Berlin. Vier Wochen bleiben bis zur Bundestagswahl – und das Thema Innere Sicherheit drängt mit Macht nach vorn. Die Parteien gehen aufs Ganze.
Die Messerattacke von Aschaffenburg hat unmittelbare Folgen für den Wahlkampf in Deutschland. Eigentlich sind die Parteien davon ausgegangen, dass es bis zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar vor allem um Themen wie Wirtschaft, Rente oder Steuern gehen wird.
Doch diese Planung könnte sich nun in Luft auflösen: Nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident geht es in der öffentlichen Debatte vor allem um die Frage der Selbstbehauptung Deutschlands und Europas. Und nach den Vorgängen von Aschaffenburg mit zwei Toten und drei Schwerverletzten drängt das Thema Innere Sicherheit wieder mit Macht nach vorn.
Weit weg war es ohnehin nie: Die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mit sechs Toten und 300 Verletzten ist erst einen Monat her. Der Messeranschlag auf das Stadtfest in Solingen, bei dem drei Menschen starben und acht weitere verletzt wurden, liegt gerade einmal fünf Monate zurück. Und acht Monate ist es her, dass auf dem Mannheimer Marktplatz sechs Menschen mit einem Messer verletzt wurden, wovon einer verstarb.
In allen Fällen nahm die Polizei anschließend Männer fest, die aus muslimischen Ländern als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren und hier um Asyl ersucht hatten – so jetzt auch in Aschaffenburg. Das befeuert die Diskussion über den Schutz der Bevölkerung und über die Migration insgesamt. Die Parteien und ihre Spitzenkandidaten bemühen sich entsprechend, hier Pflöcke einschlagen. Sie wollen vor der Bundestagswahl Stärke zeigen und nicht der politischen Konkurrenz das Feld überlassen. Ein Überblick.
Die SPD und Kanzler Olaf Scholz
Der Bundeskanzler ging bereits am Mittwochnachmittag kurz nach dem Angriff von Aschaffenburg verbal in die Offensive: Während es von den bayerischen Behörden hieß, es gebe keine Hinweise auf ein islamistisches Motiv, ließ Scholz eine Erklärung verbreiten, in der er von einer „unfassbaren Terror-Tat“ sprach. „Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen“, betonte der Kanzler und warnte vor einer „falsch verstandenen Toleranz“ gegenüber den Tätern. „Die Behörden müssen mit Hochdruck aufklären, warum der Attentäter überhaupt noch in Deutschland war. Aus den gewonnenen Erkenntnissen müssen sofort Konsequenzen folgen – es reicht nicht zu reden.“
Scholz dürfte sich auch deshalb so weit aus dem Fenster gelehnt haben, weil schnell klar war, dass jetzt auch bayerische Behörden und die CSU-geführte Landesregierung in München sehr viele kritische Fragen beantworten müssen.
