Hagen. Wie der Neustart der Kitas gelingen soll, ist noch unklar. Die Ungewissheit schürt Verunsicherung und belastet das Personal. Ein Besuch in Hagen.

Unter dem großen Sonnensegel liegt ein altes grünes Holzbötchen im Sand. Die Kinder des Matthäus-Kindergartens in Hagen kraxeln normalerweise darauf herum, springen hinein und wieder raus. Jetzt gerade herrscht Stille draußen. 24 Kinder sind heute da, alle noch drinnen. Aber es werden sehr bald mehr werden. Auf was sie da zusteuern? Fraglich. Wie so vieles. „Wir wissen nicht, worauf wir uns einstellen sollen, wie das ablaufen soll, welche Vorgaben es geben wird – und wie wir weitere Maßnahmen umsetzen sollen mit dem vorhandenen Personal“, sagt Cornelia Waga (61), die Leiterin der Kindertagesstätte. Sie kann derzeit kaum planen, muss auf Sicht fahren – und hoffen, dass aus dem Nebel kein Hindernis auftaucht. Wie alle anderen Kindergärten im Land auch.

Regelbetrieb: Juni statt September

Nach den weiteren Lockerungen, die die Landesregierung in der Corona-Krise beschlossen hat , dürfen ab Donnerstag nicht mehr nur Kinder von einem Elternteil in einem systemrelevanten Job betreut werden, sondern auch alle Vorschulkinder in Nordrhein-Westfalen. Ab dem 8. Juni, also in anderthalb Wochen, soll der eingeschränkte Regelbetrieb in den Einrichtungen aufgenommen werden. Eigentlich – so war die erste Planung - sollte dies erst im September der Fall sein. In der vergangenen Woche wurde der Termin von Familienminister Joachim Stamp (FDP) um drei Monate nach vorn verlegt. „Um ehrlich zu sein, war ich kurz geschockt“, sagt Cornelia Waga. Nicht, weil sie es falsch fände, dass Kinder wieder auf Kinder treffen. „Aber der Eindruck, dass heute so und morgen so entschieden wird, ist unbefriedigend“, sagt Waga.

Wenn die Kinder gebracht werden, müssen die Eltern Abstand halten. Erzieherin Marion Röttgers malt die Markierungen auf den Boden.
Wenn die Kinder gebracht werden, müssen die Eltern Abstand halten. Erzieherin Marion Röttgers malt die Markierungen auf den Boden. © WP | Michael Kleinrensing

Vor der Tür sind orangefarbene Striche auf dem Boden aufgebracht. Abstandslinien. Die Eltern reihen sich dort morgens ein, geben ihr Kind ab, holen es mittags wieder ab. Rein soll derzeit niemand. Im zentralen Flur ist durch Möbel ein Einbahnstraßensystem eingerichtet worden. Wenn eines der Kinder – zwischen zwei und sechs Jahre alt – auf die Toilette muss, soll es das entsprechende Schild an der Tür herumdrehen, damit klar ist, dass schon besetzt ist. Alles, damit sich die Krokodile nicht mit den Delfinen oder den Pferden mischen. So heißen die drei Gruppen der Einrichtung. Klappt das? Meistens. „Kinder sind keine Maschinen“, sagt Cornelia Waga.

Spielsachen desinfizieren

Schon jetzt muss oft und gründlich desinfiziert werden: Nach dem Frühstück, nach dem Mittagessen, nach dem Rausgehen. Auch Spielsachen müssen regelmäßig virenfrei gemacht werden. Vor allem dann, wenn Lukas oder Lisa die Bauklötze einem intensiven Geschmackstest unterzieht. Alles zusätzliche Aufgaben. Und Abstand hin oder her: Beim Trösten oder Windeln wechseln kommt man sich naturgemäß nah.

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Unter welchen weiteren Vorgaben der Betrieb ausgeweitet wird, ist noch nicht ausdiskutiert. Handreichungen gibt es vom Land noch nicht. Aber Cornelia Waga weiß wie viele andere Erzieher und Erzieherinnen im Land: Das wird nicht leicht. „Das eine ist die Theorie, an der sich die Politik entlanghangelt. Aber an vielen Stellen ist diese nicht mit der Praxis kompatibel.“

Sieben Arbeitskräfte: Dienstplangestaltung erschwert

Ein Meter und fünfzig Mindestabstand beim Mittagessen seien – nur mal als Beispiel – schlicht nicht möglich, wenn ein großer Teil der sonst 67 Kinder wieder da sei. Auch der Dienstplan macht der Chefin Sorge. Zehn Personen umfasst das pädagogische Personal. Wegen Krankheit und Vorerkrankung stehen derzeit nur sieben Arbeitskräfte zur Verfügung, davon drei in Vollzeit. Die Abstimmung des Dienstplans kostet Zeit. „Wir reagieren derzeit höchst flexibel auf den Bedarf der Eltern und richten den Dienstplan danach aus. Noch geht das, aber mit den zusätzlichen Lockerungen wird es personell problematisch werden.“

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20 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher gehören laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) der Risikogruppe an. Krankheiten und Urlaube können jede funktionierende Planung ins Wanken bringen. „Es wird ein wahrer Kraftakt werden, den Kindern und auch ihren Eltern mit einem verminderten Personalstand gerecht zu werden. Die Belastungen für die Erzieherinnen und Erzieher sind immens“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern.

Erfahrung macht gelassen

Seit 1986 leitet Cornelia Waga die Einrichtung. Die Erfahrung macht sie gelassener, trotzdem sagt sie, dass die Situation belastend sei. Für alle. Aufgrund der Ungewissheit „herrscht Verunsicherung bei allen Beteiligten. Das ist Stress für die Erzieherinnen und Erzieher, für die Eltern und für die Kinder.“ Aber es ist, wie es ist. Der 8. Juni wird der Tag, an dem die Türen wieder für alle geöffnet werden. Mit welchen Folgen? Fraglich.