Hallenberg. Wie Enrico Eppner in zwei Jahren politischer Karriere schaffte, was noch nie da war und wie in Menden ein Paar Politik und Privates trennen muss.
Der Tag nach der Kommunalwahl : Das Konfetti ist zusammengekehrt – oder wahlweise auch die Scherben. Bürgermeister und Landräte wurden neu gewählt oder bestätigt. Politische Routine. Doch so manches ist eben keine Routine, weil die Protagonisten oder ihre Geschichte so besonders sind. Wie in diesen vier Episoden.
Der Aufsteiger
Früh am Montagmorgen machte sich Enrico Eppner (34) auf den Weg zu seinem Großvater. Der ist 93 Jahre alt und hatte den großen Abend seines Enkels nicht aus der Nähe mitverfolgen können. Am Tag danach standen sie sich dann gegenüber. „Er hat mich in den Arm genommen und mir gesagt, wie froh er ist, dass er das noch erleben darf.“
Eppner bewundert seinen Großvater. Dieser habe viele Wege geebnet und sei immer schon sehr an Politik interessiert gewesen. Und jetzt, tja, jetzt hat er da nicht nur seinen Enkel im Arm, sondern auch den neuen Bürgermeister von Hallenberg . Mit überwältigender Mehrheit von fast 70 Prozent gewählt – und das als FDP-Mann in einem Ort, den alle, die jünger als 90 sind, eigentlich nur in CDU-Hand kennen. „Das ist ein bisher einmaliges Ereignis“, sagt Eppner.
Dass es mal so kommen würde, dachte er selbst nicht, als er sich 2017 entschied, einer Partei beizutreten, weil er sich einbringen wollte. Er schaute sich alle Parteiprogramme an, entschied sich – und war damit das erste FDP-Mitglied überhaupt in Hallenberg. 2018 gründete er den Ortsverein mit und wurde sein Vorsitzender. Er ist Schießwart bei der Schützengesellschaft Hallenberg und war schon Schützenkönig, zudem ist er Mitglied bei der Feuerwehr, beim Hegering, im Imkerverein und in der Jagdhornbläsergruppe. „Nur die Katholische Frauengemeinschaft hat mich nicht aufgenommen“, scherzt er.
Mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern hat er letztes Jahr ein neues Haus in Hallenberg bezogen. Seinen Job – Sales Manager bei den Berleburger Schaumstoffwerken – kündigte er am Montagmorgen. Die Vorfreude auf das neue Amt ist groß. „Wir haben einen großen Vertrauensvorschuss von den Wählern erhalten und jetzt müssen wir liefern.“
Das Polit-Paar
„Letzte schwarz-grüne Sondierungsgespräche“, schreibt Matthias Eggers zu dem Bild auf Facebook am Sonntagnachmittag. „Gegenseitige Überzeugungsversuche sind alle fehlgeschlagen.“ Das langjährige Mendener CDU-Stadtratsmitglied hält auf dem Foto seine Freundin im Arm. Später veröffentlicht Marjan Nowak das gleiche Bild auf ihrem Facebook-Account: „Nun sind wir beide im Rat“, versehen mit zwei Herzen: das eine schwarzfarben, das andere grün. Die 35-Jährige ist an diesem Abend zum ersten Mal für die Grünen in den Mendener Rat gewählt worden. Seit vier Monaten sind die beiden ein Paar .
Eine Beziehung über die Parteigrenzen hinweg, kann das funktionieren? „Ich sehe da kein Problem“, sagt Matthias Eggers, „wir haben in bestimmten Punkten unterschiedliche Ansichten, das akzeptieren und respektieren wir.“ So zur Bürgermeister-Stichwahl in zwei Wochen: Eggers unterstützt den CDU-Kandidaten Sebastian Arlt , dagegen favorisiert Nowak den parteilosen Roland Schröder . „Das ist für jeden ein persönliches Thema, aber nichts, was zwischen unserer Beziehung steht“, sagt sie.
