Berlin. Die mit Juckreiz verbundene Hauterkrankung Neurodermitis belastet in Deutschland rund 2,5 Millionen Menschen. Doch was hilft wirklich?
Hier piekst es, da muss man sich kratzen, und am gesamten Körper juckt die Haut – Neurodermitis ist eine der belastendsten Hauterkrankungen des Menschen. Obwohl sie vergleichsweise gut behandelbar ist, müssen viele Betroffenen einen längeren Leidensweg auf sich nehmen, bevor sie tatsächlich Linderung erfahren. Allein dadurch drängen sich oft viele Fragen auf.
Um den Lesern Antworten zu ermöglichen, hat die FUNKE Mediengruppe gemeinsam mit der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft das Projekt „Die Haut-Docs“ ins Leben gerufen. Hier vermitteln Top-Dermatologen die wichtigsten Erkenntnisse zu Krankheiten und Haut-Problemen wie Rosazea, Nesselsucht, Herpes Zoster, Pilzinfektionen und Neurodermitis. Sie haben eine spezielle Frage? Senden Sie uns Ihr Anliegen per Mail an haut-docs[at]funkemedien.de. Die eingegangenen Fragen werden gesichtet und die drängendsten anonymisiert veröffentlicht und von den Experten beantwortet.
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Im heutigen Beitrag erklärt Prof. Dr. Thomas Werfel, Klinikdirektor der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Medizinischen Hochschule Hannover und Koordinator der Deutschen Leitlinie für Neurodermitis, wie die Krankheit entsteht und welche Medikamente die Behandlung in Zukunft erleichtern könnten.
Wie entsteht Neurodermitis?
Prof. Dr. Thomas Werfel: Die Neurodermitis hat einen genetischen Hintergrund und wird durch verschiedene Mechanismen ausgelöst. Einerseits kann dafür ein Infekt die Ursache sein, bei Frauen in der Schwangerschaft auch Hormonschwankungen. Es gibt außerdem Hinweise, dass Allergenkontakte oder Keime die Neurodermitis begünstigen – das lässt sich bisher aber bei den Betroffenen nicht immer zweifelsfrei nachweisen.
Sind genetische Veränderungen für die Entstehung der Krankheit mitverantwortlich, kann es sein, dass die Hornschicht der Haut, also die Hautbarriere, nicht richtig ausgebildet ist. Dadurch können Fremdstoffe leichter von außen in die Haut gelangen – oder umgekehrt. Das führt dazu, dass Entzündungen in der Haut entstehen, aus denen sich dann die typischen juckenden Hautveränderungen der Neurodermitis entwickeln.
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Neurodermitis-Symptome quälen die Betroffenen
Wie sehen die Symptome aus?
Werfel: Das Leitsymptom, das die Menschen am meisten quält, ist ein ausgeprägter Juckreiz, der in Schmerzen übergehen kann, wie wir aus vielen Befragungen wissen. Zudem kommt es zu sichtbaren Entzündungen mit Beteiligung der oberen Hautschichten. An Stellen, die nicht von der Kleidung bedeckt sind, sind diese Entzündungen dann auch gut sichtbar. Es besteht das Risiko, dass insbesondere Kinder und Jugendliche deswegen stigmatisiert und ausgegrenzt werden.
Außerdem kann es zu Sekundärkomplikationen kommen, da die Abwehrfunktion der Haut gestört ist. Das können etwa bestimmte Infekte an der Haut sein, wie zum Beispiel schwere Herpes-Infektionen oder auch bakterielle Infektionen der Haut. Zudem kommt es durch den Juckreiz zu Folge-Symptomen, die durch die Krankheit bedingt sind. Dazu zählen Schlaflosigkeit, ein Gefühl des „gerädert sein“. Dadurch ist auch die Leistungsfähigkeit in der Schule oder im Beruf verringert. Hieraus können Komorbiditäten (mit Neurodermitis vergesellschaftete Erkrankungen) wie Depressionen oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) entstehen.
Wer ist denn am häufigsten von Neurodermitis betroffen?
Werfel: Am häufigsten tritt Neurodermitis als Neuerkrankung bei Kindern auf, wobei die Krankheit auch im Erwachsenenalter erstmalig auftreten kann. Bis zur Einschulung sind etwa zehn bis 15 Prozent der Kinder in Deutschland betroffen, bei Erwachsenen ist Studien zufolge von ein bis zwei Prozent auszugehen. Da es aber deutlich mehr Erwachsene als Kinder in Deutschland gibt, sind die absoluten Zahlen der Betroffenen im Kindes- und Erwachsenenalter etwa gleich hoch.
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Behandlung bei Neurodermitis verläuft oft sehr unterschiedlich
Die Behandlung von Neurodermitis kann sehr unterschiedlich ausfallen. Auch die Vorbeugung ist wichtig. Wie geht man bestmöglich vor?
