Berlin. Nach der Wahlniederlage stehen der SPD harte Tage bevor. Die Blicke richten sich jetzt besonders auf einen Mann – das ist nicht Olaf Scholz.
Es ist die schwärzeste Stunde seiner langen Laufbahn als Politiker. Doch Olaf Scholz wirkt gefasst, die Niederlage kommt nicht überraschend. „Die Umfragen wurden und wurden nicht besser“, sagt der Kanzler vor den Genossen in der SPD-Zentrale. Für dieses bittere Ergebnis seiner Partei übernehme er Verantwortung. „Das ist eine Wahlniederlage.“ Die Sozialdemokraten klatschen für Scholz, Abschiedsstimmung legt sich über das Atrium des Willy-Brandt-Hauses.
Als im Willy-Brandt-Haus um 18 Uhr die ersten Ergebnisse auf den Bildschirmen erscheinen, stöhnen die dort versammelten Sozialdemokraten mehrfach. Ansonsten herrscht gespenstische Stille. Abgewählt, abgekanzelt. Kein Amtsbonus, kein Vertrauen. Die SPD holte mit einem Amtsinhaber als Spitzenkandidat ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Und das mit Abstand. Der bisherige Tiefpunkt waren die 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 gewesen. Bei ihrem Wahlsieg 2021 hatten die Sozialdemokraten noch 25,7 Prozent der Stimmen bekommen.
SPD: Olaf Scholz geht als Kurzzeitkanzler in die Geschichte ein
Der Absturz nach drei Jahren in der Regierung ist dramatisch. Und das ausgerechnet am 64. Geburtstag von Scholz‘ Frau Britta Ernst. Vor der Stimmabgabe in seinem Potsdamer Wahlkreis war Scholz am Sonntag in Begleitung von Personenschützern noch eine Runde durch Brandenburgs Landeshauptstadt gejoggt. Dem bitteren Ende des Tages konnte er nicht davonlaufen. Als Scholz an diesem Abend auf der Bühne steht, ist Ernst an seiner Seite.
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Die letzten Kapitel seiner Politiker-Biografie hatte sich Scholz anders vorgestellt. Mit der Wahl zum Bundeskanzler im Dezember 2021 hatte der Sozialdemokrat den Höhepunkt seines Strebens erreicht. Von einer Fortschrittskoalition unter seiner Führung und dem Anbruch eines sozialdemokratischen Jahrzehnts sprach der Norddeutsche damals. Scholz wollte die Fenster aufreißen und Deutschland nach den Merkel-Jahren durchlüften. Es kam anders.
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Dafür sorgten Russlands Krieg gegen die Ukraine, die ständigen Querelen in der Ampel-Koalition mit FDP und Grünen – und auch Scholz selbst, der die Streitenden zu oft zu lange gewähren ließ. Handlungsunfähig wurde die Regierung Ende 2023, als das Bundesverfassungsgericht mehrere Nebenhaushalte der Ampel-Koalition für nichtig erklärte. Der Architekt dahinter: Scholz. Der Koalition fehlten auf einen Schlag Milliarden, im Streit über die verbleibenden Mittel zerstritt sich das Bündnis. Scholz geht als Kurzzeitkanzler einer frühzeitig zerbrochenen Koalition in die Geschichte ein.
Die SPD muss sich nach der Bundestagswahl schnell neu aufstellen
Zwar dürfte Wahlsieger Friedrich Merz nun schnell mit den Sozialdemokraten über eine Regierungsbildung sprechen wollen. Für die SPD und Olaf Scholz steht nach dem historisch schlechten Ergebnis allerdings ein Neuanfang an. „Dieses Ergebnis ist eine Zäsur“, räumt Parteichef Lars Klingbeil ein. Umbrüche werde es in der SPD geben, organisatorisch, programmatisch und auch personell. „Der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden.“ Wie dieser aussehen soll, lässt Klingbeil aber ebenso wie seine Mitvorsitzende Saskia Esken zunächst offen.
Scholz hat sich festgelegt, dass er nicht unter einem Regierungschef Merz als Minister arbeiten will. Auch bei möglichen Gesprächen über eine Regierungsbildung will er nicht der Verhandlungsführer der SPD sein. Nach einer jahrzehntelangen Karriere dürfte der 66-Jährige absehbar vor einem Abschied aus der aktiven Politik stehen. In mögliche Verhandlungen mit Merz und der Union muss die Partei aber sortiert und mit klarer Führung gehen. Zeit gibt es keine zu verlieren: Die USA drohen damit, der Ukraine die Unterstützung gegen Putin zu entziehen. Europa erwartet ein handlungsfähiges Deutschland. Der Druck, schnell eine Regierung zu bilden, ist groß.
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Nach der Bundestagswahl: Offen ist, wer die Führungsrolle in der SPD übernimmt
Als Kanzler bleibt Scholz bis zur Wahl seines Nachfolgers im Amt. Es sei ihm eine Ehre gewesen, deutscher Bundeskanzler gewesen zu sein, sagt Scholz. „Ich werde dieses Amt bis zum letzten Tag ausüben.“ In der SPD dürfte er höchstens übergangsweise noch eine Rolle spielen. Klingbeil und Esken kommen allerdings auch nicht ohne Beulen aus dieser Katastrophenwahl. „Wir lernen aus unseren Fehlern“, verspricht Esken der SPD am Wahlabend.
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Esken gilt ohnehin seit längerer Zeit als Schwachpunkt in der Parteispitze, Klingbeil hingegen hatte stets den Ruf des Hoffnungsträgers. Das chaotische Verfahren um die endgültige Festlegung auf Scholz als Kanzlerkandidaten ließ manche in der SPD jedoch auch an der Führungsstärke von Klingbeil zweifeln. Über Tage war offen, ob die Partei an Scholz festhält – oder doch auf den deutlich beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt.
Der 47-jährige Klingbeil wird aber weiterhin eine zentrale Rolle bei den Sozialdemokraten spielen. In einer Krisensitzung einigte sich die SPD-Spitze am späten Sonntagabend darauf, dass Klingbeil auch die Führung der Bundestagsfraktion übernimmt. „Heute sind wir in der Parteiführung zu dem Schluss gekommen, dass es gut ist, wenn Jüngere den Karren weiterziehen und die Kräfte gebündelt werden“, teilte der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich mit.
Außerdem richtet sich der Blick auf den Kanzlerkandidaten vieler Herzen. Auf Pistorius stützen sich viele Hoffnungen in der SPD, wenn es Verhandlungen mit der Union über eine Regierungsbildung geben sollte. Pistorius wird als möglicher Vizekanzler gehandelt, zuletzt hatte er mehrfach betont, gerne Verteidigungsminister bleiben zu wollen. „Dass Boris Pistorius weiterhin eine wichtige Rolle einnehmen wird in der SPD, das steht für mich fest“, sagt SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Wahlabend.
Als Scholz die Bühne in der SPD-Zentrale verlässt, klatschen die Genossen laut für ihn. Scholz wirkt gerührt. Der Moment täuscht aber über eins nicht hinweg: Der SPD stehen harte Tage bevor.