Arnsberg/Sundern/Menden. Freiheitsstrafen nach tödlichem Unfall: Im Raserprozess wurden die beiden Angeklagten verurteilt. Der Richter kritisierte die Polizeiarbeit.

Im Prozess um einen tödlichen Verkehrsunfall auf der Bundesstraße 229 zwischen Sundern-Hövel und Balve-Beckum im August 2018 ist am Montagabend ein 43 Jahre alter Arzt aus Hemer vom Arnsberger Schwurgericht zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Der mitangeklagte 58 Jahre alte kaufmännische Angestellte aus Soest erhielt neun Monate auf Bewährung.

Nach Überzeugung der Kammer hatten sich die Fahrer eines gelben Audi Q5 (240 PS, Höchstgeschwindigkeit: 220 km/h) und eines roten Porsche Targa (450 PS, mehr als 300 km/h) ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen geliefert, bei dem der Audi-SUV in einen entgegenkommenden VW Golf gekracht war. Vier Insassen wurden bei dem schweren Verkehrsunfall am 1. August 2018 lebensgefährlich verletzt. Eine 70 Jahre alte Frau aus Neheim kam ums Leben.

Raserprozess: Strafe soll andere Verkehrsteilnehmer abschrecken

Es war der erste Fall vor dem Landgericht Arnsberg nach der Verabschiedung des neuen Paragrafen 315d des Strafgesetzbuches, der sich auf verbotene Kraftfahrtzeugrennen bezieht. „Der vorliegende Fall ist ein klassischer Anwendungsbereich der neuen Vorschrift“, sagte der Vorsitzende Richter Klaus-Peter Teipel in seiner Urteilsbegründung am 20. Verhandlungstag im sogenannten Raserprozess.

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Ausdrücklich sollten verhängte Strafen auch general-präventiv wirken, so der Jurist weiter. Das heißt, eine verhängte Strafe dient auch der Abschreckung anderer Verkehrsteilnehmer. Denn Hintergrund der rechtlichen Würdigung verbotener Rennen als Straftat - zuvor war es nur eine Ordnungswidrigkeit - seien Auswüchse im Straßenverkehr. Teipel kam in diesem Zusammenhang auf die immer stärkere Motorisierung zu sprechen. Mit Blick auf die Höchstgeschwindigkeit des beteiligten 450-PS-Fahrzeugs (mehr als 300 km/h) fragte er: „Warum werden solche Wagen überhaupt verkauft?“

Folge eines Überholversuchs

Die Kammer hatte am Ende aufgrund von Zeugenaussagen „keine vernünftigen Zweifel“, dass sich die beiden Angeklagten über eine längere Strecke bis zur Unfallstelle ein Rennen geliefert hatten. Teipel: „Es war kein Fahrfehler, wie vom Angeklagten angegeben, der zur Kollision geführt hat, sondern die Folge eines Überholversuchs.“ Dass der Arzt aus Hemer alkoholisiert am Steuer saß, habe eine Bewährungsstrafe ausgeschlossen, so Teipel. „Wer betrunken Auto fährt und den Tod eines Menschen verursacht, kann nicht auf Milde hoffen.“

Der Verteidiger des 43-Jährigen aus Hemer hatte eine Freiheitsstrafe im „bewährungsfähigen Bereich“ (unter zwei Jahre) gefordert. Der Anwalt des mitangeklagten Porschefahrers aus Soest wollte einen Freispruch für seinen Mandanten.

Der völlig demolierte Wagen des angeklagten Hemeraners unmittelbar nach dem tödlichen Verkehrsunfall auf der Bundesstraße 229 bei Sundern-Hövel.
Der völlig demolierte Wagen des angeklagten Hemeraners unmittelbar nach dem tödlichen Verkehrsunfall auf der Bundesstraße 229 bei Sundern-Hövel. © RD

„Es war ein Verkehrsunfall mit tragischen Folgen für die Insassen des VW Golf, der vom Wagen meines Mandanten erfasst wurde“, sagte der Soester Rechtsanwalt Constantin W. Kirschbaum am Montag in seinem mehr als zweistündigen Plädoyer. Es gebe keinerlei objektive Anhaltspunkte, dass der gelbe SUV des Arztes in ein illegales Autorennen verwickelt war.

Staatsanwalt hatte vier Jahre und neun Monate gefordert

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Der Arnsberger Staatsanwalt Klaus Neulken hatte in seinem Schlussvortrag eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten für den Hemeraner wegen der Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen als angemessen angesehen.

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Verteidiger des Angeklagten aus Soest forderte Freispruch

Der Verteidiger des zweiten Angeklagten, Volker Cramer (Soest), forderte in seinem mehr als 100 Minuten dauernden Plädoyer für seinen Mandanten einen Freispruch. Der rote Porsche des kaufmännischen Angestellten sei zum Unfallzeitpunkt nicht vor dem Audi Q5 des Hemeraner Arztes unterwegs, geschweige denn in ein illegales Autorennen verwickelt gewesen. Cramer nutzte seinen Schlussvortrag für eine Generalabrechnung mit der Ermittlungsbehörde: „In der Ermittlungsakte findet sich eine Fehlleistung nach der anderen. Es wurde nicht ermittelt, sondern verschleiert.“

Schnell habe bei der Polizei festgestanden, dass ein roter Porsche infolge eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (Cramer: „eine reine Erfindung“) an dem tödlichen Unfall beteiligt gewesen sei. „Dabei haben Unfallzeugen berichtet, einen silberfarbenen Wagen gesehen zu haben. Von einem roten war keine Rede.“ So sei ein „unbescholtener Bürger“ – sein Mandant – im Gerichtssaal gelandet. Staatsanwalt Neulken hatte für den Soester eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten gefordert, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden dürfe.

„Es muss drunter und drüber gegangen sein“

Auch für Richter Teipel war die Polizeiarbeit rund um den tödlichen Verkehrsunfall „nicht optimal – es muss drunter und drüber gegangen sein“. Am Ende sprach er von einer besonderen Belastung für alle Beteiligten des im Mai 2019 gestarteten Mammutprozesses. Insbesondere für die vier überlebenden und bis heute seelisch wie körperlich unter dem Unfall leidenden Golf-Insassen, die im Verfahren als Nebenkläger auftraten. Teipel: „Sie müssen ein anderes Leben als vor dem Unfall führen.“