Hagen/Arnsberg/Marsberg/Siegen. Die Nachfrage nach der Grippe-Impfung ist derzeit hoch. Wir haben Ärzte gefragt: Wie sinnvoll ist die Grippe-Impfung im Corona-Winter?
Die Infektionszahlen steigen in Deutschland und das Coronavirus beschäftigt nach wie vor und mehr denn je auch die Hausärzte. Sie müssen sich in den Praxen dem Ansturm der Erkälteten, Vergrippten und Coronavirus-Infizierten stellen – und sorgfältig unterscheiden. Wer braucht einen Test? Wer muss in Quarantäne? Was ist in dem Fall mit dem Partner und den Kindern? Und wie sinnvoll ist eine Grippe-Impfung dieses Jahr? Wir fragten vier Mediziner in vier Städten.
Grippe-Impfung im Coronavirus-Winter: Ja oder nein?
Vier Ärzte, eine Meinung - ja, das gibt’s auch. Zumindest beim Thema Grippe-Impfung. Die Mediziner und die Krankenkassen empfehlen sie, gerade in diesem Winter. „Ich halte das für eine sehr wichtige Maßnahme. Die Impfung schützt zwar nicht direkt vor Corona, aber sie schützt das Immunsystem“, sagt Dr. Christoph Henrichs, Allgemeinmediziner aus Hagen. Geschwächt von einer Grippe sei der Körper anfälliger für das Coronavirus.
Die Grippeimpfung könne eine Covid-Erkrankung möglicherweise positiv beeinflussen, indem sie eine gewisse Vor-Immunisierung schaffe, sagt Dr. Hans-Heiner Decker, Mediziner aus Arnsberg: Der Körper könne Covid dadurch besser verarbeiten. „Das sagen die Virologen nach jetzigem Kenntnisstand und danach wird gehandelt“, sagt Decker.
Die Menschen folgen dem Rat. „Die Nachfrage ist extrem groß“, sagt Dr. Henrichs. „Selbst Patienten, die seit Jahren die Grippe-Impfung ablehnen, melden sich und wollen geimpft werden.“ So auch Siegen in der Gemeinschaftspraxis des Ehepaars Klaus und Martina Siegeris. 600 Impfdosen haben sie bestellt. „Doppelt so viele wie im vergangenen Jahr“, sagt Klaus Siegeris, „und ich denke, dass wir sie auch alle verbrauchen werden.“
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt, sich im Oktober oder November impfen zu lassen. In der Regel schützt eine Impfung für sechs bis zwölf Monate. Ältere Menschen ab 60 Jahren, Schwangere und Kinder sollten sich gegen die Influenza impfen lassen, lautet der allgemeine Rat. Und in Zeiten der Corona-Pandemie sollten das auch Menschen tun, die zu einer Risikogruppe gehören, so das Robert-Koch-Institut (RKI).
„Jemand, der 38 ist und topfit, muss sich nicht unbedingt impfen lassen“, sagt Dr. Martin Röhrig aus Marsberg. „Wir haben ja nicht 80 Millionen Impfdosen.“ Hundert mehr Dosen als im Vorjahr hat er bestellt, da war er im Januar ausverkauft. „Wer eine braucht, sollte sich im Oktober oder November melden, damit er eine kriegt.“
Wartezeiten gibt es derzeit keine, sagt Dr. Decker. „Nachfragen reicht, dann geht’s auch zügig.“ So sieht’s bei den anderen auch aus. „Panik zu machen, dass es nicht genügend Impfstoff gäbe, ist fehl am Platz“, sagt Dr. Henrichs.
Bei Schnupfen gleich einen Coronatest?