Die Union um Kanzlerkandidat Friedrich Merz
Der CDU-Chef und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wollen Deutschlands Grenzen für die illegale Migration schließen. Merz sagte: „Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl und Einwanderungspolitik.“
Für den Fall seiner Wahl zum Kanzler kündigte Merz an, am ersten Tag im Amt das Innenministerium anzuweisen, alle Staatsgrenzen dauerhaft zu kontrollieren und alle Menschen, die kein Recht auf Einreise haben, zurückzuweisen. Das gelte ausdrücklich auch für Menschen mit Schutzanspruch. Die europäischen Asylregeln funktionierten nicht. „Deutschland muss daher von seinem Recht auf Vorrang des nationalen Rechts Gebrauch machen.“
Nach den Vorstellungen des Unions-Kanzlerkandidaten soll die Bundespolizei, die Ausreisepflichtige in Bahnhöfen oder Flughäfen aufgreift, das Recht erhalten, Haftbefehle zu beantragen. Die Personen müssten dann sofort in Gewahrsam oder Haft genommen werden und sofort abgeschoben werden. Dafür sollen deutlich mehr Kapazitäten bereitgestellt werden. Der Bund müsse die Länder bei Abschiebungen unterstützen, die Zahl der Abschiebungen und Rückführungen müsse viel größer werden. Ausreisepflichtige Straftäter oder Gefährder will Merz künftig in einen unbefristeten Ausreisearrest nehmen lassen. All das seien Bedingungen für eine Koalition unter seiner Führung. „Kompromisse sind zu diesem Thema nicht mehr möglich.“
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Die Grünen und ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck
Der Vizekanzler sagte nach dem Angriff von Aschaffenburg, die Tat sei „an Brutalität und Perversität kaum noch zu überbieten“. Die Hintergründe müssten jetzt schnell aufgeklärt werden. Konkrete Forderungen leitet die Öko-Partei aus den jüngsten Vorgängen zunächst nicht ab. Der Innenexperte Konstantin von Notz warf aber der Union und deren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz parteipolitische Manöver und Verantwortungslosigkeit vor: „Als Ampel hatten wir vor Monaten ein Sicherheitspaket vorgelegt. Die Union hat es aus wahlkampftaktischen Überlegungen im Bundesrat scheitern lassen“, sagt von Notz der Mediengruppe Bayern.
Mit Blick auf den Täter von Aschaffenburg sagte von Notz, dieser sei den Behörden zuvor mehrfach aufgefallen, auch wegen Gewalttaten. Er sei ausreisepflichtig gewesen und hätte nicht mehr im Land sein dürfen. Erneut werde deutlich, dass man es „in erster Linie mit einem Vollzugsproblem“ zu tun habe.
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Die FDP um Parteichef Christian Lindner
Der Vorsitzende der Freien Demokraten dringt darauf, rasch ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan zu schließen – also mit jenem Land, aus dem unter anderem der Täter von Aschaffenburg eingereist war. „Die kommende Bundesregierung muss sofort mit Afghanistan und baldmöglichst auch mit Syrien in Gespräche eintreten, damit Ausreiseverpflichtungen von deren Staatsangehörigen durchgesetzt werden können“, sagte Lindner dieser Redaktion.
Es könne nicht sein, dass die österreichische Regierung in Kabul über Rückführungsabkommen spreche, während Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) „nur Betroffenheit ausdrücken“ könnten. Es zeige sich ein Muster aus Herkunft, früherer Auffälligkeit und nicht vollzogener Ausreisepflicht, sagte Lindner. „Dieses Staatsversagen muss enden. Wir müssen ab sofort in diesen Fällen Abschiebegewahrsam und Sicherungsverwahrung ausdehnen.“
Die AfD und Kanzlerkandidatin Alice Weidel
Die Rechtsaußen-Partei fordert nach dem Anschlag von Aschaffenburg die Union auf, mit ihr zusammenzuarbeiten. Im Bundestag könnte in der kommenden Woche über eine „Schließung der Grenzen und die Zurückweisung Illegaler“ abgestimmt werden, schrieb Parteichefin Alice Weidel auf der Plattform X. „Es darf keine Brandmauertoten mehr geben“, ergänzte Weidel – und spielte damit darauf an, dass CDU-Chef Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch ausschließt.
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Das BSW und seine Frontfrau Sahra Wagenknecht
Die Parteichefin und Kanzlerkandidatin, die seit geraumer Zeit einen harten Kurs in der Migrationspolitik propagiert, fordert die konsequente Abschiebung von abgelehnten und kriminellen Asylbewerbern. „Bund, Länder und Gemeinden sollten sich auf eine konzertierte Aktion zur Ausweisung von Ausreisepflichtigen verständigen“, sagte sie der „Welt“. Wagenknecht ergänzte: „Es darf keine weiteren Opfer von ausreisepflichtigen Gewalttätern und überforderten Behörden geben.“
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