Ist es wirklich so einfach, Politik und Privates zu trennen? „Wir sind beide berufstätig und den ganzen Tag unterwegs. Wenn wir uns dann abends sehen, ist Politik schon das erste Gesprächsthema“, sagt die Krankenpflegerin. „Aber es gibt auch einen klaren Schlussstrich, wo wir sagen, das reicht jetzt für heute.“
Für Eggers ist es wichtig, jemanden gefunden zu haben, der seine Funktion versteht: „Marjan kann nachvollziehen, dass man auch mehrere Abende in Sitzungsräumen verbringt, weil sie es eben auch macht“, erzählt er. Beide haben das Gefühl, dass andere ihre Beziehung anders sehen, als sie selbst. „Matthias und ich definieren uns ja nicht darüber, dass er in der CDU und ich bei den Grünen bin“, so Nowak.
Der Abgewählte
Dietmar Heß klingt ruhig und gefasst. „Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, dann bin ich nicht so sicher, ob ich es nochmal so machen würde“, sagt der CDU-Mann , der bis Sonntag Bürgermeister der 17.500-Einwohner-Gemeinde Finnentrop im Kreis Olpe war – und nun unfreiwillig nach rund 30 Jahren als Gemeindedirektor und Bürgermeister abtritt. „Ich halte trotzdem für richtig, was ich getan habe, weil ich damit meinen Ansprüchen gerecht geworden bin und jeden Morgen weiterhin guten Gewissens in den Spiegel blicken kann.“
Was war passiert? Noch Ende 2019 hatte Heß angekündigt, nicht wieder antreten zu wollen. Im März dann die Kehrtwende: Heß tritt aus dem Amt heraus wieder an und zwar gegen den Kandidaten seiner eigenen Partei, Achim Henkel . Der Grund: Heß hatte auch öffentlich sehr massiv den Auswahlprozess für seinen Nachfolge-Kandidaten kritisiert und dessen Fähigkeiten in Zweifel gezogen. Am Sonntag nun das Votum der Bürger: nur 18,7 Prozent für Heß .
„Ich bin sehr dankbar für die Zeit, die ich hatte. Wir haben viel bewegen können“, sagt Heß nun, „das Ende ist nicht das, das ich mir gewünscht hätte.“ Den Wechselwillen der Bürger habe er unterschätzt. „Aber ich bin Demokrat und akzeptiere das Ergebnis total“, sagt er. „Was den Kopf angeht gehe ich nun sehr entspannt in den Ruhestand.“
Der Erfolgs-Sozi
Das fällt schon auf: Ein „Ich“ kommt Henning Gronau auch in einem längeren Gespräch kaum über die Lippen. „Wir“, sagt der 36-Jährige, wenn er über die vergangenen fünf Jahre als Bürgermeister der 6900-Einwohner-Gemeinde Erndtebrück im Wittgensteiner Land spricht. Wahrscheinlich ist das auch ein Baustein der Erfolgs. Mit gut 75 Prozent ist er trotz zweier Gegenkandidaten wiedergewählt worden . Noch erstaunlicher: Seine SPD legt in seinem Windschatten um 11,7 Prozentpunkte zu. Auf 47,7 Prozent. In einer Zeit, in der die SPD andernorts froh ist, auf 20 Prozent zu kommen. „Das ist ein Ergebnis, mit dem wir in unseren besten Träumen nicht gerechnet hätten“, sagt Gronau.
Spricht hier der neue Hoffnungsträger der NRW-SPD , der noch zu Höherem berufen ist? Denn zumindest der Zuwachs dürfte der höchste im ganzen Land sein. Henning Gronau winkt ab – ausnahmsweise mit einem „Ich“: „Damit habe ich mich überhaupt nicht beschäftigt. Wir haben in meiner ersten Amtszeit geheiratet, unser Sohn ist hier geboren, wir haben ein Haus in Erndtebrück gekauft.“
Traumjob Bürgermeister? Für die Unternehmensberatung PWC hat Henning Gronau zuvor Kommunen beraten, dann habe er gemerkt, dass ihn auch die andere Seite interessiert, dass er selbst gestalten wolle. Etwa so: Für 54 Wohneinheiten sei gerade Platz geschaffen worden. Menschen in der Region halten, das sind seine Themen: „Breitband ist für unsere Dörfer existenziell. Es gibt junge Leute, die wollen das Haus der Eltern nicht übernehmen, wenn es keinen guten Internanschluss hat.“
Sacharbeit will er leisten und auch mit fast absoluter Mehrheit die anderen Parteien im Rat einbeziehen, möglichst breite Beschlüsse fassen. Eine strenger Parteikämpfer wird er auch mit 75 Prozent im Rücken nicht.