Berlin. In dem ersten Aufeinandertreffen im Fernsehen am Abend der Bundestagswahl werden Koalitionsoptionen abgeklopft – und Karrieren beendet.
Die Mundwinkel von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigen nach unten, als er auf die erste Frage antwortet, die ihm Moderatorin Bettina Schausten in der Berliner Runde stellt, die gute zwei Stunden nach den ersten Hochrechnungen im Ersten und im ZDF läuft. Ob es denn ein Fehler gewesen sei, nochmal anzutreten, will Schausten angesichts des schlechtesten sozialdemokratischen Ergebnisses bei einer Bundestagswahl wissen. „Das glaube ich nicht“, haucht Scholz dann in sein Ansteckmikro und klingt selbst kaum mehr überzeugt.
Man habe die Wahl verloren, sagt Scholz dann. Das sei bitter. Schausten fragt nach einem Generationswechsel an der SPD-Spitze: „Ist jetzt Schluss?“ Scholz verneint das nicht, er sei angetreten, er habe sich erneut um das Amt als Bundeskanzler beworben. Nun werde er auch kein anderes Regierungsamt übernehmen. Es klingt wie ein Abschied aus Spitzenämtern. Es wird nicht die einzige Abschiedsrede in dieser Fernsehsendung bleiben. Das Aufeinandertreffen der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten wird aber auch deutlich machen, wie schwer eine Regierungsbildung unter einem Kanzler Friedrich Merz (CDU) werden könnte.
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Merz streicht bevor die Sendung losgeht noch einmal über seine Krawatte und schenkt sich ein Glas Wasser sein. Er wirkt nicht so euphorisch, wie es ein Wahlsieger wohl sein könnte. Durchregieren könne er ja nun nicht, stellt Moderatorin Schausten auch fest. BSW und FDP kratzen zu dem Zeitpunkt an der Fünf-Prozent-Hürde. Zieht eine oder sogar beide der Parteien in den Bundestag ein, benötigte Merz zwei Koalitionspartner anstatt nur einen. Er werde sich bemühen, eine Regierung zu bilden, erwidert Merz. „Es ist ja kein Geheimnis, dass ich mir gewünscht hätte, nur einen Koalitionspartner zu brauchen und nicht zwei.“ Aber das sei zu akzeptieren.
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Dann bindet Bettina Schausten Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD, ins Gespräch ein, bescheinigt ihr „einen fulminanten Erfolg“. Das schmeichelt der Rechtsaußen-Frau, die den Ball sogleich aufnimmt. Man werde die eigene strategische Position weiter ausbauen, sagt sie dann und spricht von einem Plan. Die Hand der AfD in Richtung Union sei ausgestreckt, so Weidel, die CDU und CSU dann auch gleich einen Pyrrhussieg bescheinigt. Teuer erkauft also. Weidel prognostiziert: „Wenn das hier mit den Roten und Grünen zusammengeht, wird das eine instabile Regierung, die keine vier Jahre hält, mit einem Interimskanzler Merz. Und in den nächsten vier Jahren werden wir die Union überholen“, erklärt sie in der Runde.
Bundestagswahl: Habeck geht auf Söders Sticheleien nicht ein
Merz lächelt leicht und wiederholt das, was die Union aus seiner Sicht von der AfD trennt. „Da können Sie uns die Hand reichen, wie Sie wollen. Wir machen keine falsche Politik für dieses Land“, knurrt der CDU-Parteichef in Richtung Weidel zurück. Markus Söder, Chef der Schwesterpartei CSU, hatte vor der Bundestagswahl eine Zusammenarbeit nicht nur mit der AfD, sondern auch mit den Grünen stets ausgeschlossen – nun könnte es sein, dass er sich korrigieren muss, sollte es nur möglich sein, in einer Dreierkonstellation eine Regierung zu bilden.
