Düsseldorf. Die Einigkeit der Demokraten bröselt, Rechtspopulisten reiben sich die Hände. Der Landtag hat eine große Chance vertan.
Das Epizentrum des politischen Bebens, das die Gewalttat von Aschaffenburg und die Wende in der Asylpolitik durch die Union ausgelöst haben, liegt in dieser Woche im Bundestag in Berlin. Die Erschütterungen waren aber am Mittwoch bis ins entfernte Düsseldorf spürbar: Der Landtag beschäftigte sich in einer Aktuellen Stunde mit Aschaffenburg und den Folgen, und die zumeist jungen Zuschauer auf den Tribünen wurden Zeugen eines parlamentarischen Tiefpunkts.
Die AfD, eigentlich nur ein Grüppchen im weiten Rund, sieht sich angesichts der Asyl-Vorstöße von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, die die Rechtspopulisten als ihre eigenen bezeichnen, im Aufwind, während die anderen Fraktionen – CDU, SPD, Grüne und FDP – teilweise wie Getriebene wirkten.
AfD-Fraktionsvize wittert „frische Luft“. „Es stinkt“, erwidert der SPD-Fraktionschef
Markus Wagner, einst Fraktionschef der AfD und heute Fraktionsvize, hatte Oberwasser. Die Brandmauer gegen die AfD und andere Parteien am äußeren rechten Rand und in Europa liege in Trümmern, behauptete er, und er ließ keine Zweifel daran, dass seine Sympathien bei Donald Trump, bei Javier Milei („Bringt Argentinien auf Vordermann“), beim „lieben Herbert Kickl“ in Österreich und bei Giorgia Meloni („Die Italiener lieben sie“). legen. Die CDU, konstatierte er genüsslich, sei jetzt zur Zusammenarbeit mit der AfD bereit. „CDU-Mitglieder sind frei, mit uns für ein besseres Deutschland zu sorgen. Wir werden das nutzen“, kündigte Wagner an. Je mehr Stimmen die AfD bekomme, desto mehr könne die CDU durchsetzen, was sie ihren Wählern verspreche. Überall drehe sich der Wind. „Die frische Luft ist da, und sie erreicht Deutschland“, so Wagner.
„Es stinkt. Es ist keine frische Luft. Die AfD ist eine Nazipartei, und Faschismus ist niemals Freiheit“, entgegnete SPD-Fraktionschef Jochen Ott, und weckte damit bei einigen Beobachtern die Hoffnung auf eine geschlossene parlamentarische Gegenreaktion. Aber die blieb aus. Denn jene Fraktionen, die sonst so vehement auf die Gemeinschaft der Demokraten dringen, handeln in Wahlkampfzeiten offenbar lieber nach dem Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“. Sie arbeiten sich aneinander ab.
Verrät die Union das europäische Vermächtnis von Helmut Kohl?
Landtags-Oppositionsführer Jochen Ott warf der CDU vor, in dieser „historischen Stunde“ zu versagen und das Erbe des überzeugten Europäers Helmut Kohl zu verraten, indem sie die Brandmauer zu den rechten Extremisten einreiße. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der früher in freier Rede dem NRW-Landtag wiederholt Sternstunden bescherte, teilte gegen den Oppositionsführer von der SPD aus: „In Wahlkampfzeiten ist die laute Nummer immer verlockender. Das ist lebensgefährlich für die Demokratie, für die Gesellschaft. Aber nicht zu früh klatschen, Herr Ott. Was sie hier gemacht haben, war genauso ein Beitrag, den ich meinte. Denn er war nicht ehrlich gemeint. Er war instrumentalisiert zu Wahlkampfzwecken.“
Liberale beklagen „Staatsversagen“, der Innenminister hält solche Vorwürfe für falsch und gefährlich
Reul hatte sich zuvor schon FDP-Fraktionschef Henning Höne vorgeknöpft, der angesichts der Gewalttaten von Aschaffenburg, Magdeburg und Solingen von einem „Staatsversagen“ gesprochen hatte: Der Staat versage bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz, beim Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger, von denen sich viele inzwischen nicht mehr trauten, Volksfeste zu besuchen, in einen Park zu gehen oder abends Bus zu fahren. Guter Wille müsse Grenzen haben „endlich auch in der Asylpolitik“, wetterte Höne
„Ich weiß nicht, ob es hilft, Herr Höne, wenn man vom Staatsversagen spricht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen diesen Eindruck eben nicht haben“, entgegnete Reul. Schwarz-Grün in NRW habe mit einem großen Sicherheitspaket nach dem von einem Syrer verübten Attentat von Solingen jedenfalls seine Hausaufgaben gemacht.
