Arnsberg/Balve/Sundern. Am 19. Verhandlungstag im sogenannten Arnsberger Raser-Prozess haben die Vertreter von Staatsanwaltschaft und Nebenklage ihre Plädoyers gehalten.
Im sogenannten Raser-Prozess vor dem Arnsberger Schwurgericht hat die Staatsanwaltschaft Haftstrafen für beide Angeklagten gefordert. Nach Auffassung von Staatsanwalt Klaus Neulken sollte der 43 Jahre alte Arzt aus Hemer wegen der Teilnahme an einem illegalen Autorennen, fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in vier Fällen für vier Jahre und neun Monate in Haft.
Der mitangeklagte kaufmännische Angestellte aus Soest (58) sei mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten zu belangen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden dürfe. Die Nebenklage forderte sogar eine siebenjährige Freiheitsstrafe für den Hemeraner und fünf Jahre für den Soester.
Prozessbeginn im Mai 2019
Seit dem Mai 2019 versucht das Schwurgericht die Hintergründe eines tödlichen Verkehrsunfalls auf der Bundesstraße 229 zwischen Sundern-Hövel und Balve-Beckum am 1. August 2018 zu klären.
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Eine 70 Jahre alte Frau aus Neheim kam seinerzeit ums Leben, vier weitere Insassen eines VW Golf, den der Wagen des Arztes frontal erfasst hatte, wurden lebensgefährlich verletzt.
Es ist bereits der 19. Verhandlungstag, den der Vorsitzende Richter Klaus-Peter Teipel am Donnerstag eröffnet. An dessen Ende wird sich ein weiteres Mal die Hoffnung der Überlebenden und deren Angehörigen auf ein Urteil nicht erfüllen. Kurz vor Weihnachten hatten die Verteidiger der beiden Angeklagten weitere Beweisanträge gestellt, wieder einmal musste Nebenklage-Vertreter Franz Teuber seinen Mandanten erklären, dass dies nicht geschehe, um „auf deren geschädigten Nerven herumzutreten, sondern weil es gutes Recht der Verteidigung ist“.
Das Schwurgericht schmettert die Beweisanträge zwar ab, die Verteidiger melden aber den Bedarf einer eingehenden Analyse der „Vielzahl an Beschlüssen“ an. Kurzum: Sie sehen sich nach 19 Verhandlungstagen nicht in der Lage, ihre Plädoyers zu halten. Sie wollen dies jetzt beim nächsten Termin am 20. Januar tun. Volker Cramer, Anwalt des Porschefahrers, will sich darin insbesondere mit den Ermittlungsbehörden befassen: „Wie kam es zu dieser ungeheuerlichen Anklage?“
Zeugen bestätigen Überholvorgänge
Dafür sieht der Arnsberger Staatsanwalt Klaus Neulken am Donnerstag in seinem Schlussvortrag den in der Anklageschrift formulierten Vorwurf bestätigt, dass der Arzt aus Hemer mit seinem gelben Audi Q5 (239 PS) und der Angestellte aus Soest mit seinem roten Porsche 911 Cabrio am 1. August 2018 ein illegales Autorennen abgehalten haben: „Ich habe keine Zweifel: Es war eine halsbrecherische Jagd über eine lange Strecke. Ein höchst verwerfliches Rennen, der zu einem völlig unsinnigen, überflüssigen Unfall geführt hat.“ Durch Zeugenaussagen sei klar erwiesen, dass die beiden Männer direkt hintereinander gefahren seien und sich mehrfach gegenseitig überholt hätten. Zuletzt habe der Audi-Fahrer einen Überholvorgang in einer nicht einsehbaren Kurve gestartet. Dabei sei er wegen eines Fahrfehlers ins Schlingern geraten und in den VW Golf geprallt.
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Der 58 Jahre alte Angeklagte aus Soest hatte unmittelbar vor dem Schließen der Beweisaufnahme in einer von seinem Anwalt verlesenen Erklärung noch einmal darauf hingewiesen, dass er am Unfalltag dem Wagen des Hemeraners nicht begegnet sei und dass es folglich keine Überholvorgänge gegeben habe. Dagegen stehen, so Staatsanwalt Neulken, unter anderem auch glaubhafte Aussagen der ehemaligen Lebensgefährtin des Soesters und deren Tochter, dass er am Unfalltag nach seinen Schilderungen die Strecke gefahren sei und unangenehmen Kontakt zu einem gelben Wagen gehabt habe. Weil er nach dem Unfall nicht anhielt, „obwohl er ihn bemerkt haben muss“, müsse der Soester auch wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt werden.
Verurteilung nach Paragraf 315d des Strafgesetzbuchs gefordert
Beide Angeklagte müssen nach Neulkens Überzeugung nach Paragraf 315d des Strafgesetzbuches („Verbotene Kraftfahrzeugrennen“) verurteilt werden. Zumal Absatz 5 zufolge die Täter durch die Tat „den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen“ verursacht haben. „Die vier überlebenden Golf-Insassen leiden bis heute körperlich und seelisch unter dem Unfall“, so der Staatsanwalt. Besonders erschüttert hat ihn die Aussage der Fahrerin, die sich nach wie vor Vorwürfe mache, weil eine Mitfahrerin in ihrem Auto gestorben ist. „Dabei kann sie überhaupt nichts dafür.“
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Es war der Wagen des Hemeraners, der in den Golf prallte. Am 1. August 2018 hatte der 43-Jährige einen Alkoholgehalt von 1,03 Promille im Blut. „Er ist Wiederholungstäter“, sagt Neulken, ihm war schon einmal wegen einer Trunkenheitsfahrt für zehn Monate der Führerschein entzogen worden. Was beim Staatsanwalt für Verständnislosigkeit sorgte: „Er ist Arzt und hat sich nicht um die Unfallopfer gekümmert. Stattdessen beklagte er sich, dass er von einem Porsche überholt und geschnitten worden sei.“ Auf diesen Aspekt ging auch Nebenklage-Anwältin Simone Hammecke-Klüter ein: „Anstatt Menschenleben zu retten, hat er das Leben meiner Mandanten dauerhaft zerstört.“ Die Juristin forderte eine siebenjährige Freiheitsstrafe für den Arzt, fünf Jahre für den Soester Porschefahrer – und den lebenslangen Entzug der Fahrerlaubnis für beide.
Ein Signal an die Öffentlichkeit
Die geforderten vier Jahre und neun Monate Haft seien angemessen, sagt Staatsanwalt Neulken am Ende seines Plädoyers, um der „Öffentlichkeit eines klar zu machen: Ein halsbrecherisches Rennen unter Alkoholeinfluss ist nicht hinnehmbar.“