Berlin. Die US-Zeitung von Jeff Bezos verzichtet auf ihre traditionelle Wahlempfehlung. Nicht nur die Abonnenten setzen den Eigentümer unter Druck.

„Die Zeitung wird ihren Lesern verpflichtet bleiben und nicht den Privatinteressen ihrer Besitzer“, hatte Jeff Bezos vor elf Jahren gesagt. Der Milliardär und zwischenzeitlich reichste Mann der Welt kaufte 2013 die damals angeschlagene „Washington Post“ für 250 Millionen Dollar. Als einflussreicher Amazon-Inhaber versuchte er sich mit Aussagen wie „wir werden der Wahrheit folgen, ganz gleich, wohin uns das führt“ freizumachen von Vorwürfen seiner interessengeleiteten Einflussnahme.

Elf Tage vor der US-Wahl entsteht jedoch der Eindruck, dass dieser von Bezsos vorgetragene Selbstanspruch passé ist. Am Freitag wurde öffentlich, dass das renommierte Blatt auf eine Wahlempfehlung verzichtet, wie sie viele US-Zeitungen traditionell abdrucken. Dabei lag das „endorsement“ der Kommentatoren, das die Washington Post in den vergangenen Wahlperioden zugunsten der Demokraten verfasste, bereits in der Schublade. Die Kommentatoren wollten ihrer Linie treu bleiben und ihren Leserinnen und Lesern die Wahl von Kamala Harris empfehlen.

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„Wir kehren zu unseren Wurzeln zurück“, verteidigte Herausgeber William Lewis die Entscheidung als eine, die er selbst getroffen habe. Und doch sah sich Eigentümer Jeff Bezos am Montag selbst genötigt, sich zu der fehlenden Wahlempfehlung zu äußern: Es sei die Realität, dass viele Menschen Medien für parteiisch hielten. „Und wer mit der Realität kämpft, verliert“, so der Milliardär. Dass die Entscheidung so kurz vor der US-Wahl getroffen wurde, entschuldigt er mit „mangelhafter Planung“.

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    Viele Leser hielten die Entscheidung aber offenbar für falsch. Seit Freitag haben 200.000 Kunden der Zeitung ihre Abonnements gekündigt, Tendenz steigend, wie der Sender NPR unter Berufung auf anonyme Quellen berichtet. Was als stillschweigende Ablehnung interpretiert werden kann, wird von Kommentatoren der Zeitung offen ausgesprochen: Als „schrecklichen Fehler“ kritisierten 19 Kolumnisten in der Zeitung die Entscheidung. Die Reporterlegenden Bob Woodward und Carl Bernstein, die als Journalisten der „Post“ den Watergate-Skandal aufdeckten, sprachen in einem Statement von einer „großen Enttäuschung“ und wiesen darauf hin, dass das Blatt bislang „seine enormen Ressourcen und seinen Einfluss“ genutzt habe, um über die Gefahren einer zweiten Amtszeit von Ex-Präsident Donald Trump aufzuklären.

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    Der ehemalige Chef der „Washington Post“, Marty Baron, reagierte mit Empörung. Es handele sich um „Feigheit der Zeitung, der die Demokratie zum Opfer fällt“, schrieb Baron im Onlinedienst X. Trump werde die Entscheidung „als Einladung zur weiteren Einschüchterung“ von Amazon-Gründer Bezos auffassen. 

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    Bezos, der dank steigender Amazon-Aktien auf einem Vermögen von gut 200 Milliarden Euro sitzt, verdankt seinen Reichtum der Gründung des Versandhandels im Jahr 1994. Im Gegensatz zu Tech-Milliardär Elon Musk, der offen für Trump Partei ergreift, ist Bezos bislang eher selten mit politischen Stellungnahmen aufgefallen.

    Bezos Unternehmen bekommen Aufträge von US-Regierung

    Dennoch ist er nicht unabhängig vom Wohlwollen amerikanischer Regierungen: Am selben Tag, als die „Post“ ihre Entscheidung verkündete, traf sich ein Top-Manager von Bezos‘ Luft- und Raumfahrtunternehmens Blue Origin mit Donald Trump. Laut Medienberichten bewerben sich sowohl Blue Origin wie Amazon um lukrative Aufträge der US-Regierung. Kolumnist Robert Kagan äußerte den Verdacht, dass Trump die Blue-Origin-Führungsspitze bei einer Wahlempfehlung des Blattes für Harris nicht empfangen hätte. „Es gab klar einen Deal“, sagte er dem Online-Dienst „Daily Beast.“ Offensichtlich wolle sich Bezos bei Trump für den Fall seiner Präsidentschaft beliebt machen, führte er gegenüber CNN aus. Der „Post“-Kolumnist hatte nach der „endorsment“-Absage seiner angestammten Zeitung den Rücken gekehrt.

    „Ich möchte auch klarstellen, dass hier keinerlei Gegenleistung im Spiel ist“, verteidigte sich Bezos in seiner Stellungnahme gegen Vorwürfe dieser Art. „Weder die Kampagnen noch die Kandidaten wurden auf irgendeiner Ebene oder in irgendeiner Weise über diese Entscheidung konsultiert oder informiert.“

    Trump nutzt „endorsement“-Verzicht für eigene Zwecke

    Dabei ist die Washington Post nicht die einzige US-Zeitung, die auf das traditionelle „endorsement“ verzichtet. Auch die „Los Angeles Times“ hatte sich für den Verzicht entschieden. Inhaber Patrick Soon-Shiong, der sein Vermögen mit Biotech-Unternehmen anhäufte, kaufte die Zeitung 2018 für 500 Millionen Dollar, um aus ihr eine „Bastion der Demokratie zu machen“. Nach dem Verzicht auf die Wahlempfehlung trat die Chefin der Kommentarredaktion des Blattes, Mariel Garza, aus Protest zurück.

    Trumps Wahlkampfteam nutze die Entscheidung des „Los Angeles Times“-Eigentümers unterdessen für seine eigenen Zwecke und erklärte, die Entscheidung sei „die nächste Niederlage für Harris. Selbst die Menschen in Kalifornien wissen, dass sie dem Job nicht gewachsen ist“.