Berlin. Auch im Darm entscheidet sich, wie viel wir wiegen. Eine Expertin erklärt, wie wir Schlankmacher-Bakterien ansiedeln und pflegen.
Darmbakterien sind mit dafür verantwortlich, wie viel wir wiegen. Das sagt Michaela Axt-Gadermann, Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Im Interview erklärt die Autorin mehrerer Bestseller zur Darmgesundheit, wie wir Schlankmacher-Bakterien ansiedeln und pflegen können und wie lange das dauert.
Frau Axt-Gadermann, Studien zufolge soll zu etwa einem Drittel im Darm entschieden werden, wie viel wir wiegen. Wie hat man das herausgefunden?
Michaela Axt-Gadermann: Vor etwa 20 Jahren ist die Technik der Mikrobiom-Analyse entdeckt worden. Und eine der ersten Untersuchungen galt den Darmbakterien von Übergewichtigen und Schlanken. Dabei sind deutliche Unterschiede festgestellt worden. In Versuchen mit Mäusen und Ratten hat die Wissenschaft dann herausgefunden, dass die Tiere bei gleicher Kalorienaufnahme je nach Zusammensetzung ihrer Darmbakterien dick wurden oder Gewicht verloren haben.
Welche Bakterien sind Schlank- und welche Dickmacher?
Axt-Gadermann: Zunächst mal scheint ein ausgewogenes und vielfältiges Mikrobiom eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Körpergewicht zu sein. Wenn man ein gesundes Mikrobiom mit nur einem Begriff beschreiben sollte, wäre das Artenreichtum.
- Diät: „Mit diesen drei Tricks habe ich 45 Kilo abgenommen“
- Abnehmen: „Ich verzichte seit 4,5 Jahren auf Süßigkeiten“
- Fasten: Intervallfasten: Experte rät Frauen zu Zwei-Wege-Plan
- Ernährungsversuche: Vegan vs. Fleisch: Zwillinge experimentieren mit Ernährung
- Eiweiß: Abnehmen mit Proteinfasten: Dr. Riedl nimmt More Nutrition auseinander
Und die Schlank- und Dickmacher?
Axt-Gadermann: Zwei große Bakteriengruppen beeinflussen das Gewicht: die Firmicutes- und die Bacteroidetes-Bakterien. Firmicutes sind die Moppelbakterien, die viele Kalorien aus dem Essen ziehen. Sie machen uns zu einem guten Futterverwerter. Die Bacteroidetes bewirken das Gegenteil. Wenn ich viele dieser Bakterien im Darm habe, fällt es mir meist leichter, schlank zu bleiben. Darüber hinaus gibt es noch andere Bakterien, die für ein schlankes Mikrobiom sorgen, Bifidobakterien zum Beispiel.
Werden wir konkret: Was bedeutet es, viele Moppelbakterien im Darm zu haben?
Axt-Gadermann: Eine Studie hat gezeigt, dass ich je nach zugeführter Kalorienmenge 150 bis 250 Kilokalorien pro Mahlzeit mehr verwerte, wenn die Zahl bestimmter Firmicutes-Bakterien um 20 Prozent steigt. Im Laufe eines Jahres summiert sich das auf sechs bis acht Kilogramm Körpergewicht.
Auch interessant
Darmbakterien: Auch das Schicksal spielt eine Rolle
Und was beeinflusst mein Mikrobiom im Darm?
Axt-Gadermann: Der genetische Anteil ist sehr gering. Das Schicksal spielt aber schon eine Rolle. Es hängt nämlich zunächst mal damit zusammen, wie ich auf die Welt gekommen bin. Kaiserschnittkinder haben ein anderes Mikrobiom als Kinder, die auf natürlichem Weg geboren worden sind. Kinder, die gestillt werden, haben ein anderes Mikrobiom als Kinder, die die Flasche bekommen.
Und dann kommt es eben auch darauf an, was mir im Laufe des Lebens alles passiert. Wenn ich viele Antibiotika nehmen muss, steigt auch mein Risiko für Übergewicht, weil die Antibiotika das Mikrobiom so verändern können, dass mehr Kalorien aus dem Essen gezogen werden. Das geht dann schleichend. Nach drei oder vier Monaten merke ich vielleicht, dass ich ein Pfund mehr Gewicht habe, nach einem Jahr sind die Unterschiede signifikant. Ähnliches gilt auch für Darmreinigungen, etwa im Rahmen von Fastenkuren. Auch die reduzieren die Vielfalt im Mikrobiom und können dazu führen, dass ich nach der Kur mehr Gewichtsprobleme habe als vorher.
Wie kann ich feststellen, wie mein Darmmikrobiom zusammengesetzt ist?
Axt-Gadermann: Am einfachsten geht das mit einer Mikrobiom-Analyse. Dabei werden etwa 90 verschiedene Bakterienarten untersucht.
Auch interessant
Wie gut verstehe ich die Analyse auch als Laie?
Axt-Gadermann: Wenn ich diese bei einem Arzt machen lasse, ist die Analyse in Fachsprache verfasst. Dann kann ich hoffen, dass mein Arzt mir die Ergebnisse erklären kann. Das ist aber tatsächlich nicht so häufig der Fall. Bestelle ich mir hingegen einen Test im Internet, sollte eigentlich eine ausführliche und für Laien verständliche Erklärung dabei sein. Dennoch gibt es auch dann manchmal Probleme, alles zu verstehen. Deshalb habe ich das Buch „Mikrobiom Analyse. Verstehen und richtig interpretieren“ geschrieben. Da gehe ich auf jeden einzelnen Bakterienstamm ein und beschreibe, was er bedeutet und wie sich das Bakterium beeinflussen lässt.
