Hagen/Brilon. Das Coronavirus macht in diesem Sommer die Schützenfestsaison kaputt. Warum ein Verschieben nichts bringt und welche Chancen die Vereine haben.

Der Briloner Peter Becker ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert Mitglied in einem Schützenverein und hat als Lehrbeauftragter der Universität Paderborn seit 2016 an dem Forschungsprojekt „Tradition im Wandel“ über das Schützenwesen mitgewirkt.

Mit dem verkündeten Verbot von Großveranstaltungen in NRW bis zum 31. August fallen viele Schützenfeste in der Region aus. Es ist verständlich, dass Vereine enttäuscht sind, wenn ihr Schützenfest ausfallen muss. Ist es aber aus Ihrer Sicht eine notwendige Entscheidung?

Peter Becker: Es gibt keine Alternative zur Absage. Wir müssen es auch gesellschaftlich-moralisch betrachten: Während eine hohe Zahl an Menschen infiziert ist oder sogar stirbt, wenn große Bevölkerungsteile in der Corona-Krise in wirtschaftliche Not geraten, kann man nicht mit Pauken und Trompeten feiern. Es gilt in diesem Jahr einfach inne zu halten.

Aber in einzelnen Vereinen soll es nach wie vor Überlegungen geben, das Schützenfest auf den Herbst, also die Zeit nach dem 31. August, zu verschieben. Was halten Sie davon?

  Peter Becker Foto: privat
  Peter Becker Foto: privat © Rene Siciliano

Wenig. Wie sollte man einen neuen Termin festlegen, wenn es keine Planungssicherheit gibt? Was ist, wenn das Verbot von Großveranstaltungen in NRW über den 31. August hinaus verlängert wird? Zudem weiß man nicht, ob andere Beteiligte am Fest wie Wirte, Musikkapellen und Schausteller überhaupt an einem neuen Termin zur Verfügung stehen. Was auch gegen den Herbst spricht, sollten die Corona-Auflagen bis dahin gefallen sein: Man kollidiert mit den Oktoberfesten, die sich mittlerweile großer Beliebtheit erfreuen und bei vielen Vereinen zum zweiten Standbein neben dem Schützenfest geworden sind – auch, wenn eine solche Veranstaltung nicht zur Schützentradition gehört und quasi importiert ist.

Die Absage der Schützenfeste ist für die Vereine wirtschaftlich ein Nackenschlag, oder?

Natürlich. Für viele Vereine sind das Schützenfest und die Hallenvermietung für Ferienlager oder Veranstaltungen die großen Einnahmequellen. Die fallen jetzt weg, gleichzeitig laufen die Kosten weiter. Die Vereine mussten in den vergangenen Jahren viel Geld für behördliche Auflagen (Rettungswege, Hygiene) investieren. Errichten Sie z.B. eine neue, den Sicherheitsanforderungen gemäße Vogelstange, sind Sie schnell 20.000 Euro los. Und das vor dem Hintergrund, dass Vereine keine großen Rücklagen bilden, weil sie die Mitgliedsbeiträge möglichst niedrig halten wollen – um allen Interessierten die Möglichkeit geben zu können, im Schützenverein dabeizusein.

Geraten insbesondere kleine Vereine in eine existenzbedrohende Lage?

Ich glaube nicht, dass das mit der Größe eines Vereins zusammenhängt. Mitglieder von Schützenvereinen sind so gestrickt, dass sie so etwas nicht zulassen und in einer Kraftanstrengung alles versuchen würden, ihren Verein über Wasser zu halten.

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Sollte das Land finanziell helfen?

Generell sollte das Land in der Corona-Krise auf das Gemeinwohl ausgerichteten Vereinen, die sich sozial engagieren, finanziell unter die Arme greifen. Kredite, die man irgendwann zurückzahlen muss, helfen nicht weiter. Mir schwebt eher eine Fond-Lösung vor.

Hat die Absage des Schützenfestes auch Folgen anderer Art für einen Verein?

Natürlich. Ein Verein arbeitet das ganze Jahr auf das große Ziel hin: das Schützenfest. Dieses Ziel geht jetzt verloren. Die Vereinsvorstände müssen sich Gedanken machen, welche neuen Ziele sie setzen. Und da ist auch ein soziokultureller Aspekt: Wie unser Forschungsprojekt zeigte, ist das Thema Heimat ganz stark mit Schützenvereinen verbunden. Die Menschen kommen zum Teil von weit her zum Schützenfest, zurück nach Hause, um mit anderen zusammenzusein. Dieser Kontakt muss nun auf anderem Wege hergestellt und gehalten werden. Das ist eine Herausforderung, die Chance zugleich ist.

Wie können die Vereine dieses Gemeinschaftsgefühl ohne Schützenfest sichern?

Es ist die große Herausforderung für Vereinsvorstände, den Spaß am Schützenfest hochzuhalten. Aber die Absagen bieten auch die Chance, darüber nachzudenken, was man anders machen kann. Reicht es heutzutage, vor einem Schützenfest Plakate aufzuhängen – und das war’s? Bislang tun sich viele Vereine schwer mit Internetseiten und sozialen Netzwerken. Aber die Digitalisierung ist eine wunderbare Möglichkeit, für das Schützenwesen zu begeistern.

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Wenn der größte Werbeträger eines Vereins – das Schützenfest – entfällt, hat das auch negative Auswirkungen auf die Rekrutierung neuer Mitglieder und jener, die sich tatkräftig ehrenamtlich engagieren?

Das ist eine gute Frage und sicher lohnend für eine Untersuchung. Gerade bei jungen Leuten könnte die Entscheidung, einem Schützenverein beizutreten, durch eine Absage des Schützenfestes beeinflusst werden. Oft ist das Schützenfest der Anlass, in den Verein einzutreten.

Dennoch: Welche womöglich bislang ungeahnte Chance könnte sich Schützenvereinen in diesem Jahr auftun?

Schützenvereine werden oftmals sehr eindimensional als reine Feier-Vereine wahrgenommen. Das sind sie aber nicht. Wenn sich die Vereine jetzt auf ihre sozialen Kompetenzen und ihre Rolle als Kulturträger insbesondere im ländlichen Raum fokussieren, können sie beste Imagepflege betreiben. Sie haben jetzt die große Chance, als Bindeglied in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.

>>HINTERGRUND: Forschungsprojekt

  • Das Forschungsprojekt „Tradition im Wandel“ versteht sich auch als Unterstützungsangebot für Vereine. Näheres unter: uni-paderborn.de/kulturerbe
  • Der gelernte Industriekaufmann Peter Becker ist sowohl Lehrbeauftragter an der Uni Paderborn als auch stellvertretender Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Hamm.