Ob Patienten auf das Coronavirus getestet werden, entscheidet Hans-Heiner Decker unterschiedlich, wie er sagt. In der Regel sollte bei Symptomen wie Husten, Schnupfen oder Fieber zwar immer ein Coronatest gemacht werden, vor allem mit Blick auf den Winter könnten die Kapazitäten aber eng werden. „Wenn mehr Patienten kommen, reichen die Abstriche und die Labor-Kapazitäten womöglich nicht mehr aus.“ Die Entscheidung für oder gegen einen Test liege am Ende bei ihm. „Wir müssen die wichtigsten Patienten zuerst untersuchen“, sagt er. Wer jung sei und nur wenige und leichte Symptome habe, den schicke er auch mal ohne Test nach Hause und empfehle eine Quarantäne. Verordnen könne die allerdings nur das Gesundheitsamt.
Martin Röhrig aus Marsberg und Christoph Henrichs aus Hagen sehen es ähnlich. „Jemanden, der Fieber hat, muss ich testen“, sagt Henrichs. Eine verstopfte Nase könne zwar theoretisch bei Covid-19-Infektionen auftreten, wahrscheinlich sei es aber nicht. Unter Inkaufnahme einer Restunsicherheit kann es also heißen: kein Corona-Test, drei Tage krank schreiben, Kontakte meiden, Krankheitsbild beobachten – und bei Genesung wieder in den Alltag starten. „Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass es ein Restrisiko gibt, selbst wenn wir noch so sehr alles versuchen“, sagt Röhrig.
Das gelte auch für das Umfeld von Patienten, die einen Corona-Test gemacht haben und auf das Ergebnis warten: Sie selbst sollten sich dann in freiwillige Quarantäne begeben, Kinder oder Partner, die im gleichen Haushalt leben, unterliegen keinen Einschränkungen.
Nicht jeder Patient werde sofort getestet, sagt auch Klaus Siegeris aus Siegen. „Ist es ein trockener Husten oder sieht es nicht aus wie ein normaler grippaler Infekt, weil es keinen Eiter im Rachen gibt, dann machen wir einen Corona-Abstrich“, erklärt Siegeris. Die steigenden Infektionszahlen bereiten ihm keine Sorgen. Er glaube nicht, dass im Herbst wieder mehr Menschen sterben werden. Das Coronavirus könne vor allem für ältere Menschen ab 60 Jahren tödlich sein. Die steigenden Infektionszahlen erkläre er sich durch die Massentests vor allem bei Reiserückkehrern. Dass es dabei weniger Todesfälle gebe, könne daran liegen, dass eher jüngere Menschen infiziert waren.
Fieberpraxen? Ja oder nein?
Bei der Frage, ob es zentrale Einrichtungen geben sollte, an die sich Patienten mit Atemwegserkrankungen wenden können, um die Hausarztpraxen zu entlasten, liegen die Hausärzte nicht auf einer Linie. Klaus Siegeris hält Fieberpraxen nicht für sinnvoll, weil er davon ausgeht, dass sich der Mehraufwand in Grenzen hält. In seiner Praxis ist ein eigenes „Infektionszimmer“ eingerichtet worden, in dem Patienten mit entsprechenden Symptomen getrennt von anderen empfangen werden können.
Auch Dr. Henrichs aus Hagen hat so ein Zimmer. Er findet Fieberpraxen dennoch sinnvoll. „Die haben sich bewährt“, sagt er im Hinblick auf das Frühjahr, als solche Zentren eingerichtet worden waren. „Fieberpraxen würden Sinn ergeben, mindestens an den Wochenenden, wenn möglich auch unter der Woche. Aber das wird personell nicht zu stemmen sein.“
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) ging jüngst davon aus, dass die großflächige Wiedereröffnung von Fieberpraxen nicht notwendig sei, dass die Hausärzte der Arbeit gewachsen sein werden. „Gerade im ländlichen Raum sind Fieberpraxen als zentrale Anlaufstelle wegen größerer Fahrtzeiten schwierig“, sagt KVWL-Sprecherin Jana Elbert. In Einzelfällen könnten aber solche Diagnose-Zentren eröffnet werden. Dies sei innerhalnb weniger Tage möglich.