Hagen/Siegen/Arnsberg. Der Burbach-Prozess in Siegen um Misshandlungen von Flüchtlingen legt wegen Corona eine Pause ein. Wie es im Rockerkrieg-Prozess weiter geht.

Das Coronavirus hat ihm die Freiheit gebracht: Sieben Monate hatte ein 60-Jähriger Unternehmer in Untersuchungshaft gesessen. Er soll Drahtzieher gewesen sein bei dubiosen Geschäften mit Bier. Das soll nur zu Schein von Frankreich nach Deutschland importiert worden sein und stattdessen seinen Weg in Kioske in Großbritannien mit seiner viel höheren Biersteuer gefunden haben. 12 Millionen Euro Steuern sollen der 60-Jährige und seine Mitangeklagten hinterzogen haben.

Doch jetzt ist der Prozess vor dem Landgericht Paderborn vorerst geplatzt: Mit Richtern, Angeklagten, Verteidigern, Protokollführer etc. saßen schon insgesamt 24 Prozessbeteiligte im Gerichtssaal. Und weil es in dem historischen Gebäude keine Chance gab, die Mindestabstände zur Eindämmung der Corona-Pandemie einzuhalten, wurde die Hauptverhandlung nun ausgesetzt. Wenn sich die Lage entspannt hat, soll der Prozess neu starten. Und weil ein Angeklagter in der Regel nicht länger als ein halbes Jahr in Untersuchungshaft gesessen haben darf, bis der Prozess beginnt, bedeutet dies für den 60-Jährigen nun zumindest die vorübergehende Freiheit.

Bislang in Region noch keinen Untersuchungshäftling entlassen

Solch einen drastischen Schritt mussten die Strafkammern an den drei Landgerichten in der Region noch nicht vollziehen. Sowohl in Siegen als auch in Hagen und Arnsberg wurden bislang noch keine Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen, weil Prozesse nicht fortgeführt werden konnten. Das hat eine Umfrage unserer Zeitung ergeben.

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Und so hat das Virus aktuell noch keine Auswirkungen auf schon lang andauernde Prozesse, in denen zum Teil Aufsehen erregende Straftaten verhandelt werden. Wie etwa in Hagen: Seit fast eineinhalb Jahren sitzt ein inzwischen 59 Jahre alter Kfz-Sachverständiger nun schon in Untersuchungshaft, weil das Mitglied der Rockergruppe Freeway Riders einen Anhänger der verfeindeten Bandidos auf offener Straße niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt haben soll.

Hagener Rockerkrieg-Prozess könnte in Corona-Krise enden

Seit fast einem Jahr wird vor dem Landgericht dieser Fall aus dem „Hagener Rockerkrieg“ verhandelt, obwohl es eigentlich schon im vergangenen Sommer ein Urteil hätte geben sollen. Doch immer wieder gab es neue Beweisanträge, weitere Zeugen wurden gehört. Würde der Prozess nun wegen Corona platzen, wären all die vielen Stunden umsonst gewesen. Doch danach sieht es nicht aus. Ganz Im Gegenteil: Nach Ostern könnten nach jetzigem Stand der Dinge sogar die Plädoyers stattfinden und es dann ein Urteil geben.

Auch der Doppelmord von Iserlohn wird weiter verhandelt: Ein Mann soll hier im vergangenen Sommer seine Ex-Frau und deren neuen Partner am helllichten Tage am Stadtbahnhof brutal getötet haben. Seit Februar läuft der Prozess. Und den stoppt nun auch nicht Corona. „Alle laufenden Hauptverhandlungen in Haftsachen werden fortgesetzt“, sagt Bernhard Kuchler, Sprecher des Landgerichts Hagen.

