Essen. Vertriebsmitarbeiter sind leidgeprüft. Anstrengende Kunden und lange Verhandlungen sind ein Risiko für ihre psychische Gesundheit.

Was als neurotisch gilt, davon hat fast jeder eine Vorstellung. Das Geschirr penibel auf dem Esstisch ausrichten, fünfmal prüfen, ob der Ofen auch wirklich aus ist, oder die Bücher im Regal farblich sortieren. Doch in der Psychologie beschreibt die Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus nur, wie stark jemand die Welt als unsicher, bedrohlich und stressig wahrnimmt. Menschen mit einem hohen Neurotizismus erleben oft Gefühle von Angst, Furcht und Frustration.

Das kann im Beruf zu einem ernsthaften Problem werden und die mentale Gesundheit verschlechtern, beziehungsweise psychische Störungen verschärfen. Laut einer neuen Studie könnten davon vor allem Menschen betroffen sein, die im Vertrieb arbeiten.

Psychologie: Neurotizismus vor allem im B2B-Vertrieb verbreitet

Dass viele Vertriebler neurotisch werden, liege vor allem an den vielen Unsicherheiten im Beruf, schreiben die Autoren einer in der Fachzeitschrift „Organizational Behavior and Human Decision Processes“ veröffentlichten Untersuchung. Insbesondere Vertriebsangestellte, die Business-to-Business (B2B) Produkte und Dienstleistungen verkaufen, seien gefährdet, ein hohes Maß an Neurotizismus zu entwickeln. Als B2B werden Geschäftsbeziehungen bezeichnet, die sich zwischen mindestens zwei Unternehmen abspielen.

„Für Vertriebsprofis können die dem Job innewohnenden Unsicherheiten – wie lange Verkaufszyklen, komplexe Verhandlungen und die Abhängigkeit von Provisionen – einen Nährboden für neurotische Tendenzen schaffen“, erklärt Selma Kadic-Maglajlic, Professorin für Marketing an der Kopenhagen Business School und Co-Autorin der Studie, auf „The Conversation“. Verkaufspersonal, wie es einem täglich in der Öffentlichkeit begegnet, arbeite dagegen in kurzfristigeren Prozessen.

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Vertriebsmitarbeiter sind über mehrere Monate von Verhandlungen gestresst

„Ein Verbraucherverkäufer könnte Ihnen beispielsweise ein Auto verkaufen – der Vorgang würde höchstens ein paar Stunden dauern, mit minimalen Auswirkungen, wenn der Deal scheitert“, so Kadic-Maglajlic. Ein B2B-Verkäufer sei jedoch dafür verantwortlich, einem großen Unternehmen eine Fahrzeugflotte oder eine Großhandelslieferung von Teilen an einen Automobilhersteller zu verkaufen.

Ein „B2B-Vertriebler“ müsse einen Überblick über große Transaktionen, komplexe Produkte und mehrere Stakeholder (Interessensgruppen) behalten. Verhandlungen mit den Kunden sind oftmals hart und erfordern viel Geduld. Das Stresslevel kann dementsprechend über mehrere Monate hoch – und schädlich sein. Gleichzeitig hängt bei vielen Vertrieblern das Einkommen auch von den Kommissionen ab, die sie für erfolgreiche Deals erhalten.

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Unsicherheit im Vertrieb verändert die Persönlichkeit

In ihrer Studie bedienten sich die Forscher des psychologischen Modells der „Big Five“. Bei den „Großen Fünf“ geht es um fünf Persönlichkeitseigenschaften, die bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Neben Neurotizismus sind das Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Verträglichkeit. Die Studie untersuchte insgesamt 1700 B2B-Vertriebsmitarbeiter und 24.000 anderweitig Beschäftigte auf ihren Neurotizismus.

„Die Forschung zeigt, dass die ständige Unsicherheit in B2B-Vertriebsjobs defensive emotionale Reaktionen auslöst, die bei häufiger Aktivierung den Neurotizismus im Laufe der Zeit verstärken und verstärken können“, fasst Kadic-Maglajlic die Ergebnisse zusammen.

Zu den schädlichen Auswirkungen chronischer Unsicherheit in der Vertriebsarbeit gehöre eine Persönlichkeitsveränderung, die zu psychischen Störungen führen kann. Kadic-Maglajlic empfiehlt dieses Risiko wie auch andere Gefahren am Arbeitsplatz zu behandeln.

Arbeitgeber können ihre Mitarbeiter schützen

„So wie die Bauindustrie Maßnahmen ergreift, um Arbeitnehmer vor körperlichen Schäden zu schützen, sollten Unternehmen darüber nachdenken, ihre Mitarbeiter vor psychischen Schäden zu schützen, insbesondere in anspruchsvollen Positionen wie dem B2B-Vertrieb“, sagt Kadic-Maglajlic.

Dagegen helfen könnten betriebliche Gesundheitsmaßnahmen wie eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, Training für die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz oder die Förderung von Therapiestunden. Auch durch bezahlte Frei-Tage könnten Mitarbeiter eine Auszeit nehmen, wenn sie eine mentale Pause benötigen. „Dies fördert eine gesündere Work-Life-Balance und trägt dazu bei, einer Zunahme von Neurotizismus vorzubeugen.“

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