Lüdenscheid. Professor Johannes Friemann obduziert am Klinikum Lüdenscheid jene, die das Virus nicht überlebt haben. Er warnt vor dem “unberechenbaren Feind.“
Noch immer gibt es besonders medizinisch viele Fragen rund um das Coronavirus. Prof. Dr. Johannes Friemann, Direktor der Pathologie an den Märkischen Kliniken in Lüdenscheid, kann Antworten liefern. Der 66-Jährige obduziert Menschen, die an Covid 19 versterben. Ein Gespräch über den Sinn von Obduktionen, den Aufbau einer zentralen Datenbank und die Gefahr des Virus.
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Kritiker behaupten, dass die geführten Corona-Todeslisten irreführend seien, weil schließlich nicht klar nachweisbar ist, ob die Patienten mit oder an Covid 19 starben. Inwieweit ist das nachweisbar?
Wir haben in Lüdenscheid bisher bei sieben Verstorbenen Obduktionen durchgeführt, bei denen zu Lebzeiten schon bekannt war, dass sie das Virus hatten. Bei zwei weiteren weisen unsere mikroskopischen Untersuchungen darauf hin, dass eine Infektion abgelaufen ist, das müssen wir aber noch beweisen. Ich kann ganz klar sagen: Alle sieben würden heute noch leben, wenn sie sich nicht infiziert hätten. Das Virus war bei allen die im Vordergrund stehende Todesursache.
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Waren das gesunde oder vorerkrankte Menschen?
Sie alle hatten ein solches Maß an gesundheitlicher Vorschädigung, dass wir das in der Bewertung nicht ausblenden können. Der Jüngste war 69, der älteste 79 Jahre alt, alle jeweils mit alterstypischen Vorerkrankungen. Es handelte sich überwiegend um Männer, aber das ist statistisch nicht aussagekräftig.
Welche Erkenntnisse über das Virus existieren bislang?
Das Universitätsklinikum Aachen baut derzeit ein Register für klinische Covid-19-Obuktionen auf. Ziel ist, Schädigungsmuster zu erkennen und die Therapie an die Erkenntnisse gegebenenfalls anzupassen. Um erste wissenschaftlich verlässliche Aussagen anhand ausreichend großer Fallzahlen treffen zu können, wird es noch einige Wochen dauern.
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Was sehen Sie denn bei Ihren Obduktionen?
Ich sehe typische Veränderungen vor allem in der Lunge, die ähnlich aussehen wie wir es bei sogenannten Schocklungen nach einem Trauma oder nach einer bakteriellen Blutvergiftung kennen. Unter der Bezeichnung "Da-Nang-Lunge" wurden bei schwerverletzten Soldaten im Vietnamkrieg ähnliche, allerdings in beiden Lungenflügeln annähernd gleichmäßig und diffus entwickelte Lungenveränderungen beschrieben, nachdem sie zunächst erfolgreich an einem Schock behandelt worden waren. Dabei kollabiert die Lunge, weil die Lungengefäßwände undicht werden und Blutbestandteile erst ins Lungengerüst und dann in die Lungenbläschen austreten. Damit wird die Sauerstoffaufnahme extrem erschwert.
Sind die Befunde eine Besonderheit?
Wir haben bei anderen Virusepidemien wie zum Beispiel der Grippe nicht eine vergleichbar große Zahl an Obduktionen durchgeführt. Für mich kann ich sagen, dass ich solche Befundkombinationen wie bei den an den Covid-19 -Infektionen verstorbenen Patienten noch nie zu Gesicht bekommen habe. Es kommt herdförmig und nebeneinander in verschiedenen Entwicklungsstadien in den Lungen zu schockähnlichen Veränderungen mit Blutgerinnseln in kleinen Lungengefäßen, begleitet von einem Untergang der Zellen, die die Lungenbläschen auskleiden und manchmal sogar einer Zerstörung der ganzen Wand eines Lungenbläschens, wie ich es noch nie gesehen habe.
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Was ist noch auffällig?
In den Lymphknoten, den Polizeistationen der Virus-Abwehr, ist der Gehalt an weißen Blutkörperchen deutlich vermindert. Unklar ist, ob sie vor Ort zugrunde gehen oder an der Front mit dem Virus sterben. Die Folge jedenfalls ist eine Schädigung des Abwehrsystems. Die Menschen, die überleben, weisen im Krankheitsverlauf einen deutlich erhöhten Anteil an bestimmten weißen Blutkörperchen im Blut auf. Das bedeutet, dass sich der Körper, wenn er kann, massiv mit diesem Virus auseinandersetzt. Und die Leber spielt offenbar ebenfalls eine überraschend große Rolle.