Werfel: Für die Behandlung haben wir in den Leitlinien ein Stufenthema entwickelt, das die Handlungsempfehlung für die Patienten vereinfacht. Die erste Stufe trifft für bei Patienten zu, deren Haut nicht sichtbar entzündet, aber evtl. bereits sehr trocken ist. Hier ist das Eincremen mit Salben oder Fettcremes die wichtigste Behandlungsform. Zudem sollten die Betroffenen hautreizende Kontakte minimieren. Das kann etwa im Haushalt der Feuchtkontakt beim Abwaschen sein oder entsprechende Aktivitäten im beruflichen Umfeld, wenn die Betroffenen zum Beispiel mit reizenden Chemikalien arbeiten. Dermatologen sind hier gefragt, den Betroffenen Hautschutzmaßnahmen und auch Unterstützung durch die gesetzlichen Unfallversicherungen für den beruflichen Bereich zu vermitteln.
Ist die Haut bereits entzündet, sollte äußerlich mit antientzündlichen Medikamenten wie kortisonhaltigen Cremes oder Salben in unterschiedlichen Wirkstärken behandelt werden. Die modernen Wirkstoffe werden in der Haut abgebaut und sollten so lange aufgetragen werden, bis die Haut weitgehend abgeheilt ist. Das ist die zweite Stufe.
Wichtig: an sensiblen Arealen der Haut wie im Gesicht oder in den Hautfalten, also dort, wo Haut auf Haut liegt, wird der äußerliche Einsatz von Cortison nicht mehr empfohlen. Stattdessen werden sogenannte äußerliche Calcineurininhibitoren eingesetzt, die antientzündlich sind und keine Hautverdünnung auslösen wie eine Langzeitbehandlung mit Cortison. Diese Verdünnungen störten vom Aussehen her besonders im Gesicht. Außerdem werden die betroffenen Stellen grundsätzlich empfindlicher für Verletzungen.
Und was ist die dritte Stufe?
Werfel: Die dritte Stufe kommt zur Anwendung, wenn die äußerliche Behandlung nicht mehr ausreicht. Dann gibt es die Möglichkeit, die Erkrankung kurzfristig (bis hin zu 3 Wochen) mit UV-Strahlen oder innerlich durch Tabletten oder Spitzen unter die Haut zu behandeln. Cortison-Tabletten sollen allerdings gemäß unserer aktuellen Leitlinie nur kurzfristig, d.h. maximal bis zu Wochen, eingesetzt werden und wegen ihres Nebenwirkungsspektrums möglichst nur ausnahmsweise bei Kindern.
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Wie geht man vor, wenn die Behandlung länger andauert?
Für längerfristige Behandlungen gibt es derzeit sieben zugelassene Substanzen. Bis vor wenigen Jahren gab es nur die Substanz Ciclosporin, die ab einem Alter von 16 Jahren zugelassen wurde. 2017 kam dann das erste Antikörper-Medikament namens Dupilumab, das per Spritze verabreicht wird. Es geht die Entzündungen direkt an, ist in aller Regel gut verträglich und mittlerweile schon für Kinder ab sechs Monaten zugelassen. Bei zwei Dritteln der Patienten wirkt Dupilumab sehr gut und bringt kaum Nebenwirkungen mit sich. Bei einem Teil der Patienten treten allerdings Entzündungen um die Augen herum auf, die man aber gut behandeln kann. Für die Schwerbetroffenen ist das ein echter Fortschritt, auch wenn es bei den Kindern mit dem Piksen nicht immer ganz einfach ist. Nach Dupilumab wurden dann noch zwei ähnlich wirkende Antikörper (Tralokinumab und Lebrikizumab) zugelassen.
Weiterhin gibt es drei Medikamente in Tablettenform (Abrocitinib, Baricitinib, Upadacitinib), die nach und nach zur Behandlung der Neurodermitis zugelassen wurden, die der Gruppe der Januskinaseinhibitoren angehören. Diese Tabletten wirken schneller und in den ersten Wochen zum Teil auch stärker als die Antikörper, können individuell aber etwas mehr Nebenwirkungen wie z.B. Infekte verursachen. Insbesondere für ansonsten gesunde junge Patientinnen und Patienten, für die eine äußerliche Behandlung alleine nicht ausreicht, stellen diese Tabletten aber auch eine echte Bereicherung im Management der Erkrankung dar.
Könnte denn in Zukunft ein neues Mittel entstehen?
Werfel: Zum Thema antientzündliche Therapie der Neurodermitis wird viel geforscht, um bei künftigen Behandlungen die Nebenwirkungen für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten. In naher Zukunft wird wahrscheinlich ein Januskinaseinhibitor in einer Creme für die äußerliche Behandlung der Neurodermitis in der EU und damit auch in Deutschland zugelassen werden. Er zeigt ebenfalls eine sehr gute Wirksamkeit, dürfte aber zu Beginn noch recht teuer für den breiten Gebrauch sein.
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