Paris. Der bekannte französische Sicherheitsexperte François Heisbourg warnt: Für Europa werde es unter Donald Trump ungemütlich. Was jetzt droht.

François Heisbourg (75) ist der bekannteste Sicherheits- und Verteidigungsexperte Frankreichs. Er arbeitete für die französische Regierung und Rüstungsindustrie sowie in internationalen Kommissionen. In London berät er das International Institute for Strategic Studies (IISS), in Paris und die Fondation pour la Recherche Stratégique (FRS). Seine neuste Publikation heißt „Un monde sans l‘Amérique“ („Eine Welt ohne Amerika“, bisher erst auf Französisch erschienen). Im Interview erklärt er, was auf Europa unter Donald Trump zukommen wird.

Donald Trump beginnt seine Amtszeit als Präsident der USA. Machen Sie sich Sorgen um Europa?

François Heisbourg: Ja, speziell um Europa. Donald Trump verachtet all die, die er für schwach hält. Und für ihn sind die Europäer schwach. Außerdem hält er sie für Parasiten, weil sie in seinen Augen unter dem Schutzschirm der USA leben.

Trump forderte deshalb bereits in seiner ersten Amtszeit ein stärkeres Engagements Europas. Besteht jetzt die Gefahr, dass er zur Tat schreitet und den Austritt aus der Nato in Erwägung zieht?

Heisbourg: Tatsache ist, dass Trump seine zweite Amtszeit besser vorbereitet hat als seine erste im Jahr 2016, als er selber nicht an einen Sieg glaubte und überhaupt nicht bereit war für strategische Entscheide. Während seiner ersten Amtszeit wurde er zudem in seinem Land durch den „tiefen Staat“ blockiert, wie er ihn nennt. Das Pentagon verstärkte das amerikanische Engagement in Europa sogar noch, anstatt es zu reduzieren. Zudem wurde Donald Trump wegen seiner möglichen Beziehungen zu Putins Russland gebremst. Diese Faktoren hindern ihn heute nicht mehr. Trump kann seine Agenda umsetzen.

Inklusive Nato-Austritt?

Heisbourg: Wohl nicht direkt. Aber er wird bewusst Anforderungen stellen, die die Europäer nicht einhalten können. Vernünftig wäre, von den Europäern eine Erhöhung der Militärausgaben auf zwei oder drei Prozent zu verlangen. Aber er verlangt fünf Prozent, was unhaltbar ist. Das wäre eine Ausrede, um den US-Beitrag zu senken. Für den Austritt aus der NATO bräuchte Trump die Genehmigung des Kongresses. Dagegen gibt es hohe Hürden, „Fire Walls“, wie die US-Diplomaten nennen. Die USA dürften die Nato also nicht verlassen, aber sie werden aufhören, eine aktive Rolle in der Organisation zu spielen.

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Francois Heisbourg arbeitete für die französische Regierung und Rüstungsindustrie sowie in internationalen Kommissionen.  © EPA-EFE | VAIOS CHASIALIS

Wird er der Ukraine den Rücken kehren?

Heisbourg: Das ist offen. Trump will den Krieg mit seinem typischen Ansatz beenden, einem „Deal“. Er hasst Allianzen und Bündnisse, er hofft auf einen Geschäftsabschluss mit Wladimir Putin in Sachen Ukraine. Aber er mag keine schlechten Deals, vor allem nicht, wenn der Eindruck entsteht, dass die Russen ihn übervorteilen. Wenn sich ein schlechter Deal abzeichnet, wird Trump die Diskussion einfach beenden. So hat er gegenüber Nordkorea gehandelt: Nach mehr als einem Jahr fruchtloser Verhandlungen ließ er einfach alles fallen. Sein Umfeld rechnet mit sechs Monaten für allfällige Ukraine-Verhandlungen – falls Putin überhaupt mitmacht.

Wie ist Wolodymyr Selenskyjs Beziehung zu Trump?

Heisbourg: Weniger schlecht, als viele denken. Selenskyj achtete sehr darauf, es mit Trump nicht zu verscherzen, als dieser die Ukraine zwingen wollte, Argumente gegen Bidens Sohn zu finden. Später scherzte Trump, Selenskyj habe es geschafft, „sich in den USA 60 Milliarden Dollar in die Tasche zu stecken“. Dabei schwang allerdings auch eine gewissen Anerkennung mit. Putin hingegen wird aufpassen müssen, dass er es mit Trump nicht verscherzt, wenn er Verhandlungen und einen Deal verweigert. Denn eines ist klar: Vom Kriegsverlauf her ist es momentan nicht im Interesse Moskaus, Verhandlungen aufzunehmen und den russischen Vormarsch zu bremsen.

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    Hat Trump angesichts dieses Krieges nicht recht, wenn er von den Europäern mehr Anstrengungen für ihre Verteidigung verlangt?

    Heisbourg: Bloß hat Trump nicht die Interessen des alten Kontinentes vor Augen. Er will den Europäern schlicht mehr Geld abpressen. Die USA selbst geben für ihre Verteidigung 3,4 Prozent aus, was nicht übertrieben viel ist für eine Supermacht, die China zum Hauptgegner hat. Die Europäer stehen gegenüber Trump gar nicht so schlecht da. Polen oder Estland investieren mehr als 4 Prozent für ihre Verteidigung. Beim nächsten Nato-Gipfel in Den Haag im Juni sind heftige Diskussionen über die Erhöhung der Militärausgaben auf 3 Prozent zu erwarten.