DGB fordert klare Haltung der Landesregierung
Anja Weber, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in NRW, forderte am Mittwoch eine klare Haltung der NRW-Landesregierung: „Wir beobachten mit großer Sorge die aktuellen Vorstöße von Friedrich Merz in der Migrationspolitik. Das vorgelegte Maßnahmenpaket ist billiger Populismus und wird keines der vorhandenen Probleme lösen. Im Gegenteil: Seine verfassungs- und europarechtlich bedenklichen Vorschläge treiben einen Keil zwischen die demokratischen Kräfte und nutzen ausschließlich der extremen Rechten“, schreib sie in einer Mitteilung.
Wer sich von den Stimmen der AfD abhängig mache, verlasse die demokratische Mitte. Friedrich Merz, FDP und BSW planten im Bundestag einen „politischen Dammbruch“, der unser Land dauerhaft verändern könne. „Wir erwarten von der NRW-Landesregierung, dass sie in dieser Situation Farbe bekennt. Die Zusammenarbeit mit Rechtsextremen darf nicht relativiert und Populismus nicht verharmlost werden. Wir brauchen eine sachliche und faktenbasierte Debatte, in der die demokratischen Kräfte gemeinsam um gute Lösungen ringen. Trumpismus darf in Deutschland nicht Einzug halten“, so Weber.
Raus aus dem Lager: Beim Asyl kommen sich „Rote“ und „Grüne“ auf einmal näher
Der Streit um Asyl und Zuwanderung ist auch in Nordrhein-Westfalen geeignet, Bündnisse und Loyalitäten zu sprengen und neue Lager jenseits eines Koalitionsvertrages zu bilden. So klatschten viele grüne Landtagsabgeordnete, als der SPD-Politiker Ott Zugewanderte „bessere Patrioten als die AfD-Rassisten“ nannte. Sozialdemokraten quittierten den Beitrag eines Mitglieds einer Regierungsfraktion, Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) aus Essen, mit Beifall: „Selbstverständlich halten wir Grünen es für nicht akzeptabel, dass Mehrheiten mit der AfD gebildet werden. Darum geht es, und nicht darum, ob die AfD irgendwo zustimmt oder nicht“, sagte Mostofizadeh. Und Teilen den AfD gefielen die Worte des Liberalen Höne über das „Staatsversagen“.
Ministerpräsident Hendrik Wüst schweigt lieber - aus gutem Grund
Und was tat der Ministerpräsident? Er schwieg. Zwischendurch ließ Hendrik Wüst (CDU) seinen Blick zur Parlamentsdecke wandern und machte den Eindruck, er sinne über eine Antwort auf diese emotional aufgeladene Debatte nach, aber diese Reaktion erfolgte nicht. Der Regierungschef und Vorsitzende der NRW-CDU hatte schon am vergangenen Freitag vor der Landespresse und später in der Sendung „Caren Miosga“ klargestellt, er stehe hinter dem verschärften Asyl-Kurs des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz.
Wer genau hinsah, konnte an Wüsts Mienenspiel und an seinem Tonfall ablesen, dass er als Mann der Mitte wohl keine rechte Freude an der Wende hin zu einem harten Migrations-Wahlkampf haben dürfte. Aber selbst ein behutsames Abrücken von Merz dürfte ihm in dieser sensiblen Phase des Wahlkampfes als Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes parteiintern nie verziehen werden. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) genießt da erheblich mehr Freiheit. Er kritisiert die Verschärfung der Asylpolitik offen.