Berlin. Zwei wichtige Datenleitungen sind durchtrennt, Verteidigungsminister Pistorius vermutet Sabotage. Die Augen richten sich auf Russland.
Untersee-Datenkabel sind Lebensadern moderner Industriegesellschaften, ohne sie würde das Internet nicht funktionieren. Nun haben Unbekannte in der Ostsee gleich zwei dieser Leitungen durchtrennt. Eine davon führt von Finnlands Hauptstadt Helsinki nach Rostock in Mecklenburg-Vorpommern.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vermutet Sabotage und sagt: „Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind.“ Es drängt sich die Frage auf, ob Russland etwas damit zu tun hat. Belege liegen den Behörden aber bislang nicht vor. Zugleich berichten Medien über einen ersten Verdacht, der den Blick Richtung China lenkt: ein großer chinesischer Massengutfrachter ist demnach am frühen Montag südlich der schwedischen Insel Öland mit Manövern aufgefallen. Der Kapitän war laut ersten Recherchen von Fachleuten allerdings wiederum ein russischer Staatsangehöriger. Unweit von der Route des Frachters lokalisierten die Behörden die Schäden an den Kabeln. Ein Überblick.
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Um welche Kabel geht es?
Zwischen Deutschland und Finnland verläuft das Kabel C-Lion 1. Betreiber ist das staatliche finnische Unternehmen Cinia. Das Kabel ist fast 1200 Kilometer lang und verläuft zum Teil über dieselbe Route wie die vor zwei Jahren zerstörten Nord-Stream-Pipelines. Es ging 2016 in Betrieb und ist das einzige Datenkabel, das Finnland direkt mit Mitteleuropa verbindet. Die Beschädigung ist seit Montagabend bekannt.
Am Dienstag hieß es, das Kabel sei durchtrennt – und zwar zwischen der schwedischen Insel Öland und Litauen in einer schwedischen Sonderwirtschaftszone. Die Kommunikationsverbindung ist unterbrochen, die Daten fließen aber über andere Kabel am Meeresgrund und an Land. Ein Spezialschiff aus dem französischen Calais ist unterwegs, um das Kabel zu reparieren. Das dauert üblicherweise fünf bis 15 Tage.
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Bei dem zweiten Kabel handelt es sich um eines, das Litauen mit Schweden verbindet. Nach Angaben des Telekommunikations-Konzerns Telia Lietuva ist es am Sonntagmorgen um zehn Uhr durchtrennt worden. Das Kabel zwischen Finnland und Deutschland sowie das zwischen Litauen und Schweden kreuzen sich an einer Stelle, weshalb naheliegt, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen gibt.
Wer hat die Kabel durchtrennt?
Das ist bislang unklar und wird von den Behörden untersucht. Der Verdacht, dass Russland selbst oder ein Verbündeter dahinterstecken könnte, steht aber im Raum. Die politisch Verantwortlichen im Westen sagen das nicht direkt, deuten es aber an. Verteidigungsminister Pistorius sagte am Rande eines Treffens mit seinen EU-Kollegen in Brüssel, es müsse davon ausgegangen werden, „dass es sich um eine hybride Aktion handelt“. Er ergänzte: „Und wir müssen auch davon ausgehen, ohne es schon zu wissen, versteht sich, dass es sich um Sabotage handelt.“ In einer gemeinsamen Mitteilung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihrer finnische Kollegin Elina Valtonen hieß es: „Unsere europäische Sicherheit ist nicht nur durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bedroht, sondern auch durch die hybride Kriegsführung böswilliger Akteure.“
Was ist mit „hybrid“ gemeint?
Gemeint ist die gezielte Schädigung von Staaten, ohne dass formell Krieg von einem anderen Land erklärt wurde. In der Regel agieren die Angreifer dabei im Verborgenen. Es geht darum, bei den Menschen im angegriffenen Land ein Gefühl von Unsicherheit zu erzeugen. Westliche Staatslenker gehen davon aus, dass Russlands Machthaber Wladimir Putin seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 verstärkt einen hybriden Krieg gegen den Westen führt. Und zwar nicht mit Panzern, sondern etwa durch Hacker-Angriffe, Attentate, Desinformationskampagnen oder Anschläge auf die Infrastruktur. Erst in der vergangenen Woche hatte die irische Marine ein russisches Spionageschiff aus der Irischen See eskortiert, wo ebenfalls wichtige Datenkabel und Energie-Pipelines verlaufen. Offiziell ist das russische Schiff als Forschungsschiff deklariert.