    „Er ist kein Idiot, er hat ein sehr klares Bewusstsein für die Kräfteverhältnisse, und er versucht, zu bekommen, was er will.“

    François Heisbourg
    Geo-Politologe

    Putin hat viel dazu beigetragen, den Verteidigungswillen der Europäer zu stärken...

    Heisbourg: Ja, und es wird interessant sein zu sehen, was die neue Regierungskoalition in Berlin dazu unternehmen wird. Deutschland ist strategisch in einer heikleren Situation als Frankreich oder Großbritannien, falls es Russland gelingt, Europa von Osten her strategisch zu dominieren.

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    Um auf Trump zurückzukommen: Ist es nicht erstaunlich zu sehen, dass die USA, der ehemalige Weltpolizist, der Europa vor den Nazis gerettet hat, heute auf genau diese „Schurkenstaaten“ (wie George Bush sagte) eingeht?

    Heisbourg: Ich bin darüber weniger entsetzt, schließlich muss man miteinander umgehen. Trump hatte recht, einen Deal mit Nordkorea zu versuchen. Was mich eher stört, ist, wie die Trump Druck auf die eigenen Verbündeten ausübt. So etwa, wenn er Dänemark mit der Annexion Grönlands droht. Das ist gegen einen der besten Nato-Verbündeten gerichtet. Es ist ein echter Bruch mit der globalen Sicherheit und der Weltordnung nach dem Kalten Krieg.

    Müssen wir Trumps Verbalangriffe auf Grönland, Kanada oder Panama also ernstnehmen?

    Heisbourg: Durchaus. Trumps Ideen haben seit der ersten Amtszeit Kontinuität. Er ist kein Idiot, er hat ein sehr klares Bewusstsein für die Kräfteverhältnisse, und er versucht, zu bekommen, was er will. Grönland wollte er schon 2019 kaufen. Die Covid-Pandemie hat ihn zwar gebremst. Falls ihm seine suspekte Putin- und Russland-Connection nicht politisch nicht zu schaffen macht, wird er in seiner zweiten Amtszeit viel dynamischer und stärker auftreten. Auch in Sachen Grönland.

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    Und Panama?

    Heisbourg: In Panama wird er aber nicht so schnell lockerlassen. Die US-Konservativen haben Jimmy Carter nie verziehen, dass er den Panamakanal zurückgegeben hat. Trump hat die Mittel. Erinnern Sie sich, George Bush senior marschierte 1989 schon in Panama ein, um Noriega loszuwerden. Trump könnte dasselbe tun – und dann einfach in Panama bleiben.

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    Das klingt wie der Imperialismus des Republikaners Theodore Roosevelt zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.

    Heisbourg: Roosevelt war vorsichtiger, er hatte mehr Taktgefühl als Trump. Sonst ist es aber der derselbe imperiale Ansatz.

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    Legitimiert Trump damit nicht unfreiwillig die Ansprüche Russlands auf die Ukraine sowie Chinas auf Taiwan?

    Heisbourg: Trumps Verhalten gegenüber Grönland erinnert natürlich an Putins Vorgehen. Die Amerikaner können sich nicht länger beschweren, wenn die Russen die Ukraine und die Chinesen Taiwan wollen.

    In seiner ersten Amtszeit war Trump noch von erfahrenen Diplomaten wie John Bolton umgeben. Gibt es diese mäßigenden „adults in the room“ noch?

    Heisbourg: Abgesehen von Außenminister Marc Rubio nicht. Diese Zeiten sind vorbei. Die Nominierungen sind bereits entschieden; nicht einmal Verteidigungsminister Pete Hegseth konnte verhindert werden. Nochmal: Trumps zweite Amtszeit wird sich sehr von der ersten unterscheiden. In der ersten zeigte Trump, was er wollte. In der zweiten wird aufzeigen, was er kann.

    Hat Trumps Machtantritt dem Gaza-Abkommen zum Durchbruch verholfen?

    Heisbourg: Vielleicht insofern, als Trumps und Bidens Gesandte unüblich eng kooperierten. Es ist aber noch nicht einmal klar, ob und wie das Abkommen umgesetzt wird. Wenn der Deal funktioniert, wird Trump posaunen, er sei bereits ein guter Präsident gewesen, noch bevor er Präsident geworden sei.

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    Wie sehen Sie Elon Musks Plauderstunde mit der AfD-Kandidaten Alice Weidel?

    Heisbourg: Als Einmischung eines prominenten amerikanischen Ministers in die Wahlen eines anderen Landes. Musk äußert nicht mehr den Standpunkt eines privaten Geschäftsmannes, er spricht im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika. Er mischt sich in Deutschland ein, dazu auch in die britische Politik, und warum nicht in Frankreich – zugunsten vielleicht von Marine Le Pen?

    Wie sehen Sie als Franzose die AfD?

    Heisbourg: Ich stelle fest, dass sogar Frau Le Pen sie ungesellig findet.