Inwiefern?
Das Lebergewebe wird in manchen Fällen flächenhaft zerstört. Die Frage, die wir bislang nicht haben klären können, ist: Liegt das an den auftretenden Durchblutungsstörungen, die zur Unterversorgung des Organs führen, oder an der viralen Ausbreitung selbst, die an den Gefäßen zur Entzündung und einer Schädigung der Gefäßwandzellen führen kann.
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Welche Vorerkrankungen erweisen sich als problematisch?
Es geht im Krankheitsfall immer um eine flexible Antwort des Organismus auf einen wie auch immer gearteten Stressfaktor. Und wenn Sie zum Beispiel ein nicht gut eingestelltes überlastetes Bluthochdruckherz haben, dann ist klar, dass dieses in Notsituationen wie einem Virusbefall des Körpers einen geringeren Kompensationsspielraum besitzt als ein gesundes Sportlerherz. Das betrifft vor allem das Herz als zentrales Organ, aber eben auch die Leber oder die Lunge.
Das Robert-Koch-Institut in Berlin riet von Obduktionen der Covid-Patienten bis vor wenigen Wochen ab. Warum?
Man weiß, dass Viren auch in einem leblosen Körper noch mehrere Stunden überleben können, dass Viren auch am Folgetag des Todes noch nachweisbar sind. Inwieweit sie noch infektiös sind, ist nicht ganz klar. Es handelte sich beim Hinweis des RKI daher eher um eine Vorsichtsmaßnahme.
Wann und wie wird es denn möglicherweise gefährlich für den Pathologen?
Wir sind natürlich so gekleidet wie man es ist, wenn man mit lebenden Covid-Patienten zu tun hat: Visier, FP3-Maske, Körperschutzkleidung. Die gefährlichsten Momente sind eigentlich, wenn man den Schädel öffnet. Das wird für gewöhnlich mit einer hoch vibrierenden Säge gemacht und dabei kann es passieren, dass Aerosole freigesetzt werden, die man einatmet. Unter anderem deshalb verwenden wir eine Handsäge oder eine Säge mit Absaugfunktion. Und wenn die Lunge und die Gefäße aufgeschnitten werden, kann es gefährlich werden. Das ist aber kein Grund, nicht zu sezieren, sofern man ausreichend geschützt ist und die notwendige Erfahrung besitzt.
Werden alle verstorbenen Covid-Patienten obduziert, um mehr über das Virus zu erfahren?
Es gibt dafür keinen Automatismus. Die Angehörigen müssen entscheiden, ob sie das zulassen oder nicht. Dementsprechend müssen sie von den behandelnden Ärzten gefragt werden. Es gibt in diesem Zusammenhang ein grundlegendes Problem, das unabhängig von Corona existiert: Die Zahl der Obduktionen ist zu gering. Dabei wäre es wünschenswert, dass jeder Patient, der im Krankenhaus stirbt, obduziert wird, sofern die Todesursache unklar ist beziehungsweise der Tod unerwartet oder nicht plausibel erscheint und trotz aller ärztlichen Kunst die Therapie nicht erfolgreich war. Vielleicht, weil eine Erkrankung nicht zu erkennen war. Der Pathologe ist wichtig für die Qualitätssicherung der Krankenhäuser.
Als jemand, der den Auswirkungen des Virus so nah ist: Für wie gefährlich halten Sie ihn?
Die Hauptbotschaft der Pathologie ist, dass das ein übler, noch unberechenbarer Feind ist, den wir therapeutisch und diagnostisch noch nicht im Griff haben, weil wir nicht wissen, was er wann, bei wem und wo genau macht. Daher möchte ich jedem raten – vor allem aber den Herz- oder Lungenkranken, den Übergewichtigen und den Diabetikern: Meidet den ungeschützten zu nahen Kontakt zu anderen Menschen, die als potentielle Virusträger in Frage kommen, haltet Abstand, bleibt geduldig und diszipliniert! Die funktionierende Volkswirtschaft ist ein hohes Gut, wir müssen sie im Auge behalten, aber bei der Öffnung schrittweise und mit Bedacht vorgehen.
<<< Zur Person >>>
Prof. Johannes Friemann (66) absolvierte sein Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach erfolgreicher Promotion und Habilitation arbeitete er u.a. als Leiter der Abteilung für Umweltpathologie des Medizinischen Instituts für Umwelthygiene an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und als Direktor des Institutes für Pathologie des Unfallkrankenhauses Berlin. Seit 2003 ist er Direktor des Institutes für Pathologie der Märkischen Kliniken in Lüdenscheid. Seit Juli 2015 ist zudem Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes Deutscher Pathologen.