Comrat. Heute finden in Moldau Präsidentschaftswahlen statt. Dabei versuchen auch prorussische Kräfte mitzuspielen. Ein Journalist berichtet.

In der Ex-Sowjetrepublik Moldau geht es bei der heutigen Präsidentschaftswahl um nicht weniger als die europäische Zukunft des Landes. Unter dem Eindruck des russischen Krieges gegen die Ukraine beantragte das kleine Land, das zwischen Rumänien und der Ukraine liegt, im Frühjahr 2022 die Mitgliedschaft in der EU. Die seit 2020 amtierende pro-europäische Präsidentin Maia Sandu legt ihrem Land einen strammen Reformkurs auf. Das Ziel: bis 2030 fit für die EU sein. Heute stellt sie sich nicht nur zur Wiederwahl, sondern lässt in einem Referendum auch über einen möglichen EU-Beitritt abstimmen.

Eine mögliche EU-Mitgliedschaft Moldaus ist allerdings nicht im Interesse Russlands, das das kleine Land wie die Ukraine als Teil seines Einflussbereichs sieht. Putin stützt mit russischen „Friedenstruppen“ das Separatistenregime in Transnistrien, das zwar völkerrechtlich zu Moldau gehört, aber seit 30 Jahren de-facto unabhängig ist – auch wenn dies von keinem Land der Welt anerkannt wird. Und der Kreml unterstützt in Moldau prorussische Parteien und Politiker wie den Oligarchen Ilan Schor. Besonders groß ist ihr Einfluss in der autonomen Region Gagausien, die zwar anders als Transnistrien formell zu Moldau gehört, aber komplett von prorussischen Kräften kontrolliert wird. In Comrat, der Hauptstadt Gagausiens, lebt der freie Journalist Piotr Garciu. Er berichtet im Interview über den Einfluss prorussischer Kräfte in Moldau und Gagausien und wie die Menschen auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft blicken.

Wie groß ist der russische Einfluss in Gagausien?

Piotr Garciu: Der Einfluss ist sehr groß. Die Menschen sprechen hier meistens Russisch. Es ist so etwas wie eine Muttersprache und fast alle Schulen sind auf Russisch. Dementsprechend beeinflusst es auch, was wir sehen, was wir lesen und unsere Ansichten hier sind ziemlich religiös durch die orthodoxe Kirche beeinflusst. Auch historisch gesehen ist Gagausien sehr nah an Russland und für die einfachen Leute ist das Land wie ein großer Bruder. Viele ältere Menschen blicken auch sehr nostalgisch auf die Sowjetzeit zurück. Für sie ist Russland eine Fortsetzung der Sowjetunion. Der Einfluss Russlands besteht auch darin, dass viele Gagausen nach Russland gezogen sind zum Arbeiten. Heute lebt vor allem die junge Generation dort, während die alten Leute geblieben sind.

Wie nutzen prorussische Politiker wie der Oligarch Ilan Schor diese Nähe Gagausiens zu Russland aus?

Garciu: Ilan Schor betrachtet Gagausien als seine Region und er glaubt, hier tun und lassen zu können, was er will. Das sind ziemlich dreiste Typen, die die Region aus irgendeinem Grund als ihr Eigentum betrachten. Es ist klar, dass sein Einfluss in Gagausien groß ist. Er hat die politische Elite aufgekauft. Die aktuelle Präsidentin Gagausiens, Evghenia Guțul, ist eigentlich nur seine Marionette.

Piotr Garciu arbeitet als freier Journalist in Moldaus autonomer Region Gagausien und beschäftigt sich mit Korruption und Desinfomation.
Piotr Garciu arbeitet als freier Journalist in Moldaus autonomer Region Gagausien und beschäftigt sich mit Korruption und Desinfomation. © Johann Stephanowitz

Kann die prorussische Führung in Gagausien auch den EU-Beitritt Moldaus gefährden?

Garciu: Russland will die Republik Moldau nicht aus seinem Einflussbereich gehen lassen. Deshalb wird der Weg Moldaus in die Europäische Union sehr schwierig sein. Es ist deutlich sichtbar, dass Russland auf Destabilisierung setzt, auch durch Regionen wie Transnistrien und Gagausien. Und ja, es ist schon auffällig, dass Putin ein Foto mit Evghenia Guțul, der Präsidentin einer kleinen autonomen Region macht. Das bedeutet, dass Russland Gagausien sehr braucht, um Einfluss auf Moldau auszuüben. Aber auch ohne russische Destabilisierung sind die Menschen hier sehr gegen die moldauischen Behörden. Es gibt hier interne Probleme, soziale Probleme, wirtschaftliche Probleme und die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine. Deshalb wollen viele hier eine zweite Amtszeit von Sandu verhindern.

