Berlin. Arznei zuteilen und Einsamkeit lindern: Zwei junge Berliner wollen mit ihrer sprechenden „Aura“-Box Pflegekräfte und Familien entlasten.
Der Kampf gegen die Volkskrankheit Demenz wird an zwei Fronten geführt: An der einen erzielen Forscher und Forscherinnen in Deutschland und weltweit Fortschritte dabei, die Ursachen für die Erkrankung des Gehirns herauszufinden und den Verlauf und die Folgen einzudämmen. Erst vergangene Woche hat die europäische Arzneimittel-Behörde EMA für die EU erstmals grünes Licht für eine neue Alzheimer-Therapie gegeben. Eine, die auf zugrundeliegende Krankheitsprozesse statt nur auf Symptome abzielt – ein möglicher Durchbruch.
Allerdings soll das Medikament aufgrund möglicher Nebenwirkungen nur für einen kleinen Patientenkreis zugelassen werden: Zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Das Mittel soll das Fortschreiten des Alzheimer zumindest verlangsamen. In Deutschland leben laut aktuellen Schätzungen rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Betroffenen voraussichtlich auf 2,8 Millionen steigen. Mit höherem Lebensalter nimmt die Häufigkeit von Demenz zu.
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Demenz: „Aura“-Box soll Pillen zuteilen und Einsamkeit vertreiben
Die zweite Front berührt die Frage: Wie gehen wir mit der steigenden Zahl von demenzkranken Menschen in unserer Gesellschaft um? Und wie kann es gelingen, ihre Lebensqualität mithilfe moderner Möglichkeiten zu verbessern? Hier haben unter anderem zwei Berliner Studenten ehrgeizige Pläne: Sie haben einen KI-Gesundheitsassistenten für ältere Menschen entwickelt. Dabei handelt es sich um eine mit dem Internet verbundene Box mit eingebautem Bildschirm und einem Ausgabefach für Pillen und andere Medizin.
„Aura“, so der Name, soll es älteren Menschen erleichtern, ihre täglichen Medikamente in korrekter Dosis zur richtigen Zeit einzunehmen und sie zugleich emotional unterstützen – und zwar mithilfe von Gesprächen, hinter der eine künstliche Intelligenz steckt. Die „Aura“-Box soll nach ihrer Fertigstellung – zu Hause oder in Pflegeheimen eingesetzt – die Unabhängigkeit älterer und demenzerkrankter Menschen fördern und so ihre Lebensqualität verbessern. Im September haben die Erfinder mit ihrem Projekt bereits die Jury eines Ideenwettbewerbs von Technikhersteller Samsung überzeugt. Als Sieger werden sie nun bei der weiteren Entwicklung unterstützt.
Pflegekräfte entlasten: Erfinder wollen die sichere Medikamentenvergabe vereinfachen
Hinter „Aura“ stecken der 21-Jährige Luis Somasundaram und der zwei Jahre ältere Moritz Scheffer. Die gebürtigen Berliner studieren in der Hauptstadt gemeinsam im siebten Semester Industriedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Im Gespräch mit dieser Redaktion erklären sie, dass bei ihrer Idee zur KI-Gesundheitsbox für ältere Menschen auch persönliche Erfahrungen eine Rolle spielten: „Meine beiden Großeltern haben eine Form von Demenz, meine Oma geht aber sehr positiv damit um“, sagt Luis Somasundaram. „Wir hatten beide schon Kontakt mit der Volkskrankheit Demenz. Für uns ein wichtiges Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen wollten“, sagt Moritz Scheffer, der nebenbei als Rettungssanitäter arbeitet.
In sechs Monaten Projektphase sprachen die beiden zunächst mit Demenzbetroffenen, besuchten mehrere Berliner Pflegeheime. Dabei machten sie sich ein Bild vom Lebensalltag und den Schwierigkeiten der Menschen mit Demenz, der Pflegekräfte und Angehörigen. So mussten in einer Pflegeeinrichtungen teilweise für ein Dutzend dementer Bewohner zu vier Tageszeiten unterschiedlichste Medikamente streng nach Plan von Hand sortiert werden. „Es geht sehr viel Zeit dafür verloren, die Medikamente vorzubereiten, für die wichtigen zwischenmenschlichen Dinge bleibt weniger Zeit“, sagt Moritz Scheffer. Die Idee des intelligenten Medikamentenspenders war geboren.
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„Wir haben aber festgestellt, dass es abgesehen davon noch viel größere Probleme gibt, über 30 Prozent der Betroffenen fühlen sich allein und isoliert“, sagt Luis Somasundaram. Daher wollten die Studenten ihre Arznei-Ausgabe mit einer KI verbinden, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz eingehen kann – einem künstlichen Sprachassistenten und Alltagsbegleiter. In ihren Tests hätten beide Demenzerkrankte erlebt, die sich eine halbe Stunde lang angeregt mit der künstlichen, aber natürlich klingenden Stimme unterhielten.
Für ihre „Aura“-Box nutzen die Berliner den bekannten KI-Chatbot ChatGPT des US-Unternehmens OpenAI und passen dessen Sprache schrittweise auf die Bedürfnisse älterer sowie demenzkranker Nutzer an. Zum Beispiel durch die Vorgabe an die Software, möglichst kurze und verständliche Sätze zu sprechen, aber auch mitfühlend auf die älteren Nutzer einzugehen.
„Eine Testperson fragte am Ende, wann sie sich denn wieder mit der netten sympathischen Frau unterhalten kann – und meinte damit das Sprachmodell“, sagt Luis Somasundaram. Im Test habe seine demenzkranke Oma dem Gerät nach zehn Minuten Gespräch sogar „ein Geheimnis verraten, das ich gar nicht kannte“, erzählt der Student. Sicherheitsrisiken dieser Art, die sich daraus ergeben können, wollen die Entwickler unbedingt berücksichtigen.
Pflegeheime setzen immer noch auf Papier statt moderner Methoden
Bisher gibt es die „Aura“-Box lediglich als Prototypen für die laufende Testphase. Auf dem Designentwurf der Berliner sieht der schlaue Medikamentenspender allerdings recht futuristisch aus, mit vielen abgerundeten Kanten, einer Ausgabeöffnung und einer flachen Oberseite, die als Anzeige für den KI-Assistenten dienen soll. Mit einem ausgereiften Prototypen, der Medikamentenausgabe und KI-Assistent vereint, wollen die Berliner schnellstmöglich in die nächste Testphase und das Gerät auf Messen präsentieren. Spätestens nach ihrer Bachelorarbeit wollen beide ihr Vorhaben auf größere Füße stellen.
Pflegekräfte hätten bereits deutlich gemacht, erzählen die beiden, wie sehr so ein moderner Helfer ihren Alltag erleichtern würde. Aus Kostengründen seien gerade nicht-private Pflegeheime nach Probephasen immer wieder zur klassischen Dokumentation auf Papier zurückgekehrt. „Man hat dort eine gewisse Hoffnungslosigkeit gespürt“, sagt Moritz Scheffer. Es sei ein langer Weg, bis sich Pflegeeinrichtungen auf ein neues System einlassen würden.
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