Hagen. Geld gespart und mehr Zeit? Oder Leid und Einschränkungen? Was die Corona-Zeit mit uns gemacht hat und warum wir sie so unterschiedlich sehen.

Darf man das? Das Positive betonen, das man in der Corona-Krise erlebt hat und mitnehmen will in die Zeit nach der Pandemie? Oder verbietet sich das quasi angesichts vieler Toter, Erkrankter sowie wirtschaftlicher und sozialer Folgen? Die Meinungen bei den Menschen in der Region gehen auseinander. Und auch die Wissenschaft hat noch keine Antwort auf die Frage, was wir wohl lernen werden aus der Krise, wie sich das Leben nach der Krise verändern wird.

„Weil es eine unvergleichbare Situation ist“, sagt Professor Christel Salewski von der Fernuni Hagen. „Die hatten die allermeisten von uns zu ihren Lebzeiten noch nicht.“ Die Psychologin leitet den deutschen Part einer internationalen Studie über die Lebenssituationen der Menschen in der Corona-Krise.

Der subjektive Blick

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Steffie Schlep aus Arnsberg betont das Positive: „Wir haben Geld gespart, indem man nur das Nötigste gekauft hat. Sonst haben wir selber nicht viel von Corona gemerkt, außer dass alle immer Zuhause waren. Das ist schon gewöhnungsbedürftig.“ Die Bedingungen für sie und ihre Familie waren auch relativ angenehm: „Wir waren viel zuhause im Garten bei dem schönen Wetter und haben tatsächlich mal Gesellschaftsspiele rausgekramt.“

Heike Schäfer aus Menden hat dagegen ein ganz anderes Bild der Corona-Zeit: „Was bitte kann an einer Seuche positiv sein? Man selbst und die Freunde und Familien sind gefährdet und man hat Angst sich irgendwo anzustecken“, sagt sie und dabei fließen ihre ganz persönlichen Erfahrungen ein. „Ich musste arbeiten in einem Pflegeheim, wo sehr viele infiziert waren und auch viele daran gestorben sind, manches Mal hätte ich nur noch heulen können und immer die Angst, dass ich selbst krank werde oder meine Familie anstecken könnte. Keine privaten Unternehmungen, vier Wochen Quarantäne trotz negativem Test und nur arbeiten gehen und Leid sehen und hören.“

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Zwischen diesen beiden Polen liegen die Erfahrungen, die uns viele Menschen aus ganz Südwestfalen via Facebook geschrieben haben: Mal stehen Angst und Sorge im Vordergrund, mal die positiven Erlebnisse: Man habe mehr Zeit innerhalb der Familie gehabt, weniger Stress. „Man besinnt sich wieder auf kleine Dinge, die doch viel wichtiger sind, als man dachte“, sagt etwa Janine Thiele aus Iserlohn. „Mir fällt es leicht, auf alles Mögliche zu verzichten, aber mir fehlt es unheimlich, meine Lieben in den Arm zu nehmen.“

Der wissenschaftliche Blick

Es wird wohl frühestens im Herbst soweit sein, bis Christel Salewski klarer sieht. Erst dann wird es wohl genaue Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Studie „Lebens(ver)läufe während einer Pandemie“ geben, die die Leiterin des Lehrstuhls für Gesundheitspsychologie an der Fernuni Hagen für Deutschland betreut. Was lerne ich durch Corona? Welches sind die größten Schwierigkeiten? Das sind Fragen, die die Studie klären will. Mit allgemeinen Erkenntnissen aus der Vergangenheit wird man hier kaum weiterkommen.

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Ist etwa ein Effekt zu erwarten, wie bei den Neujahrs-Vorsätzen: Man nimmt sich etwa vor, auch nach der Pandemie mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, hält das aber genauso wenig durch wie den Fitnessstudio-Besuch in normalen Zeiten? „Das ist noch überhaupt nicht zu sagen“, sagt Prof. Christel Salewski: „Neujahr kommt jedes Jahr, aber diese Pandemie ist einmalig. Und das ganz Besondere ist: Sie wird kollektiv erlebt. Keiner bleibt von Folgen ausgenommen. Deshalb ist noch völlig offen, wie sich die Gesellschaft entwickeln wird.“

Christel Salewski.
Christel Salewski. © Fernuni Hagen

Und obwohl alle die Folgen erleben, werden sie höchst unterschiedlich wahrgenommen. „Die aktuellen Lockerungen wird ein gesunder 17-jähriger Teenager, der jetzt mehr unternehmen darf, viel positiver sehen als ein Mensch mit Vorerkrankungen, der jetzt vielleicht mehr Ängste hat als bei strengeren Restriktionen“, sagt Christel Salewski.

Drei Leitfragen stehen im Mittelpunkt der Studie, für die noch männliche Teilnehmer (siehe Kasten) gesucht werden: Welche Restriktionen haben Menschen tatsächlich ganz individuell erlebt? Was haben sie durch die Pandemie gelernt? Und auf was freuen sie sich am meisten, wenn die Restriktionen ganz aufgehoben sind? Die Antworten werden Aufschlüsse geben, was uns Corona tatsächlich bringen wird, wie sich auch die Arbeitswelt verändern wird. Christel Salewski geht aber schon jetzt davon aus: „Es wird eindeutig darum gehen, unsere persönlichen Ressourcen zu fokussieren. Und dabei spielt die persönliche Erfahrung eine große Rolle: Was ist in der Zeit gelungen?“