Berlin. Schon vor 200 Jahren haben sich Menschen mit Lachgas berauscht. Nun ist der Trend zurück. Eine neue Studie offenbart die Gefahren.
Die neue Partydroge Lachgas könnte zu einer echten Gesundheitsgefahr werden. Eine Studie aus dem Großraum Paris zeigt den Anstieg schwerer Folgeerkrankungen durch den Konsum in der Freizeit seit 2020. Vor allem junge Menschen seien betroffen, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Es komme unter anderem zu Rückenmarks- und Nervenschäden.
Lachgas: Was ist Distickstoffmonoxid?
Lachgas, also Distickstoffmonoxid (N2O), ist ein seit über 200 Jahren eingesetztes Anästhetikum, das inhaliert wird. Anästhetika sind Medikamente, die zeitlich begrenzt Schmerzen mindern oder ausschalten. Bis heute sei Lachgas eine medizinisch sinnvolle und sichere Alternative in bestimmten Narkosesituationen, so die DGN. Bei Zahnbehandlungen oder auch unter der Geburt eingesetzt, seien keine negativen Folgen zu erwarten. Die Wirkung sei nach wenigen Minuten nach der Gabe vorbei.
Partydroge: Wie wird Lachgas in der Freizeit konsumiert?
Lachgas ist bereits seit Jahrzehnten eine Partydroge. Laut DGN wurde Distickstoffmonoxid bereits vor 200 Jahren auf Jahrmärkten angeboten. Derzeit erlebe das Gas eine Renaissance. Das Narkosegas werde zunehmend genutzt, um die Stimmung aufzuhellen und Glücksgefühle und Halluzinationen zu erzeugen. Dabei atmen die Menschen das Gas aus Kapseln oder Luftballons ein.
Ist der Verkauf von Lachgas in Deutschland erlaubt?
Lachgas fällt hierzulande nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Es kann im Internet oder auch in Kiosken und sogar aus Automaten bezogen werden. Andere Länder haben gesetzliche Regelungen gegen den Missbrauch getroffen. In Großbritannien ist der Besitz von Lachgas seit Ende 2023 illegal, auch die Niederlande und Dänemark haben strenge Vorgaben.
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Welche gesundheitlichen Folgen kann der Konsum haben?
Hier muss man zwei Gefährdungen unterscheiden: Bei der Verwendung von Lachgaskartuschen können extrem niedrige Temperaturen Finger und Lippen verletzen. Aber auch Lungenrisse durch den hohen Druck des komprimierten, sich ausdehnenden Gases, seien möglich, berichtet die DGN. Darüber hinaus drohten neurologische Schäden: „Wir sehen in der Klinik immer mehr Menschen, die mit neurologischen Akut-, Subakut- oder Spätfolgen ärztlichen Rat suchen“, sagt Prof. Gereon Fink von der Deutschen Hirnstiftung laut Mitteilung.
Laut DGN reichen die neurologischen Folgen von Bewusstlosigkeit über Lähmungserscheinungen bis hin zu Hirnschäden. Bei chronischem Konsum komme es zu Störungen im Zellstoffwechsel, wodurch ein Vitamin B12-Mangel entstehe. Dieser könne unter anderem Rückenmarks- und Nervenschäden auslösen, was zu Taubheitsgefühlen vor allem an den Füßen, Gangstörungen und in schweren Fällen auch zu Lähmungen führen kann. Die Symptome können durch die Gabe von Vitamin B12 behandelt werden; nicht immer bilden sich diese jedoch vollständig zurück.
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„Aber nicht nur die chronischen Folgen sind ein Problem“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. „Sorge macht auch eine nicht zu vernachlässigende akute Gefahr – vor allem, wenn im Einzelfall zu viel Lachgas inhaliert wird“. Dazu zählen neben Übelkeit, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen auch epileptische Anfälle, Schlaganfälle und Hirnschäden, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall und Atemprobleme.
Wie groß die Gefahr ist, offenbart eine Studie aus Frankreich, die alle Lachgasvergiftungen von Erwachsenen im Großraum Paris von 2018 bis 2021 erfasst. Die Zahlen wurden anschließend mit der Frequenz vergleichbarer neurologischer Krankheiten anhand der Krankenversicherungsdaten von 91.000 Klinikpatienten verglichen.
Von 181 Patientinnen und Patienten mit Lachgasvergiftung hatte den Angaben zufolge jeder Vierte eine Schädigung des Rückenmarks, 37 Prozent eine Schädigung von Nerven außerhalb von Hirn und Rückenmark und 38 Prozent eine Kombination beider Schäden. Die meisten Betroffenen waren 20 bis 25 Jahre alt und lebten in städtischen, sozial benachteiligten Gegenden. Der durchschnittliche tägliche Lachgas-Verbrauch lag bei 1200 Gramm; die durchschnittliche Dauer zwischen dem Beginn des Konsums und dem Auftreten der Symptome lag bei einem halben Jahr.
Die Inzidenz neurologischer Lachgas-assoziierter Erkrankungen nahm in Paris im Laufe des Jahres 2020 zu und erreichte Mitte 2021 einen Höhepunkt. Sie war deutlich höher als nicht durch Lachgas assozieerte Krankheiten in derselben Altersgruppe.
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Spätfolgen des Konsums: Gibt es besondere Risikogruppen?
Besonders gefährdet sind den Angaben zufolge Menschen, deren Vitamin-B12-Versorgung aus anderen Gründen schon nicht optimal ist, etwa bei veganer oder vegetarischer Ernährung, bei Einnahme bestimmter Medikamente wie Magensäureblockern, chronischen Magen-Darm-Entzündungen oder regelmäßigem Alkoholkonsum.
Was leiten Experten aus den Gesundheitsgefahren ab?
Die Studienautoren in Frankreich, aber auch die Experten der DGN fordern eine Reaktion: „Es ist an der Zeit, großangelegte Informationskampagnen zu starten, um auf die Gefahren von Lachgas hinzuweisen und gerade die junge Bevölkerung zu sensibilisieren“, sagt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. Darüber hinaus fordert die DGN das „konsequente Eingreifen der Politik“. Die DGN befürwortet daher eine klare Kaufeinschränkung von N2O. Die Abgabe für nicht medizinische Zwecke müsse gesetzlich geregelt werden.
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Um das Ausmaß des Problems zu erfassen, führt die DGN nun gemeinsam mit der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine Umfrage in Deutschland zur Häufigkeit und den neurologischen Folgen des Lachgasmissbrauchs durch.
Wie reagiert die Politik?
Die Unionsfraktion im Bundestag plädiert für ein Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige. Die rot-grüne Landesregierung von Niedersachsen sieht ebenfalls Handlungsbedarf und kündigte an, eine Bundesratsinitiative zu prüfen. Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) erklärte, dass Lachgas nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen gehöre. Der niedrigschwellige Verkauf an unter 18-Jährige sollte untersagt werden. Das gelte für den Kiosk- und Automatenverkauf in der Nähe von Schulen oder Kitas, aber auch für den Onlinehandel, Drogerien oder Supermärkte.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will Einschränkungen und gesetzliche Verbote prüfen lassen. Er sei dazu mit den zuständigen Ressorts der Regierung im Gespräch, sodass man hoffentlich bald zu Regelungen kommen werde. „Es kann auf keinen Fall so bleiben, wie es jetzt ist“, sagte er.