Könnte es denn auch hier zu einem militärischen Konflikt wie in Transnistrien kommen?

Garciu: Russland und seine Führung haben gezeigt, dass sie ziemlich unberechenbar sind. Sicherlich denken sie auch hier über militärische Möglichkeiten nach, aber das ist schwierig, solange die russischen Truppen weit weg sind und in der Ukraine kämpfen. Ich denke, es wird hier eher auf einen politischen Konflikt hinauslaufen. Das heißt, die Leute in Russland sind dafür, dass es Gagausien so schlecht wie möglich geht, damit die Leute so arm wie möglich sind. Denn wer keine leeren Taschen hat und satt ist, der geht nicht gegen die Regierung demonstrieren.

Also die Leute hier sehen vor allem das Geld, aber glauben aber nicht an die Ideologie der prorussischen Parteien.

Garciu: Sicherlich gibt es auch ein bisschen Ideologie, aber das ganze System von prorussischen Oligarchen wie Ilan Schor basiert vor allem auf Geld. Ohne Geld gehen die Leute nicht zu prorussischen Kundgebungen. In Moldau leben etwa 30 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Das ist seine Wählerschaft – Leute, die für 25 Euro bar auf die Hand bereit sind, an seinen Demos teilzunehmen. Ilan Schor erkauft sich seinen Einfluss hier einfach.

Die Gagausen sind ein Turkvolk mit einer eigenen Sprache. Wird diese hier vom Staat gefördert?

Garciu: In der Sowjetzeit haben die Menschen nur zu Hause Gagausisch gesprochen. In der Schule oder bei der Arbeit haben sie versucht, Russisch zu sprechen. Als wir die Autonomie erhielten, schien es zunächst, als könnten wir unsere Sprache und unsere Kultur entwickeln. Aber dann haben wir einen Schritt zurück gemacht. Dafür gibt es mehrere Gründe: Der erste Grund ist die Unpopularität der gagausischen Sprache. Viele Leute fanden es cool, Russisch zu sprechen. Und viele sind dann nach Russland gegangen, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Und ja, es gibt immer wieder Initiativen zur Förderung des Gagausischen, aber die Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder Gagausisch lernen. Selbst Rumänisch, die Amtssprache der Republik Moldau, ist hier beliebter als unsere eigene Sprache.

Wie ist die Situation für Journalisten in Gagausien?

Garciu: Die Situation für kritische Journalisten in Gagausien wird immer schwieriger. Die Autonomiebehörde mag es nicht, wenn sie kritisiert wird. Sie will, dass nur Gutes über sie gesagt wird und hetzt gegen bestimmte Medien, indem sie behauptet, sie würden mit westlichem Geld finanziert und für Washington oder Brüssel arbeiten. Und ja, es gab auch einige körperliche Angriffe auf Journalisten.

Glauben Sie, dass Maia Sandu bei den Präsidentschaftswahlen am 20. Oktober wiedergewählt werden wird?

Garciu: Theoretisch sollte Sandu die Wahlen locker gewinnen – aber vieles ist leider auch unsicher. Sie selbst versucht sich vor allem mit der europäischen Integration Moldaus in Verbindung zu bringen. Deswegen gibt es ja auch parallel zur Wahl ein Referendum zum möglichen EU-Beitritt. Leider befasst sie sich zu wenig mit den Problemen innerhalb Moldaus. Und ja, ein Teil der Menschen, der 2020 für sie gestimmt hat, ist nun enttäuscht. Dennoch denke ich, dass sie die Chance hat, die Wahlen im ersten oder zweiten Wahlgang zu gewinnen.

Wie stehen die Menschen hier in Gagausien zu einer möglichen EU-Mitgliedschaft Moldaus?

Garciu: Für mich als Journalisten, der viel reist, ist die Freiheit am wichtigsten. Aber für meinen Vater, der in der Sowjetunion geboren wurde, vor allem billiges Benzin. Ich sage Papa, wie hilft dir billiges Benzin? Also ja, in Gagausien werden die Werte der EU von vielen Menschen nicht verstanden, obwohl sie selbst von einem EU-Beitritt profitieren würden, wenn sie ihre Produkte ohne große Probleme nach Rumänien verkaufen können.

Also für viele Menschen hier ist die EU-Perspektive im Alltag nicht relevant.

Garciu: Nein, viele sehen sich eher nach der Sowjetunion zurück und wollen eine starke Hand. Ich verstehe, dass sie in einer anderen Zeit aufgewachsen sind und sich wohler fühlen, wenn Entscheidungen für sie getroffen werden. Aber ich fühle mich wohler, selbst zu entscheiden, wie ich mein Geld verdienen will.