Berlin. Die Infektion mit einem verbreiteten Magenkeim könnte das Demenz-Risiko erhöhen. Besonders ein Zeitraum nach Ansteckung ist auffällig.
Das Bakterium kann über verschiedene Wege ins Gehirn gelangen und dort zum Verfall von Nervenzellen führen: Eine Infektion mit dem Magenkeim Helicobacter pylori könnte das Risiko erhöhen, an Alzheimer-Demenz zu erkranken. Das ist Ergebnis einer gemeinsamen Studie der Berliner Charité und der McGill University aus Montreal (Kanada), die jetzt im Fachmagazin „Alzheimer‘s & Dementia“ veröffentlicht worden ist.
Demenzerkrankungen werden in einer alternden Bevölkerung weiter zunehmen: In den nächsten 40 Jahren, so die Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, wird sich die Häufigkeit von Demenz voraussichtlich verdreifachen. Da bisher keine Heilung in Sicht ist, versucht die Medizin, die Risikofaktoren für Demenz aufzuspüren – in der Hoffnung, diese ausschalten zu können.
Lesen Sie auch: Alzheimer im Anfangsstadium: „Es fing mit Kleinigkeiten an“
Helicobacter pylori könnte Demenz begünstigen
Schon länger hat die Wissenschaft als einen möglichen Risikofaktor den Magenkeim Helicobacter pylori, kurz Hp im Blick. Mit diesem Bakterium ist knapp ein Drittel aller Menschen in Deutschland infiziert. Eine Infektion kann symptomlos verlaufen, aber auch Magenschleimhautentzündungen und sogar Magenkrebs verursachen. Auch ein Zusammenhang zwischen einer Hp-Infektion und einer Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems ließ sich in zahlreichen Laborstudien finden.
„Wir wissen, dass das Bakterium über verschiedene Wege das Gehirn erreichen kann und dort unter Umständen zu Entzündungen, Schädigungen und dem Verfall von Nervenzellen führt“, sagt Prof. Antonios Douros, Pharmakoepidemiologe an der Charité und Erstautor der Studie laut Mitteilung. Außerdem könne ein durch den Keim geschädigter Magen Vitamin B12 und Eisen nicht mehr gut aufnehmen, was ebenfalls das Demenz-Risiko erhöhe.
Auch interessant: Demenzrisiko: Studie sieht Gefahr durch oft verschriebenes Medikament
Viele der bisherigen Studien zum Zusammenhang zwischen einer Hp-Infektion und Alzheimer hatten nach Angaben der Charité methodische Schwächen – oft sei die Anzahl der Menschen, die in der Studie berücksichtigt wurden, zu klein gewesen. „Das führte auch dazu, dass man bisher nicht genau sagen konnte, wie stark der Zusammenhang zwischen einer Infektion mit Hp und Alzheimer-Demenz ist“, teilt die Charité mit.
Repräsentative Alzheimer-Studie mit über vier Millionen Menschen
Diese Schwächen auszubügeln sei Antonios Douros zusammen mit Prof. Paul Brassard von der McGill University in Montreal (Kanada) und ihren Kolleginnen und Kollegen nun gelungen. Sie berücksichtigten in ihrer Studie mit über vier Millionen Menschen nicht nur sehr viele Personen, sondern auch den zeitlichen Abstand zwischen einer Hp-Infektion und einer möglichen Erhöhung des Alzheimer-Risikos. Grundlage dafür waren Daten aus elektronischen Patientenakten aus Großbritannien.
„Unsere Studie zeigt, dass symptomatische Infektionen mit Helicobacter pylori nach dem 50. Lebensjahr mit einem um elf Prozent erhöhten Risiko für Alzheimer-Demenz einhergehen können. Die Risikoerhöhung erreicht ihren Maximalwert von 24 Prozent etwa ein Jahrzehnt nach der Hp-Infektion“, fasst Antonios Douros die Ergebnisse zusammen.
Lese-Tipp: Demenz: Dieser neue Therapieansatz macht Hoffnung
Formen von Demenzerkrankungen
Alzheimer-Krankheit | Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form von Demenz und betrifft vor allem ältere Menschen. Sie tritt allmählich auf und beeinträchtigt Gedächtnis, Denken und Verhalten. |
Vaskuläre Demenz | Die vaskuläre Demenz entsteht durch eine Schädigung der Blutgefäße im Gehirn, beispielsweise durch Schlaganfälle oder Durchblutungsstörungen. Die Symptome können je nach betroffenem Bereich des Gehirns variieren. |
Lewy-Körper-Demenz | Bei der Lewy-Körper-Demenz sammeln sich sogenannte Lewy-Körper im Gehirn an, die zu Störungen in der Informationsverarbeitung führen. Die Symptome ähneln oft denen der Parkinson-Krankheit. |
Frontotemporale Demenz | Die frontotemporale Demenz betrifft vor allem die Bereiche des Gehirns, die für Verhalten, Persönlichkeit und Sprache zuständig sind. Die Symptome können je nach betroffenem Bereich sehr unterschiedlich sein. |
Gemischte Demenz | Bei der gemischten Demenz treten mehrere Formen von Demenz gleichzeitig auf, beispielsweise Alzheimer-Krankheit und vaskuläre Demenz. |
Sind Hp-Infektionen ein beeinflussbarer Risikofaktor?
Das bedeute aber nicht, dass jeder Mensch nach einer symptomatischen Hp-Infektion zwangsläufig an Alzheimer erkranken werde. „Bei den Berechnungen handelt es sich um eine Erhöhung des relativen Risikos im Vergleich zu Personen, die keine symptomatische Hp-Infektion nach dem 50. Lebensjahr hatten“, so die Charité.
- ADHS bei Erwachsenen: Betroffene verrät, was ihr mit ADHS wirklich half
- Stress: Achtsamkeit – warum der Trend problematisch sein kann
- Vorsorge: MRT für Selbstzahler – wann es sinnvoll ist und wann nicht
- Ohrensausen: Tinnitus-Patientin berichtet, was ihr endlich geholfen hat
„Für uns bekräftigt dieses Ergebnis die Annahme, dass eine Helicobacter-pylori-Infektion ein beeinflussbarer Risikofaktor für Alzheimer-Demenz sein könnte“, schlussfolgert Antonios Douros. Ob und in welchem Maß die konsequente, flächendeckende Bekämpfung dieses Magenkeims durch sogenannte Eradikationsprogramme, also die vollständige Verbannung eines Krankheitserregers in der Bevölkerung, die Entwicklung von Alzheimer tatsächlich beeinflusst, müsse allerdings erst in groß angelegten Studien getestet werden.
Weiter lesen: Alzheimer: Frühe Warnsignale im Gehirn entdeckt