Darauf angesprochen, verweist Söder auf die zu diesem Zeitpunkt „wackelige“ Datenlage. Dann sagt er: „Eine Regierung ohne die Grünen, ist eine bessere Regierung.“ Was dieser Satz im Gesicht von Robert Habeck (Grüne) verursacht, ist in den TV-Bildern zunächst nicht zu erkennen. Verbal jedenfalls versucht Habeck abzurüsten: Wolle Merz eine Kenia-Koaltion verhandeln, seien die Grünen gesprächsbereit, betont er.
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Dann geht es von einem strahlenden Gewinner des Abends zu einem Verlierer. Linken-Spitzenkandidat Jan van Aken darf sich zunächst freuen. „Mit 8,5 Prozent werden wir es Friedrich Merz schwer machen, seinen Angriff auf den Sozialstaat durchzuziehen“, verspricht er. Dann ist Christian Lindner (FDP) im Bild, der mit seiner Partei um den Wiedereinzug in den Bundestag bangt. Der FDP-Chef sieht traurig aus. Er spricht von einer schweren Niederlage für die FDP, aber „hoffentlich“ von einem Gewinn für Deutschland. Das, was danach kommt, kann man auch getrost als ein Abschiednehmen aus der Politik interpretieren. Letzter Satz: „Wenn sich die FDP morgen politisch und personell neu aufstellt, dann ist es völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide.“
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Dann geht es wieder um den Wahlsieger Merz und eine mögliche schwierige Regierungsbildung. Merz betont, das bis Ostern geschafft haben zu wollen. Scholz sagt, er sei bei einer sehr wahrscheinlichen Koalitionsverhandlung nicht dabei. Habeck will über Merz‘ vergangene Kritik an den Grünen dann lieber auch gar nicht erst sprechen. Weidel – mit der niemand über eine Regierungsbeteiligung verhandeln will – sagt, Merz stelle seine eigene Kanzlerschaft über das Wohl des eigenen Landes, was wiederum Merz ein wenig auf die Palme bringt.
Bundestagswahl: Merz sagt, wie er die AfD wieder kleiner machen will
„Das ist das Muster, was wir von der AfD sehen. Die sogenannte Alternative für Deutschland ist nicht an Lösungen interessiert, sie freut sich an der Eskalation der Probleme“, kontert Merz. Man sei selbst dafür verantwortlich, dieses Spiel zu durchkreuzen. „Sind die Probleme gelöst, wird diese Partei auch wieder verschwinden“, prophezeit der wohl neue deutsche Bundeskanzler.
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Merz wird dann noch zur Weltlage gefragt. Der amerikanischen Regierung unter Donald Trump sei das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig, die Einmischung Elon Musks in den deutschen Wahlkampf „nicht weniger unverschämt“, als die Interventionen, die man aus Moskau gesehen habe. Er wolle auch deshalb schnell sein bei der Regierungsbildung, damit Deutschland wieder ein starker Partner für Europa sein könne.
Bundestagswahl: Scholz korrigiert Merz an einer Stelle
Dann redet Weidel über die Ukraine. Die Schuldfrage an dem Krieg sei von Anfang an falsch gestellt worden, sagt sie. Daraufhin verdreht Robert Habeck die Augen und explodiert fast. „Man überfällt kein Land“, entrüstet sich Habeck.
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Dann ist das erste Abtasten am Wahlabend fast vorbei. Merz leistet sich noch eine kleine Ungenauigkeit. Wenn man Ostern fertig sei, sei Deutschland fast ein halbes Jahr ohne Regierung gewesen, sagt Merz. Dann unterbricht ihn Noch-Kanzler Scholz. Man habe ja eine Regierung, das wolle er hier festhalten. „Regierung ohne Parlamentsmehrheit“, korrigiert sich Merz selbst. Scholz nickt und ist sich dann mit Merz wohl doch irgendwie einig: Früher fertig werden mit den Koalitionsverhandlungen sei jedenfalls besser als später fertig werden.