daher bin ich froh, dass nun zusätzliche Maßnahmen greifen, die hoffentlich helfen, eine weitere unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu verhindern. Es ist wichtig, die Fallzahlen zu reduzieren, bevor die Auslastung in den Kliniken möglicherweise irgendwann kritisch wird.

Yvonne Reuß (36), Oberärztin Innere Medizin und Corona-Station am Klinikum Hochsauerland in Arnsberg, das an seinen vier Standorten über 70 Intensivbetten verfügt.

Die Meinung einer Betreiberin eines Fitnessstudios

Anja Dransfeld will sich trotz der Schließung ihres Studios „irgendwie durchbeißen“.
Anja Dransfeld will sich trotz der Schließung ihres Studios „irgendwie durchbeißen“. © Tobias Schürmann

Der Beschluss, dass Fitnessstudios schließen müssen, ist eine Katastrophe. Zumal die Branche viel investiert hat, um Hygieneregeln einzuhalten. Wir werden unseren Kunden jetzt digitale Programme anbieten – beim Lockdown im Frühjahr kam bei uns oft die Rückmeldung an, dass die Menschen eine Struktur im Alltag brauchen – und seien es tägliche Fitness-Übungen. Mein Studio ist seit sieben Jahren auf dem Markt. Im Vergleich zu Neulingen haben wir es da leichter, zu überleben. Wir beißen uns irgendwie durch.

Anja Dransfeld, 47, Balve, HönneVital

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Die Reaktion einer Mutter

Unter den getroffenen Hygienemaßnahmen finde ich gut, dass die Kinder weiterhin zur Schule gehen können und so einen geregelten Tagesrhythmus haben. Obwohl in den Schulen viele Kinder zusammenkommen – die Konzepte sind dort durchdacht. In den Schulbussen sieht das aber anders aus.

Allaine Morche, Gevelsberg, Mutter und Mitarbeiterin einer Sonderschule

Die Meinung eines Wirtes

Die Situation unserer Branche ist mit einem Wort zu beschreiben: bescheiden. Viele Gastronomen haben viel Geld in die Hand genommen, um einen Restaurantbesuch möglichst gefahrlos zu machen. Andererseits gab es auch schwarze Schafe, die die Regeln nicht 1:1 umgesetzt haben. Denen haben wir auch zu verdanken, dass es jetzt so weit gekommen ist. Ich hoffe, dass dennoch viele überleben werden. Die Senkung der Mehrwertsteuer am 1. Juli hat uns Luft verschafft.

Thomas Bielefeld, 58, Hagen, Restaurant Novy’s

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Das sagt der Leiter des Hagener Ordnungsamts

Die ständig wechselnden Regelungen erfordern eine hohe Interpretation durch die Ordnungsbehörden. Es ist eben nicht die Lösung, kurzerhand neues Personal einzustellen. Außendienst-Mitarbeiter haben nicht ohne Grund eine Ausbildung – sie müssen wissen, wie sie kommunikativ und rechtssicher vorgehen. Wir decken den höheren Bedarf, indem wir andere Schwerpunkte setzen. Dabei helfen personelle Umschichtungen: Politessen werden ebenso bei Corona-Kontrollen eingesetzt wie „Waste Watcher“ (Mülldetektive).

Thomas Lichtenberg, Leiter des Hagener Ordnungsamts

Die Reaktion eines Fachpflegers einer Intensivstation

Wir empfinden die aktuelle Situation als besonders belastend. Patienten, Angehörige und auch Pflegende werden gleichsam von der strikten Besuchsregelung mental belastet. Wir versuchen dann durch digitale Medien Abhilfe zu schaffen. Durch die Zugangsbeschränkungen wird dieser Zustand zumindest gedämpft.

Konrad Dietershagen, 40, Fachpfleger Intensiv im St. Marien-Krankenhaus Siegen

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So sieht ein Einzelhändler die Maßnahmen

Peter Enders von Meiworm Mode in Olpe.
Peter Enders von Meiworm Mode in Olpe. © privat

Die katastrophale Entwicklung bei den Infektionszahlen rechtfertigt schärfere Maßnahmen. Der Einzelhandel hat sich zuletzt gut erholt. Die Kunden haben das Maskentragen und andere Regeln akzeptiert. Ich glaube nicht, dass sie jetzt die Läden meiden. Sie haben gemerkt, dass sie sich bei uns sicher fühlen können, wenn sie Abstands- und Hygieneregeln einhalten. Dass Zentren wegen geschlossener Gastronomien und Kontaktbeschränkungen leerer sind, wirkt sich eher in größeren Städten negativ aus.

Peter Enders, Olpe, Meiworm Mode

Die Meinung eines Rentners

So wie derzeit darf es nicht weitergehen, daher finde ich die neuen Regeln richtig. Irgendetwas musste doch passieren, wenn die Zahlen so in die Höhe schießen. Ich bin zwar nicht in Sorge um mich und meine Gesundheit, aber ich achte natürlich darauf, dass ich nur mit wenigen Leute zusammen bin. Aber offenbar handhabt das nicht jeder so. Ich finde schon, dass die jüngere Generation, die zum Teil feiern geht, das Virus nicht so locker nehmen sollte. Dass jetzt die Gaststätten und Sportanlagen geschlossen haben, finde ich natürlich schade, weil ich gern zum lokalen Fußball-Klub gehe, aber auch zum BVB oder den Iserlohn Roosters. Aber damit muss ich eben jetzt leben.

Lothar Schmidt, 67, Rentner aus Hemer

Das sagt der Jugendtrainer

Pasquale Cosentino trainiert die U-11-Jugend beim TuS Sundern.
Pasquale Cosentino trainiert die U-11-Jugend beim TuS Sundern. © privat

Ich begrüße die neuen Maßnahmen in jedem Fall. Sie sind richtig, wie sie sind. Es muss einfach sein, auch wenn es weh tut. Wir wissen zwar aus dem Frühjahr, wie die Kinder gelitten haben, wenn kein Training und kein Spiel stattfinden, aber wir müssen derzeit an die Gesundheit der Menschen denken. Ich bekomme das in unsere Trainer- und Elterngruppe mit, dass da Sorgen formuliert werden ob der steigenden Infektionszahlen. Ich und meine Spieler haben uns nie so richtig unsicher gefühlt, weil bei uns die Zuschauerzahlen auch sehr gering sind. Aber es gibt ja auch Mannschaften, die vor deutlich mehr Zuschauern spielen, da wird es einem schon
anders.

Pasquale Cosentino, 37, U-11-Jugendtrainer des TuS Sundern

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So empfindet es die Sterbebegleiterin

Es ist gnadenlos in Bezug auf Menschen, die sterben müssen. Natürlich habe ich angesichts der immer weiter steigenden Infektionszahlen Verständnis für die Entscheidung der Politiker. Konkret bedeutet das aber auch eine immer schwieriger werdende Sterbebegleitung. In den Krankenhäusern wird nun alles wieder dicht gemacht. Ich begleitet zurzeit zwei sterbende Frauen, die Zuhause geblieben sind. Natürlich werde ich weiter für sie da sein. Sorge bereitet mir auch die Kultur. Muss sie tatsächlich so heruntergefahren werden? Für mich ist es nicht nachvollziehbar. In den Theatern haben die Verantwortlichen mit vielen Maßnahmen vieles richtig gemacht und werden jetzt dafür bestraft.

Conny Bücken, 67, ehrenamtliche Sterbebegleiterin aus Wetter