Wie wichtig ist das Datenkabel zwischen Deutschland und Finnland?
Daniel Voelsen, Cyber-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sagte am Dienstag dieser Redaktion, das Kabel sei durchaus eine wichtige Verbindung. „Aber so, wie das Internet aufgebaut ist, sind einzelne Kabel immer ersetzbar.“ Weltweit gebe es jedes Jahr 100 bis 200 Ausfälle von Unterwasserkabeln, etwa wegen Unfällen, starken Strömungen und Erdrutschen. „Um das zu beheben, gibt es eine Flotte von Reparaturschiffen, all das ist Teil des Geschäfts.“ Voelsen ergänzte: „Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass Akteure gezielt Kabel angreifen. Russland macht keinen Hehl daraus, dass es über diese Fähigkeit verfügt. Man hat das strategisch auf dem Schirm als Teil der hybriden Kriegsführung.“ Der Experte betonte jedoch, dass es bisher keine gesicherten Erkenntnisse gibt, worauf die Beschädigung der beiden Ostsee-Kabel zurückzuführen ist.
Warum sollte Russland gerade jetzt Unterwasserkabel ins Visier nehmen?
Darüber lässt sich nur spekulieren. Finnland und Schweden sind Nato-Neumitglieder, sie traten dem westlichen Militärbündnis erst 2023 beziehungsweise 2024 unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bei. Am Montag war bekannt geworden, dass die USA der Ukraine gestatten will, mit amerikanischen Marschflugkörpern fortan auch Ziele tief im russischen Hinterland zu beschießen.
Die Ostsee war seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine bereits mehrfach Schauplatz von mutmaßlichen Sabotage-Angriffen: Im September 2022 explodierten drei von vier Stränge der Erdgas-Pipeline Nord Stream. Die Spuren führen aber in die Ukraine und nicht nach Russland. Im Oktober des vergangenen Jahres beschädigte der Anker eines chinesischen Frachtschiffs die Gasleitung Balticconnector, die Estland und Finnland miteinander verbindet.
Wie reagiert die Politik?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich nach der Beschädigung der Datenkabel in der Ostsee für einen stärken Schutz von kritischer Infrastruktur aus. „Wir kennen die Hintergründe der Beschädigung des Glasfaserkabels zwischen Finnland und Deutschland noch nicht, aber der Fall fügt sich in das Bild der hohen aktuellen Bedrohungen für kritische Infrastrukturen ein“, sagte Faeser dieser Redaktion. Es werde intensiv untersucht, ob sich der Verdacht eines Sabotageaktes bestätige. „Unsere Bundespolizei ist mit den schwedischen und finnischen Behörden im Kontakt, wir haben unsere Unterstützung bei den Ermittlungen angeboten.“
Die Innenministerin forderte, die kritischen Infrastrukturen widerstandsfähiger und krisenfester zu machen. „Dazu gehört der Schutz für Anlagen und wichtige Leitungen, dazu gehört mehr Ausfallsicherheit und eine schnelle Reaktionsfähigkeit bei Schäden“, sagte Faeser. Sie dingt darauf, dass das geplante Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen noch in dieser Legislaturperiode beraten und beschlossen wird. „Wir sind in der Pflicht, hier europäisches Recht umzusetzen und die innere Sicherheit zu stärken“, mahnte die SPD-Politikerin.
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte dieser Redaktion: „Die Sicherheit der im Meer liegenden Infrastruktur ist akut gefährdet. Die Lebensadern unserer Demokratie werden von gleich mehreren autoritären Staaten massiv bedroht.“ Im Zuge des russischen Angriffskriegs hätten sich die Bedrohungslagen noch einmal massiv verschärft. „Hierauf müssen wir sicherheitspolitisch endlich reagieren.“
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