Brüssel/Berlin. Manfred Weber, Chef von Europas Christdemokraten, erwartet eine Zeitenwende im Verhältnis zu den USA – und sagt, was jetzt droht.

Die Welt blickt gebannt auf die US-Präsidentschaftswahl: Was kommt auf Deutschland, auf Europa zu, wenn Donald Trump gewinnt? Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, ist einer der einflussreichsten Europapolitiker. Im Interview mit unserer Redaktion sagt der CSU-Mann, warum Trump einen wunden Punkt trifft.

Herr Weber, Harris oder Trump – wen wünschen Sie sich im Weißen Haus?

Manfred Weber: Wir wünschen uns als Europäer eine gute Partnerschaft mit den Amerikanern. Auf diese Wahl schauen wir voller Respekt gegenüber der ältesten Demokratie der Welt – in einer Zeit, in der Demokratien in der Defensive und Autokraten auf dem Vormarsch sind.

Trump selbst zeigt autokratische Tendenzen.

Weber: Es ist kein Geheimnis, dass viele in Europa Sympathien gegenüber Kamala Harris und der Biden-Regierung hegen. Aber wir müssen pragmatisch mit den USA umgehen und Lösungen in der Sache erzielen – ganz gleich, wer ins Weiße Haus einzieht. Wir dürfen uns nicht an der Schulter der Amerikaner ausruhen, sondern müssen eigenständig und souverän unsere Aufgaben erledigen. Die USA positionieren sich neu, wir brechen auf in eine neue Zeit. Vielleicht wird Joe Biden als letzter transatlantischer Präsident in die Geschichte eingehen. Wir steuern – mit Trump wie auch mit Harris – auf eine Zeitenwende im europäisch-amerikanischen Verhältnis zu.

Ist Europa darauf vorbereitet?

Weber: Nach dem Wechsel von Trump zu Biden 2020 hat sich Europa wieder zurückgelehnt und zu wenig Ambition gezeigt. Umso mehr müssen wir jetzt in die Gänge kommen. Die USA brauchen einen starken Partner in Europa, um die globalen Herausforderungen zu meistern. Wir blicken gemeinsam auf die Wirtschaftsmacht China. Die Waffenbruderschaft zwischen Russland und Nordkorea fordert die USA genauso heraus wie uns. Auch wenn Trump gewählt wird, muss die Europäische Union schnell die Partnerschaft zur neuen US-Administration suchen. Die Bundesregierung ist in den vergangenen Jahren sehr ideologisch aufgetreten. Das hat Deutschland in eine schwierige Situation gebracht. Trump sieht die Ampel-Regierung als einen der Hauptgegner in Europa. Eine eigene Position ist wichtig, aber Ideologie führt zu nichts. Jetzt brauchen wir die ausgestreckte Hand zu den USA.

Manfred Weber CSU
Der CSU-Vize und Europaabgeordnete Manfred Weber ist Fraktions- und Parteichef der Europäischen Volkspartei – und damit einer der einflussreichsten EU-Politiker in Brüssel. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Was bedeutet das für unsere Sicherheit? Trump hat mehrfach damit gedroht, die Europäer ihrem Schicksal zu überlassen, wenn Russland angreift …

Weber: Trump trifft einen wunden Punkt Europas. Es werden nicht dauerhaft gut 330 Millionen Amerikaner 450 Millionen Europäer verteidigen. Das funktioniert nicht. Die Kernfrage ist: Schafft es Europa endlich, das militärische Gewicht aufzubauen, das dieser Kontinent längst haben müsste? Wir sind bei dem Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, vorangekommen. Die Bundesregierung muss aber noch die Nachhaltigkeit der zwei Prozent unter Beweis stellen.

Reichen zwei Prozent?

Weber: Mittelfristig nein, aber der schnelle Ausbau einer europäischen Verteidigung, die diesen Namen verdient, scheitert aktuell weniger am Geld als an den Produktionskapazitäten. Um eigenständiger zu werden, brauchen wir einen europäischen Verteidigungsmarkt …

… der wie funktionieren soll?

Weber: Wir werden erstmals einen EU-Kommissar haben, der eine bessere Zusammenarbeit bei der Verteidigung organisieren soll. Wir haben zig verschiedene Panzerarten in der Europäischen Union, die Amerikaner haben eine. Wir müssen effizienter werden beim Produzieren von Verteidigungstechnologie. Und wir müssen zusammenarbeiten beim Aufbau moderner Systeme wie einer Raketenabwehr oder vielleicht auch einmal einem Flugzeugträger. Wir müssen endlich unsere Lektion lernen und ein europäisches Rückgrat für die Nato aufbauen. Das ist die Aufgabe, die wir in der EU jetzt haben – im besten Fall gemeinsam mit unseren britischen Freunden.

Scholz, Lindner und Habeck
Bundeskanzler Olaf Scholz (M., SPD), spricht mit Finanzminister Christian Lindner (r., FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). Die Bundesregierung ist nicht mehr handlungsfähig, Neuwahlen seien notwendig, sagt Manfred Weber im Interview. © DPA Images | Michael Kappeler

Einen Ausstieg der USA aus der Nato fürchten Sie nicht?

