Washington/Berlin. Gewinnt Kamala Harris gegen Donald Trump, könnte sie einen ganz besonderen Mann befördern. Es wäre ein Glücksgriff für Europa
Er spricht Deutsch. Und er liebt Fußball. Nicht American Football, sondern „Soccer“, wie der Kicksport von Messi, Ronaldo und Co. in den Vereinigten Staaten heißt. Philip Gordon, Nationaler Sicherheitsberater von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, ist ein Diplomat der besonderen Sorte.
Es kursiert die Geschichte, dass Gordon im Juni 2012 Außenministerin Hillary Clinton und andere Mitglieder der amerikanischen Delegation nach einem Abendessen in St. Petersburg in eine Bar schleppte, in der ein Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft übertragen wurde. „Wir liefen zum Hotel zurück, und er sagte, da gebe es irgendein europäisches Fußball-Match, das wir uns anschauen müssten“, erinnert sich Michael McFaul, der damalige US-Botschafter in Moskau.
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Nicht nur wegen seiner Fußball-Leidenschaft ist Gordon ein Unikum in der US-Politik. Er hat Französisch, Deutsch und Italienisch gelernt und kann Spanisch zumindest lesen. Nur wenige Amerikaner sind derart polyglott.
USA: Harris schätzt Gordon und seine außenpolitische Expertise
Philip Gordon ist der wichtigste Außenpolitik-Berater von US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Ein Mann, der nicht das Rampenlicht sucht, sondern eher als stille Kraft im Hintergrund agiert. Seit 2020 steht er in ihren Diensten, seit 2022 als Nationaler Sicherheitsberater. Sollte die Kandidatin der Demokraten am 5. November ins Weiße Haus gewählt werden, wäre der 62-Jährige ein heißer Kandidat für den Job des Nationalen Sicherheitsberaters der neuen Präsidentin. Eine bedeutende Schaltstelle.
In Washington, wo sich viele Blicke nach China richten, gilt Gordon als Rarität. Kaum ein Diplomat kennt die EU besser als er. 1998 und 1999 arbeitete er unter Präsident Bill Clinton als Direktor für europäische Angelegenheiten im Weißen Haus. In der Obama-Ära war er von 2009 bis 2013 Vize-Außenminister, zuständig für Europa und Eurasien. Besonders am Herzen lagen ihm bereits damals globale strategische Partnerschaften und Bündnisse – vor allem die Nato.
Von 2013 bis 2015 diente Gordon unter Präsident Barack Obama als Koordinator im Weißen Haus für den Nahen Osten, Nordafrika und die Golfregion. Damals warb er für den Abschluss des internationalen Atomabkommens mit dem Iran. Aus der Zeit kennt ihn auch der außenpolitische Kanzlerberater Jens Plötner, in jenen Jahren Büroleiter von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Philip Gordon kennt Europa – und war oft dort unterwegs
Gordon promovierte 1991 mit einer Arbeit über den französischen Präsidenten Charles de Gaulle. Forschungsaufenthalte führten ihn quer durch Europa. Die Pariser Elite-Uni Sciences Po war ebenso darunter wie die Wirtschaftshochschule INSEAD in Fontainebleau oder das International Institute for Strategic Studies in London.
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Auch in Deutschland machte Gordon Zwischenstation. Von 1992 bis 1994 forschte und publizierte er bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Bonn. In Europa und auch in den USA war damals die Sorge groß, dass die deutsch-französische Annäherung nach dem Ende des Kalten Krieges die Nato unterminieren könnte.
Gordon wischte die Bedenken beiseite. Seine Devise: Je stärker Europa, desto besser für die USA und die Nato. In einem Arbeitspapier der DGAP schrieb er: „Das Problem des Westens liegt weniger darin, dass Frankreich und Deutschland eine gemeinsame politisch-militärische Kraft innerhalb Europas darstellen als vielmehr darin, dass viele der hochgesteckten Ziele dieser Kooperation nicht verwirklicht werden konnten.“ Angesichts des Hickhacks um die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfflugzeugsystems und Panzers eine hellsichtige Einschätzung. „Mir fielen schon damals seine analytische Fähigkeit und sein scharfer Verstand auf“, sagte Karl Kaiser, langjähriger Direktor des Forschungsinstituts der DGAP und heute Senior Fellow an der Harvard Kennedy School, unserer Redaktion.
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Gegen den Irak-Krieg: Gordon scheut die Konfrontation nicht
Differenziertes Urteil sowie Maß und Mitte kennzeichnen Gordons Politik-Stil. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 herrschte in der US-Hauptstadt eine fiebrige Stimmung. Viele Neo-Konservative trommelten für den Irak-Krieg. Nicht so Gordon, der damals in der Denkfabrik Brookings Institution in Washington tätig war. Kühl im Ton und klar in der Analyse stellte er sich öffentlich gegen den Einmarsch.
In seinem 2020 erschienenen Buch „Losing the Long Game“ rechnete Gordon gnadenlos mit den US-Militärinterventionen im Iran, Irak, Afghanistan, Ägypten, Libyen und Syrien ab. Seine Instrumente sind Abschreckung, gezielte Sanktionen und diplomatischer Druck. Ein Pragmatiker durch und durch.
Im Ukraine-Krieg steht Gordon an der Seite der Europäer. „Wie die Vizepräsidentin betont hat: Die Unterstützung der USA für das ukrainische Volk ist dauerhaft“, schrieb er am 29. Juli auf X. „Das jüngste Paket der Militärhilfe wird die dringend benötigte Unterstützung in einer Zeit liefern, in der sich die Ukraine tapfer gegen Russlands sinnlose Aggression verteidigt und auf einen gerechten und dauerhaften Frieden hinarbeitet.“
Sollte Harris ins Weiße Haus gewählt werden und Gordon den Job des Nationalen Sicherheitsberaters bekommen, würden zwischen Paris und Berlin vermutlich die Champagnerkorken knallen. „Dann wird Europa einen Verbündeten haben“, unterstreicht der frühere US-Diplomat Michael McFaul. Allerdings gibt es auch skeptischen Stimmen, die vor zu viel Optimismus warnen. „Man darf sich keine Illusionen machen: Die Administration von Kamala Harris wäre insgesamt sehr kalifornisch geprägt mit dem Fokus auf den Indopazifik“, sagte Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies (HCA), unserer Redaktion. Gordon wäre dann aber zumindest eine Art Gegengewicht.
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