Mexiko-Stadt. Der mythenumrankte Amazonas ist der zweitlängste Fluss der Erde. Nun erleben die Menschen an seinen Ufern apokalyptische Szenen.
- Der Rio Negro ist einer der größten Zuflüsse des Amazonas in Brasilien
- Er ist besonders stark von Trockenheit betroffen
- Mitte Oktober erreichte der zweitgrößte Nebenfluss den niedrigsten Pegelstand seit Beginn der offiziellen Messungen
Es sind Bilder, die an apokalyptische Filme erinnern. Man sieht gebeugte Männer mit großen Bananenstauden auf dem Rücken über eine scheinbar unendliche rotbraune Erde laufen. Weit und breit nur Hitze, Sonne und vor allem Dürre. Da, wo eigentlich Wasser fließen sollte und Boote fahren sollten, gehen die Menschen jetzt zu Fuß und schleppen Ware und Lebensnotwendiges zu Fuß durch das Flussbett. Willkommen am Rio Negro, dem schwarzen Fluss, einem der größten Zuflüsse des mythischen Amazonas in Brasilien.
Dieses wie schon das vergangene Jahr ist der Rio Negro, der vor allem durch den Bundesstaat Amazonas und seine Hauptstadt Manaus verläuft, besonders von Trockenheit betroffen. Der zweitgrößte Nebenfluss des Amazonas sank Mitte Oktober auf den niedrigsten Pegelstand seit Beginn der offiziellen Messungen vor 121 Jahren. Dort, wo er normalerweise über 30 Meter tief ist, waren es nur noch knapp 13 Meter.
Und der traurige Rekord bestätigt, dass dieser Teil des größten Regenwaldes der Welt seine schlimmste Dürre erlebt, und das nur gut zwei Jahre nach der schlimmsten Überschwemmung. Insgesamt sind dieses Jahr mehr als ein Drittel Brasiliens von der extremen Trockenheit betroffen, wie das „Nationale Zentrum für die Überwachung von Naturkatastrophen“ (Cemaden) mitteilte.
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Amazonas: Forscher warnt – Gefährlicher Kipppunkt fast erreicht
Dabei steht besonders der Rio Negro als Fanal für die Krise eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt. Der Wasserweg versorgt etwa zehn Prozent des Amazonasbeckens und ist gemessen am Wasservolumen eigentlich der sechstgrößte Fluss der Welt. Und seine Dürre und die der anderen Zu- und Nebenflüsse des Amazonas hat noch einen erheblichen Kollateralschaden: Sie befeuert im wahrsten Sinne des Wortes die ohnehin verheerenden Waldbrände in Amazonien. Und beides zusammen bedroht die globale Klimastabilität.
Bis Mitte September waren nach Angaben des „World Wide Fund For Nature“ (WWF) bereits mehr als 83.000 Feuer verzeichnet worden. In den ersten neun Monaten des Jahres seien insgesamt 220.380 Quadratkilometer durch Waldbrände vernichtet worden, was einer Zunahme von 150 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2023 entspricht, heißt es in einem Bericht der Initiative „MapBiomas“ des brasilianischen „Observatório do Clima“. Die Fläche entspricht etwa 2,6 Prozent der Fläche des größten Landes Lateinamerikas, und sie ist fast so groß wie ganz Rumänien (230.000 Quadratkilometer).
„Der Amazonas nähert sich dem gefährlichen Kipppunkt“, warnt daher Roberto Maldonado, Lateinamerika-Experte beim WWF Deutschland. Dann würde aus dem feuchten Regenwald unwiderruflich eine trockene Steppe werden. Das brasilianische Weltrauminstitut INPE schätzt, dass dieser kritische Punkt bei einer Vernichtung von 25 Prozent der Gesamtfläche des Amazonas-Regenwaldes eintritt. Mindestens 20 Prozent sind schon abgeholzt.
Regenwald trocknet aus – dramatische Folgen für den ganzen Planeten drohen
Die aktuelle Dürre – auch getriggert durch Klimaphänomene wie El Niño – setzen der wichtigsten globalen Lebensader zu und bedrohen das Leben nicht nur der Menschen in der unmittelbaren Umgebung, sondern des gesamten Planeten. Denn der Amazonas ist die grüne Lunge der Welt und ein wichtiger Faktor beim Regulieren der globalen Temperatur. Der vielfältige Urwald ist entscheidend dafür, dass Kohlendioxid in Sauerstoff umgewandelt und so der Klimawandel verlangsamt wird.
Insgesamt umfasst der Amazonas mit seinen 7,8 Millionen Quadratkilometern mehr als anderthalbmal das Gebiet der Europäischen Union und ist somit das größte tropische Regenwaldgebiet der Erde. Der Urwald erstreckt sich über Brasilien, das knapp 60 Prozent des Waldes beheimatet, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Surinam und Venezuela.
In dem Regenwald finden 25 Prozent des Kohlenstoff-Austauschs zwischen Atmosphäre und Biosphäre statt. Ein gesunder Regenwald bindet Kohlenstoffdioxid (CO₂) in der Luft. Abgeholzte Wälder sind hingegen große Quelle für Treibhausemissionen, die für die Erderwärmung verantwortlich sind. Zudem beherbergt der Dschungel etwa zehn Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt, um deren Erhalt gerade im kolumbianischen Cali auf der UN-Artenschutzkonferenz (COP 16) knapp 200 Länder ringen. Und zuletzt: Ein Drittel der Süßwasserreserven fließt durch den Amazonas und seine zahlreichen Nebenströme.
Klimakrise: Ohne den Fluss steht das Leben im Amazonas-Gebiet mancherorts still
Insofern ist eine Dürre wie die am Rio Negro und andernorts nicht nur ein lokales oder nationales Problem, sondern Anlass für ernste Sorge um die globale Klimastabilität. Aber auch die Menschen vor Ort leiden und müssen neue Formen der Existenzsicherung finden. Denn im Amazonasgebiet sind traditionell die Flüsse das, was in anderen Gegenden die Straßen sind: Verkehrs- und Versorgungsader für die Menschen, die hier leben. Aber wenn kein Wasser mehr da ist, liegen die Schiffe auf dem Trockenen und wirken zum Teil wie gigantische Spielzeuge in den ausgetrockneten Flussbetten. In der Folge müssen die Anwohner manchmal kilometerweit durch die Flussgründe laufen, um ihre Ernte einzufahren, Handel zu treiben oder auch nur Wasserkanister zu transportieren. Ohne den Fluss steht das Leben im Amazonas mancherorts weitgehend still.
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Zudem fördert die Trockenheit die gigantischen Müllberge zutage, die in die Flüsse geworfen wurden und die die Amazonas-Wasserwege zu den am meisten verschmutzten der Welt machen. Ökologen schätzen, dass jedes Jahr zwölf Millionen Tonnen Plastik in die Gewässer entsorgt werden. Aber etwas Positives bringt die schlimmste Dürre seit mehr als 120 Jahren immerhin für Archäologen. Sie hat mehrere bisher unbekannte archäologische Stätten ans Licht gebracht, darunter Graburnen und Höhlengravuren vorkolonialer indigener Völker, wie das brasilianische Institut für das nationale historische und künstlerische Erbe (Iphan) erklärte.