Wichtig wäre, an dieser Stelle noch zu sagen, dass es auch Tests gibt, die noch die alten Verfahren verwenden. Diese nennen sich dann Darm-Check oder Stuhl-Test. Damit wird jedoch nur ein kleiner Teil des Mikrobioms erfasst, die Ergebnisse sind wenig aussagekräftig.
- Milchalternativen: Hafermilch oder Kuhmilch: Was ist wirklich gesünder?
- Ernährung: Gefahr Proteinpudding? Dr. Riedl warnt vor beliebten Sorten
- Vegan und Vegetarisch: Rügenwalder Mühle: So (un-)gesund sind Fleischersatzprodukte
- Gesund essen: Proteinfasten: Dr. Riel nimmt More Nutrition auseinander
Wie kann ich mein Darmmikrobiom auf schlank trainieren?
Axt-Gadermann: Anhand einer Mikrobiom-Analyse kann ich relativ gezielt handeln. Wenn mir Bakterien fehlen, kann ich einige davon über Nahrungsergänzungsmittel zu mir nehmen. Für 90 Prozent des Mikrobioms gilt das aber nicht. Da muss ich etwas anderes machen.
Was denn?
Axt-Gadermann: Ganz wichtig für eine darmfreundliche Ernährung sind sogenannte präbiotische Ballaststoffe. Sie sind exzellentes Bakterienfutter, weil sie von den Bakterien verstoffwechselt werden können. Und die Bakterien nutzen die Ballaststoffe, um sich selbst zu vermehren und zu stärken. Präbiotische Ballaststoffe findet man zum Beispiel in allen Lauch- und Zwiebelgemüsen, Hülsenfrüchten, aber auch in Haferflocken und in weniger gängigen Nahrungsmitteln wie Topinambur und Pastinaken.
Interessanterweise sind Kartoffel, Nudeln oder Reis besser fürs Mikrobiom, wenn sie nach dem Kochen abgekühlt sind. Dann entwickelt sich die sogenannte „resistente Stärke“, die ebenfalls zu den präbiotischen Ballaststoffen zählt. Es ist übrigens kein Problem, diese nach dem Abkühlen wieder zu erhitzen und Bratkartoffel oder Nudelauflauf daraus herzustellen.
Auch interessant
Mandeln machen das Mikrobiom artenreicher
Was sollte ich außerdem essen?
Axt-Gadermann: Insgesamt sollte die Ernährung ballaststoffreich und pflanzenbetont sein, also Obst und Gemüse, aber auch Getreide, Nüssen, in Samen und Mandeln enthalten. Mandeln sind hervorragendes Bakterienfutter. Es gibt Studien, die zeigen, dass mein Mikrobiom artenreicher wird, wenn ich jeden Tag eine Handvoll Mandeln esse. Auch Nahrungsmittel wie Kaffee, grüner Tee oder dunkle Schokolade sind gut fürs Mikrobiom. Generell gilt: Eine darmfreundliche Ernährung setzt nicht auf Entbehrung, sondern auf Abwechslung.
- ADHS bei Erwachsenen: Betroffene verrät, was ihr mit ADHS wirklich half
- Stress: Achtsamkeit – warum der Trend problematisch sein kann
- Vorsorge: MRT für Selbstzahler – wann es sinnvoll ist und wann nicht
- Ohrensausen: Tinnitus-Patientin berichtet, was ihr endlich geholfen hat
Wie lange dauert es, bis eine Veränderung eintritt?
Axt-Gadermann: Wenn ich meine Ernährung umstelle und Nahrungsergänzungsmittel mit probiotischen Bakterien einnehme, dann drei bis vier Monate. Das Mikrobiom benötigt einige Wochen, um sich umzustellen. Und dann geht auch erst das Gewicht runter. Da braucht man Geduld.
Was ist noch gut für ein „schlankes Mikrobiom“?
Axt-Gadermann: Bei den Nahrungsergänzungsmitteln ist es wichtig, die richtigen probiotischen Bakterien einzunehmen. Dazu gehören laut Studien unter anderem Lactobazillus gasseri, Lactobazillus plantarum und Bifidobacterium longum. Andere Probiotika wie Lactobacillus acidophulus und Lactobacillus reuteri führen hingegen oft zu einer Gewichtszunahme.
Daneben ist auch Bewegung wichtig. Eine Studie mit Büromenschen hat gezeigt, dass nach etwa acht Wochen, in denen sie sich eine halbe Stunde pro Tag zusätzlich bewegt hatten, das Mikrobiom deutlich vielfältiger war.
Drehen wir den Spieß mal um: Was füttert denn Dickmacherbakterien?
Axt-Gadermann: Eine Ernährung mit vielen tierischen Fetten und Eiweißen und wenigen Ballaststoffen und pflanzlichen Nahrungsmitteln. Und auch jede andere Form einer einseitigen Ernährung sorgt für ein einseitiges Mikrobiom, dem die Artenvielfalt fehlt. Also wenn ich jeden Tag nur Kartoffeln oder Bohnen essen würde, dann würden sich jene Bakterien vermehren, die das mögen und andere würden nach und nach verschwinden. Das ist nicht sinnvoll.
Unsere Expertin
Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Ernährungsmedizinerin, Sportmedizinerin und Dermatologin. Als Professorin unterrichtet sie im Studiengang integrative Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Sie hat zahlreiche Bücher zum Mikrobiom und zu Ernährungsthemen geschrieben, darunter verschiedene Bestseller wie „Der Abnehmkompass“, „Gesund mit Darm“ oder „Schlank mit Darm“.
Außerdem hat sie ein lizenziertes, von den Krankenkassen anerkanntes Online-Ernährungscoaching („Gesund mit Darm“) entwickelt.