Herdecke. Der Herdeckerin Kathrin Gunkler-Egeler geht es wie Tausenden anderen in diesem Land. Sie darf wieder arbeiten, aber wohin mit ihrer Sophie?

Kathrin Gunkler-Egeler (40) hat mehrere Versuche unternommen. Sie hat angerufen und Mails geschickt, aber die Antwort vom Kindergarten sei immer die gleiche gewesen: Natürlich, wir verstehen, Frau Gunkler-Egeler, aber wir können leider nichts für Sie tun. Sie müsse sich eine andere Möglichkeit für die Betreuung ihrer sechsjährigen Sophie suchen.

„Aber welche“, fragt die Mama und zuckt mit den Schultern. „Welche?“ Der Kindergarten, sagt sie, könne ja nichts dafür, der wolle sogar helfen. Aber die Diagnose ist unumstößlich: Ihr Job ist nicht systemrelevant.

Seit fast fünf Jahren Ladeninhaberin

Seit bald fünf Jahren ist sie Inhaberin eines kleinen Geschäfts in der Herdecker Innenstadt. „Es war immer der Traum von mir und meinem Mann, einen solchen Laden zu führen.“

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Er bietet alles rund ums Kind: Spielsachen, Kleidung, Accessoires. Sachen, wie das kleine Schild hinter ihr im Regal, „leben, lieben, lachen“ steht darauf. Aber zum Lachen ist Kathrin Gunkler-Egeler nicht. Denn sie muss ja von irgendwas leben.

Hat niemand die Familie auf dem Zettel?

„Ich bin enttäuscht“, sagt sie. Nicht, weil sie sich in der andauernden Corona-Krise auf einer Wichtigkeits-Stufe wähnen würde mit Polizisten, Ärzten, Krankenschwestern. Sondern weil es ihr wie derzeit Tausenden anderen in Deutschland geht, die zwar nach der zwischenzeitlichen Schließung ihrer Geschäfte wieder öffnen dürfen, für deren Kinder aber noch längst keine Möglichkeit gefunden ist.

Die Schulen haben größtenteils noch geschlossen, die Kindergärten und Kitas ebenfalls. Notbetreuung der Kinder gibt‘s nur für jene, die systemrelevante Jobs haben.

Die Familie als systemrelevanten Mikrokosmos hat bei den Plänen offenbar niemand auf dem Zettel. „Das ist doch ein Widerspruch. Es muss doch möglich sein, seinem Job wieder nachzugehen, wenn es wieder erlaubt ist, ohne dabei überlegen zu müssen, wo ich das Kind lasse.“

Ein kleiner Engel

Sophie ist sechs und eigentlich ein kleiner Engel. „Ein Kinderkind“, sagt die Mama. Soll heißen: Eine, die nichts mehr liebt, als mit anderen Kindern zu spielen.

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Seit Wochen sitzt sie im Laden mit der Mama, weil Papa mittlerweile einen anderen Job hat, der zudem Home-Office nicht zulässt. Die Großeltern? Risikogruppe.

Gegen Mittag kippt die Stimmung

„Gegen Mittag“, sagt die Mama, „kippt die Stimmung regelmäßig.“ Dann wird Sophie unleidlich. Es ist Mittag. Schröder, der Hund, den sich Sophie gewünscht hat und der ebenfalls im Laden ist, bellt.

Die Inhaberin kramt einen dicken Ordner hervor, fächert ihn auf, zeigt mit dem Zeigefinger auf ein Datum: Geschlossen hat sie den Laden am 18. März. Kurz danach begann sie mit Fensterverkauf und Lieferservice wieder.

Spielecke im hinteren Teil des Ladens

Einmal fuhr ihr Mann ein verkauftes Fahrrad persönlich nach Duisburg. Sophie richtete sich in dieser Phase im hinteren Teil des Ladens mit dem Spielzeug von zu Hause eine Spielecke ein. Das funktionierte noch ganz gut. Eigentlich.

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„Während andere Kinder die Zeit zu Hause im Garten verbringen konnten, war sie die Leidtragende, die hier bei mir sitzen musste. Das tut mir total leid für sie.“

"Unterhaltung" durch die Schaufensterscheibe

Kathrin Gunkler-Egeler erinnert sich an einen Moment besonders. „Es war wie im Zoo“, sagt die Mama. Freundinnen von Sophie seien an der geschlossenen Ladentür vorbeigekommen und vor dem Schaufenster stehen geblieben. „Die Kinder wollten sich durch die Schaufensterscheibe unterhalten, was nicht ging.“ Dann hätten sie sich Sprachnachrichten über die Handys der Eltern geschickt. „Völlig verrückt“, sagt Kathrin Gunkler-Egeler und wedelt mit der Hand vor dem Gesicht hin und her.

Verkürzte Öffnungszeiten

Erneuter Blick in den Ordner: Wiedereröffnung am 20. April. Eigentlich normaler Betrieb, nur mit verkürzten Öffnungszeiten. Fünf Stunden sitzt Sophie aber trotzdem täglich mit im Laden. Malt manchmal. Guckt in den Bildschirm in der anderen Ecke des Ladens, in der ein Schreibtisch steht, von dem aus Kathrin Gunkler-Egeler auch Reisen verkaufte, als es noch Reisen gab.

Sie hat das gelernt und macht das nebenbei weiter. Die Wünsche der Kunden hat sie berücksichtigt, Arrangements verändert, Umbuchungen vorgenommen. Alles mittlerweile nichtig, weil kostenfrei storniert. „Da sehe ich keinen Euro“, sagt sie.

Arbeiten unter erschwerten Bedingungen

Den Laden macht sie ja nicht nur zum Spaß auf: „Wir sind überglücklich, dass wir öffnen durften, dass wir unsere Kunden wieder persönlich betreuen können, dass wir wieder die Möglichkeit haben, Einnahmen zu erzielen.“

Aber es ist eben auch Arbeiten unter erschwerten Bedingungen: Mittlerweile sei es so, dass Sophie plötzlich Hunger bekommt, wenn Kunden da sind, oder dass sie ausgerechnet dann zur Toilette muss. „Sie will die Aufmerksamkeit, das spüre ich total.“

Land in Sicht?

Im Radio laufen die Nachrichten, dass es nun einen Fahrplan gibt, wie es in den Kitas im Land weitergeht. Eingeschränkter Regelbetrieb ab September.

Vorschulkinder wie Sophie dürfen ab dem 28. Mai wieder in die Einrichtung. Land in Sicht? „Das wird noch eine lange Strecke“, sagt Kathrin Gunkler-Egeler und schaut von der Türschwelle aus die Ladenzeilen zur rechten hinab. Kneipen, Restaurants. „Jetzt, wo ich sehe, wer wieder alles öffnen darf, frage ich mich: Wo lassen die alle ihre Kinder?“ Viele von ihnen werden es vermutlich schlichtweg nicht wissen.