Berlin. Greift ein Täter mit einem Messer an, hilft eigentlich nur eines: wegrennen. Doch was, wenn Kinder betroffen sind? Experten geben einige Tipps.
Es sind nur Sekunden, die über das eigene Leben entscheiden. Der Mann, 41 Jahre alt, sieht, wie Enamullah O. im Park in Aschaffenburg auf Kinder losgeht. Der Täter hat ein Messer in der Hand, er sticht zu. Was genau passiert ist, ermittelt nun die Polizei. Doch der 41-jährige Mann, dessen Identität bisher nicht bekannt ist, entscheidet sich zu helfen. Er schreitet ein, versucht den Täter offenbar von der Gewalttat abzuhalten. Der Mann bezahlt seinen Mut mit dem Leben. Er stirbt an den Messerverletzungen.
Was die Menschen im Park von Aschaffenburg erlebt haben, ist eine extreme Ausnahmesituation. Unwahrscheinlich, dass ein solcher Angriff einem selbst passiert. Und doch geht vielen Menschen nach einer solchen Tat durch den Kopf: Wie hätte ich mich verhalten? Was hätte ich tun können?
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Darauf gibt es keine einfache Antwort. Vieles hängt ab von der Situation. Davon, was man in dem Moment wahrnimmt. Und davon, welche Persönlichkeit man selbst hat als Zeuge eines solchen Verbrechens: Bringe ich den Mut auf, einzuschreiten? Fliehe ich – und rufe die Polizei zur Hilfe?
Polizei: „Suchen Sie nicht die Konfrontation, sondern flüchten Sie“
Messerangriffe gehören zu den gefährlichsten Situationen für Angegriffene. Das lernen Polizistinnen und Polizisten schon in der Ausbildung. Oftmals hilft nur der Schuss aus der Dienstwaffe – möglichst aus der Nähe, um andere nicht zu treffen. „Gewalt mit dem Messer ist schnell, unberechenbar“, sagt Markus von Hauff. Er ist Kampfsportler, gibt Trainings zur Selbstverteidigung und bildet auch Sicherheitspersonal aus. „Jeder kann ein Messer nutzen, es braucht keine besondere Fähigkeit, es braucht nicht einmal viel Kraft.“
Und die Verletzungen selbst bei kleinen Klingen haben schnell fatale Folgen, sobald Hauptschlagadern getroffen sind. Oftmals realisieren die Opfer gar nicht, dass sie lebensgefährlich getroffen sind. Adrenalin und Schockzustand dominieren über den Verstand.
All das sind Gründe, weshalb bei Gewalt mit Messern vor allem eine Regel für Betroffene gilt: wegrennen – und so schnell wie möglich Distanz schaffen zwischen sich selbst und dem Täter. Nur das ist sicher. Dazu raten sowohl Kampfsporttrainer als auch die Polizei. „Suchen Sie nicht die Konfrontation, sondern flüchten Sie“, schreibt die Polizei in Nordrhein-Westfalen in einem Leitfaden.
Niemand muss sich selbst in Gefahr bringen. Aber Hilfe holen ist Pflicht.
Nur was, wenn ein Kind oder andere schutzlose Personen angegriffen werden? Auch dann ist eine Möglichkeit, einen sicheren Ort zu suchen – und schnell die Polizei zu rufen. Niemand muss sich selbst in Gefahr bringen. Aber Hilfe holen ist Pflicht.
Kriminalbeamte beschreiben im Gespräch mit unserer Redaktion, dass beim Notruf vor allem deutlich werden muss: Was ist passiert? Und wo? Je präziser die Ortsangabe, desto besser für die Polizei. Es kommt in solchen Fällen auf jede Minute an. „Machen Sie auf sich und die Situation aufmerksam, warnen Sie andere“, sagt Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Und helfen Sie Verletzten.“
Wichtig sei auch, in der Leitung mit der Notrufstelle zu bleiben und nicht gleich wieder aufzulegen. Wer Sichtkontakt zum Täter hält, kann die Polizisten dorthin führen. Später können Aussagen als Zeuge der Polizei zudem bei der Strafverfolgung helfen.
Der Mann im Park von Aschaffenburg entschied sich, nicht zu fliehen. Fachleute sagen, dass Passanten die Gefahr für das eigene Leben in solchen Extremsituationen nicht erkennen. Zugleich gibt es Menschen mit mehr und mit weniger Mut. „Für beides muss eine Gesellschaft Verständnis haben“, sagt Polizist Kopelke.
Im Sommer 2017 gelang es einer Gruppe von Passanten, einen jungen Mann zu überwältigen. Der Attentäter Ahmad A. griff Menschen mit einem Messer in einem Supermarkt an. Die Kunden bewaffneten sich mit Stühlen aus den umliegenden Cafés, trieben den Täter vor sich her – und hielten ihn in Schach. „Wir haben uns besprochen, jeder sollte einen Stuhl schnappen, dann sind wir auf ihn losmarschiert“, sagte einer der Beteiligten damals. Es war eine beispiellose Aktion. Aber auch Glück, sagen Fachleute.
Was aber helfen kann, ist: Gruppen bilden gegen einen Angreifer. Auch Gegenstände wie Stühle, die als Barriere einen Abstand zwischen Täter und Angegriffenen bringen, können Leben retten. Wer Abstand zum Gewalttäter hält, kann durch Rufe und Schreie den Angreifer ablenken. „Täter reagieren auf Störungen empfindlicher, als man denkt“, sagt Kopelke.
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