Berlin. Julius van de Laar über die Bedeutung des TV-Duells am 10. September und welche Fehler die Demokratin unbedingt vermeiden sollte.
Die Umfragen sehen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris hauchdünn in Führung. Doch das heißt nichts, sagt der US-Wahlkampfexperte Julius van de Laar. Warum ein unbedachter Moment die Wahl entscheiden kann und was geschieht, wenn sie unentschieden ausgeht.
Hierzulande gewinnt man den Eindruck, Kamala Harris hat die Wahl in den USA schon gewonnen. Was sagen die Umfragen?
Julius van de Laar: Sieht man sich die vielen Umfragen an, dann ist sie in der Tat knapp in Führung. Aber es ist hilfreich, wenn man diese Zahlen in einen Kontext setzt und schaut, wo andere Kandidaten bei früheren Wahlen zum selben Zeitpunkt standen. In nationalen Umfragen liegt Kamala Harris drei bis vier Punkte vorn. Schaut man auf die Swing States, sind die Kandidaten weitestgehend gleichauf.
Ein Blick nach Pennsylvania ist besonders spannend, weil es vermutlich der Staat ist, der die Wahl entscheidet. Harris‘ Vorsprung dort liegt denkbar knapp bei 0,1 bis 0,8 Prozentpunkten. Hillary Clinton hatte 2016 zu diesem Zeitpunkt in Pennsylvania einen Umfragevorsprung von 6,5 Punkten. Und Clinton hat die Wahl verloren. Ich möchte keine nasse Decke auf die Harris-Euphorie werfen, aber die extrem hohen Erwartungen etwas dämpfen.
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Ist der Harris-Hype nicht real?
Van de Laar: Die Energie ist da, die Spendengelder brechen Rekorde – sie hat in den ersten 70 Tagen 570 Millionen Dollar eingenommen. Doch die Demokraten haben noch viel Arbeit. Nichts ist entschieden. Viele Amerikaner beginnen erst jetzt, sich mit der Wahl im November auseinanderzusetzen. Und Trump kennt jeder, bei Harris formt sich die Meinung bei vielen erst noch.
Welche Bedeutung hat das TV-Duell am 10. September dabei?
Van de Laar: Die TV-Debatte ist enorm wichtig. Es werden womöglich 40 bis 50 Millionen Menschen zusehen. Von Bedeutung sind aber vor allem die fünf Ausschnitte aus der Debatte, die dann im Internet auf Tiktok oder Instagram viral gehen und die öffentliche Meinung beeinflussen. Dort wird das Bild geprägt oder unter Umständen auch verändert, je nachdem, wie es läuft.
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Welche Fehler kann Harris beim TV-Duell machen?
Van de Laar: Der größte Fehler, den sie machen könnte, wäre eine Verteidigung der letzten drei Regierungsjahre. Donald Trump wird versuchen, die Wirtschaftslage schlechtzureden, die Inflation anzusprechen, die Steigerung der Lebenshaltungskosten zu thematisieren — „Kamala Crash vs. Trump Cash“! Und er wird versuchen, sie dafür verantwortlich zu machen, weil Joe Biden angeblich ja gar nicht in der Lage gewesen sei, die Regierungsgeschäfte zu führen. Sie habe regiert, während Biden Mittagsschlaf gemacht hat. Damit muss man rechnen. Sie darf nicht in den Verteidigungsmodus kommen.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Was wäre eine kluge Strategie?
Van de Laar: Es gibt einen Grundsatz in der politischen Kommunikation: Wer erklärt, verliert! Harris muss attackieren, Trump vorhalten: „Für wen willst du denn die Steuern senken – für Millionäre und Multimilliardäre. Ich kämpfe für die Menschen, die in die Mittelschicht aufsteigen wollen.“ Auch beim Thema Einwanderung sollte sie im Angriffsmodus bleiben. Trump hat das große Maßnahmenpaket, das gemeinsam mit den Republikanern geschnürt wurde, aus reinem politischen Kalkül gekillt. Ähnlich auch bei Abtreibung: Amerika ist das Land der Freiheit. Trump will Frauen vorschreiben, wie sie zu leben haben — wie in den 1950er-Jahren! Gelingt ihr das, hat sie gute Chancen, die Debatte zu gewinnen, und kann damit das Momentum aufrechterhalten.
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Könnte ihr im TV-Duell helfen, dass sie mal Staatsanwältin war?
Van de Laar: Mit Sicherheit. Sie weiß, wie man sich jemanden auf der Anklagebank vor Gericht vorknöpft und die Jury für sich gewinnt. Doch auch Trump ist ein erfahrener Debattierer. Kein Präsidentschaftskandidat hat so viele Debatten absolviert wie Donald Trump.
Womit könnte Trump punkten?
Van de Laar: Wirtschaft. Das ist die offene Flanke von Harris. In den Umfragen sind Trumps Wirtschaftskompetenzwerte deutlich höher. Wenn Trump es schafft, die ganzen persönlichen Attacken beiseitezulassen, dann hat er eine gute Chance, diese Debatte zu gewinnen.
Wer trägt das größere Risiko bei diesem Duell?
Van de Laar: Ich glaube, dass der Druck auf Trump größer ist, weil er in der öffentlichen Wahrnehmung hinten liegt. Harris hat das Momentum, die Energie und Aufmerksamkeit – das ist er nicht gewohnt. Vielleicht steigt er deshalb auch mit einem höheren Risiko auf die Bühne.
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Selten war eine Wahl so spannend, weil das Rennen so knapp ist. Es gibt theoretisch 538 Wahlmännerstimmen. Kann die Wahl auch unentschieden ausgehen?
Van de Laar: Das ist theoretisch möglich, es ist aber noch nie passiert. Geht man davon aus, dass Trump im Süden besser abschneiden wird als im Norden und im Sun-Belt plus North Carolina gewinnt, Harris aber im Rust-Belt (Wisconsin, Michigan, Pennsylvania) die Wahlmännerstimmen holt, dann hätte man quasi einen Gleichstand.
Dann könnte es auf Nebraska ankommen. Dort gibt es vier Wahlmännerstimmen – aber mit einer Besonderheit: Sie werden nach Distrikten vergeben. Obwohl der Bundesstaat erzkonservativ ist, liegt einer der Wahlkreise in der liberalen Hochburg Omaha. Diese eine Wahlmännerstimme könnte an die Demokraten gehen. Holt Harris sie zu den Stimmen im Rust-Belt, hat sie die Wahl gewonnen. Geht sie an Trump, hätte man in diesem Szenario ein 269 zu 269 – also ein Unentschieden. Diese Rechnung wird bei jeder Wahl einmal aufgemacht.
Was würde dann passieren?
Van de Laar: Dann entscheidet der Kongress, wo die Republikaner derzeit eine Mehrheit haben. Dazu ist es aber nach meiner Kenntnis noch nie gekommen.
Name | Kamala Harris |
Geburtsdatum | 20. Oktober 1964 |
Amt | Vize-Präsidentin der USA |
Partei | Demokraten |
Familienstand | verheiratet, zwei Stiefkinder |