Weber: Ich verstehe die Frustration der Amerikaner. Sie sind nicht bereit, die gesamte Verteidigungsrechnung zu bezahlen. Wenn wir unseren Beitrag leisten, wird die Nato eine starke Zukunft haben. Mir fehlt jedes Verständnis, dass die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Ampel-Koalition infrage gestellt wird. Wenn die USA diese Unterstützung anbieten, muss man sie auch willkommen heißen. Als CDU und CSU müssen wir ein gestärktes Europa mit dem Aufbau einer europäischen Verteidigung in den Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfs stellen. Wir brauchen so schnell wie möglich eine handlungsfähige Bundesregierung und Neuwahlen in Deutschland.

Der Westen wankt – und Sie wollen die Instabilität vergrößern?

Weber: Der Ampel-Regierung wird es nicht mehr gelingen, Europa zusammenzubringen und maßgeblich zu stärken. Ich sehe keine Führungsfähigkeit bei Kanzler Scholz mehr. Ich baue darauf, dass Friedrich Merz zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron größere Schritte geht. Europa muss seine Sicherheit souverän aufbauen – in Partnerschaft mit den Amerikanern. Die neue Administration in Washington muss spüren: Wir meinen es ernst und übernehmen unseren Teil der Verantwortung.

Was kommt auf uns zu, wenn die Vereinigten Staaten als wichtigster Unterstützer der Ukraine ausfallen?

Weber: Auf beiden Seiten des Atlantiks wird verstanden, dass die Ukraine einem brutalen Angriffskrieg ausgesetzt ist – und dass ein russischer Sieg die Nato in Bedrängnis bringen würde. Ich vertraue darauf, dass die Vereinigten Staaten auch unter einem Präsidenten Trump weiter zur Ukraine stehen. Aber wir müssen einen Plan B für die Verteidigung der Ukraine in der Schublade haben.

Der wie aussieht?

Weber: Der Ukrainekrieg findet auf europäischem Grund und Boden statt. Wir müssen notfalls die Ukraine bei ihrem Verteidigungskampf noch stärker unterstützen. Dazu gehören auch weitere Waffensysteme wie die Taurus-Marschflugkörper. Europa ist in der Lage, die Ukraine so zu ertüchtigen, dass sie diesen Krieg gewinnt.

Trump vs. Harris: Ihre Positionen in der Außenpolitik

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    Haben Sie nicht die Sorge, dass Deutschland direkt ins Visier von Putin gerät?

    Weber: Das sind wir doch schon längst. Wir werden von Russland tagtäglich hybrid attackiert. Wenn die Ukraine fällt, rückt der Krieg näher an Deutschland heran. Deswegen müssen wir die Ukraine bestmöglich unterstützen.

    Wie schnell kann die Ukraine in EU und Nato aufgenommen werden? Präsident Selenskyj ist ungeduldig, er will höchstens noch wenige Jahre warten.

    Weber: Die Ukraine braucht eine klare Perspektive für einen Beitritt zur Europäischen Union – und Sicherheitsgarantien bis hin zu einer Nato-Mitgliedschaft. Den genauen Zeithorizont zur Nato müssen wir mit der neuen US-Regierung besprechen

    Ukraine-Krieg - US-Freiwillige
    Soldaten des 23. separaten Gewehrbataillons der ukrainischen Streitkräfte halten an der Frontlinie in der Region Charkiw Stellung. © DPA Images | Efrem Lukatsky

    Was würde eine Rückkehr von Trump für unsere Wirtschaft bedeuten?

    Weber: Europa darf auch ökonomisch nicht am Rockzipfel der USA hängen. Wir sind als Wirtschaftsmächte fast gleich stark – sowohl die Vereinigten Staaten als auch die EU haben einen Anteil von jeweils über 20 Prozent an der globalen Wirtschaftsleistung. Trump wie auch Harris werden verstehen, dass wir zusammen die globalen Regeln auf Basis unserer Werte auch in Zukunft prägen. Es ist auf beiden Seiten des Atlantiks von Vorteil, unfaire Handelspraktiken zu beenden, aber den globalen Freihandel weiter zuzulassen. Wir müssen den Amerikanern nach der Wahl zügig ein Angebot machen, wie wir unsere Handelsbeziehungen stärken und fairer gestalten – und Mächten wie China gemeinsam entgegentreten können.

    Kann der Westen einen Handelskrieg gegen China gewinnen?

    Weber: Niemand will einen Handelskrieg. Aber wenn Peking unfair subventioniert wie bei den Elektroautos und Produkte zu Dumpingpreisen auf den Markt bringt, wird es nur Verlierer geben. Daher müssen wir mit der neuen US-Regierung direkt nach Amtsantritt eine transatlantische China-Strategie entwickeln.

    Haben Sie noch Hoffnung auf ein europäisch-amerikanisches Freihandelsabkommen?

    Weber: Durchaus. Wir sollten auf die USA zugehen und ein Freihandelsabkommen anbieten. Dabei darf es keine Stimmungsmache mehr geben wie seinerzeit beim Scheitern von TTIP.

    Haben Sie denn Kontakt zu Trump und seinem Team?

    Weber: Wir als Europäische Volkspartei haben Drähte und Kontakte. Wir würden auch mit Trump ins Gespräch kommen, da mache ich mir wenig Sorgen.