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Was nicht bedeutet, dass der Gerichtsalltag in Corona-Zeiten normal laufen würde. Im Gegenteil: Abseits der Haftsachen und der schon lang laufenden Prozesse wird derzeit fast alles abgesagt – und einige Hauptverhandlungen müssen neu gestartet werden. „In zwei Verfahren entschieden die jeweils zuständigen Richter, dass es besser wäre, die Hauptverhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt neu zu beginnen“, so Bernhard Kuchler. „Die standen aber jeweils noch ganz am Anfang und kein Angeklagter saß in Untersuchungshaft.“

Längere Pause für Burbach-Prozess ist denkbar

Ein ganz ähnliches Bild auch an den Landgerichten in Siegen und Arnsberg. Außer Prozessen, in denen Angeklagt in U-Haft sitzen, läuft wenig. Und hier wird auch schon eine ganz aktuelle Änderung der Strafprozessordnung angewandt, mit der der Gesetzgeber auf die Corona-Krise reagiert. Eigentlich darf eine Hauptverhandlung nur für drei Wochen unterbrochen werden, nach dem zehnten Prozesstag auch für vier Wochen. Doch nun ist es möglich, für höchstens zwei Monate zu unterbrechen, wenn dies dem Ziel dient, die Coronavirus-Ausbreitung zu stoppen.

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Am Landgericht Arnsberg, so dessen Sprecherin Leonie Maaß, habe man dies nun in einem Prozess angewandt und einen Fortsetzungstermin weiter nach hinten verschoben. Und am Landgericht Siegen könnte die aktuelle Gesetzesänderung nun im so genannten Burbach-Verfahren greifen, dem Mammut-Prozess um den Vorwurf, dass Personal Flüchtlinge in einer Notunterkunft in Burbach im Siegerland misshandelt haben soll. Von ursprünglich 38 Angeklagten sitzen immerhin noch zehn auf der Anklagebank, der Prozess zieht sich schon seit mehr als 15 Monaten – nun zeichnete sich eigentlich ab, dass die Schlussphase eingeläutet werden sollte.

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Doch die wird nun noch ein wenig auf sich warten lassen. Die sehr menschenreiche Verhandlung mit so vielen Angeklagten und Juristen wird unterbrochen werden, sagt Gerichtssprecher Sebastian Merk. Und zwar für maximal zwei Monate. Geplatzt wäre der Prozess damit nicht – und auch die bisherige Arbeit wäre nicht umsonst.

>> HINTERGRUND: Mindestabstände auf den Zuschauerrängen

  • Alle drei Landgerichte haben die Sitzungssäle verändert. „Die Bestuhlung in den Sitzungssälen wurde im Besucherbereich so geändert, dass der vom Robert-Koch-Institut empfohlene Abstand eingehalten werden kann“, sagt etwa Leonie Maaß vom Landgericht Arnsberg.
  • Auch Angeklagten und Verteidigern werde ermöglicht, in einem entsprechenden Abstand zueinander Platz zu nehmen, damit sie sich vor dem Coronavirus schützen können.
  • Mundschutzmaske oder Einweghandschuhe sind dagegen noch nicht vorgeschrieben: Der jeweilige Vorsitzende Richter kann aber weitere Regeln während der laufenden Hauptverhandlung bestimmen.
  • Bislang gab es an den drei Landgerichten wohl noch keine massiven Beschwerden von Anwälten oder anderen über die neuen Regeln.
  • Am Landgericht Hagen hatte die Verteidigung in einem Fall die vorgeschriebenen Abstände beanstandet. Das Gericht entschied zwar, dass trotzdem weiter wie geplant weiterverhandelt wird. Die Richter sagten aber zu, dass jederzeit auf Wunsch Pausen für erforderliche vertrauliche Besprechungen eingelegt werden könnten.
  • In einem anderen Verfahren in Hagen lehnten die Richter eine von dem Verteidiger beantragte Aussetzung des Verfahrens wegen der coronabedingten Anordnungen im Gerichtssaal ab. Im Gegenzug sicherten die Richter zu, das man jederzeit Pausen machen könne für vertrauliche Gespräche zwischen Angeklagten und Verteidigen.