Marsberg. . Nach dem tödlichen Unfall beim Anböllern des Marsberger Schützenfestes stellt die Staatsanwaltschaft Arnsberg die Frage in den Mittelpunkt ihrer Ermittlungen, ob bei den beiden explodierten Kanonen eine Materialermüdung vorlag oder ob Fehler bei der Bedienung der Böllerkanone gemacht wurden.

Nach dem tragischen Tod des 30 Jahre alten Schützen­königs beim Anböllern der St.-Magnus-Schützenbruderschaft Niedermarsberg herrscht große Ratlosigkeit bei den Historischen Schützen Obermarsberg. Drei ­erfahrene Böllerschützen der ­Historischen Schützen hatten während des Unglücks am vergangenen Samstagmittag die drei ­Salutkanonen bedient. „Hätten wir irgendein Rest­risiko beim ­Anböllern geahnt, hätten wir es doch sein lassen“, sagt ein erschütterter 1. Vorsitzender der ­Historischen Schützen.

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„Die drei Schützen besitzen den nötigen Zulassungsschein und haben seit vielen Jahren Kanonen gezündet“, so der Vorstand weiter. Er hat nach wie vor keine Erklärung für das Geschehen. Erst vor wenigen Wochen war eine Abordnung der historischen Schützen beim Manöver der Waldecker Kanoniere im benachbarten Diemelstadt-Rhoden dabei. „Es gab keine Probleme.“ Die beiden Kanonen, die auf dem Gelände der Marsberger Schützenhalle explodiert waren, seien zwischen 1998 und 2002 gegossen worden. Zuletzt wurden sie 2013 im Rahmen der turnusgemäßen Fünf-Jahres-Überprüfung vom Beschussamt in Köln abgenommen. Bei den Tests würden die historischen Kanonen mit einer deutlich höheren Menge Schwarzpulver als zugelassen beschossen.

Unterlagen auf den Kopf gestellt

Seit dem Unglück haben die Historischen Schützen sämtliche Unterlagen „auf den Kopf gestellt“, so der Vorstand. „Alle von den Behörden geforderten Bescheinigungen für Sicherheitsüberprüfungen, Lehrgänge und Wartungsintervalle waren vorhanden.“ Kann denn etwas in Bezug auf das verwendete Schwarzpulver schief gelaufen sein? Wie kann es sein, dass zwei Kanonen gleichzeitig in die Luft ­gehen? „Auch dafür haben wir ­keine Erklärung“, sagt der nach eigenem Bekunden „ratlose“ ­Vorstand. „Das Ladeprozedere hat immer einen festen Ablauf mit festge­legten Mengen an Pulver. Es wurde schon hundertfach durchgeführt.“

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Für den Arnsberger Staatsanwalt Klaus Neulken ist bei den Ermittlungen eine zentrale Frage, ob zu viel Schwarzpulver in das Kanonenrohr gegeben wurde. „Es wäre schon etwas seltsam, wenn das ­Material der beiden Kanonen gleichzeitig so ermüdet gewesen wäre, dass es zur Explosion gekommen ist.“ Auch am Montag, so Neulken, hätten sich wieder ermittelnde Polizeibeamte auf dem Gelände der Marsberger Schützenhalle aufgehalten und unter anderem noch einmal nach Materialresten gesucht. Der Staatsanwalt gibt ein Gutachten zu den Themen „mögliche Materialermüdung und verwendete Ladung“ in Auftrag. „Es kann aber Wochen dauern, bis wir Ergebnisse haben“, so Neulken. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.

Ermittler fahren mehrgleisig

Nach Angaben von Ludger Rath, Sprecher der Kreispolizei in Meschede, fahren die Ermittler derzeit mehrgleisig. Neben der Einschaltung von Sachverständigen versucht man, die Abläufe am Unglückstag genauestens zu rekonstruieren. „Hier geht es auch um die Frage, ob alle Sicherheitsvorschriften – zum Beispiel Abstände zu den Kanonen – eingehalten wurden.“

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Beim Beschussamt in Köln werden nach Angaben von Fachbereichsleiter Christof Menzebach im Jahr 300 historische Kanonen auf ihre Funktionssicherheit, ihre Haltbarkeit und ihre Maßhaltigkeit (z.B. Größe des Innenrohrs) hin überprüft. „Wir gehen letztlich der Frage nach, ob ein sicheres Zünden, Laden und Abfeuern möglich ist.“ Am Ende der Sicherheitsüberprüfung werde die Kanone gezündet - mit einer deutlich höheren Schwarzpulvermenge, als sie ein Schütze verwenden darf. „Das ist so, als würden wir ein für 100 Stundenkilometer zugelassenes Auto schneller fahren lassen, um sicher zu gehen, dass es bei 120 km/h nicht auseinander fliegt.“

Einzige Einrichtung in NRW

Das Beschussamt in Köln ist die einzige Einrichtung ihrer Art in Nordrhein-Westfalen. „Bei den Überprüfungen im ganzen Bundesgebiet wird nach einheitlichen Standards vorgegangen“, sagt Menzebach. Es komme sehr selten vor, dass seine Behörde eine historische Kanone aus dem Verkehr ziehen müsse. Und: Er könne sich nicht daran erinnern, dass schon einmal bei den technischen Tests eine Kanone explodiert sei: „Eine Kanone, die vernünftig gegossen oder gedreht wurde, hält ein Leben lang.“