Berlin. Vizepräsidenten hatten es oft schwer. Nun hat Biden seine Stellvertreterin als Ersatzkandidatin vorgeschlagen. Selbstverständlich ist das nicht.

Es ist nicht der Regelfall, dass ein US-Präsident seinem „Vize“ den Weg zur Macht ebnet. Keiner weiß es besser als Joe Biden. Acht Jahre lang sekundierte er Barack Obama. Am Ende seiner Amtszeit unterstützte der Präsident die Kandidatur von – Hillary Clinton. Biden ging leer aus. Was hat diese Erfahrung mit ihm gemacht?

Nach der Verfassung der USA ist die oder der Vize potenziell die Nummer eins. Indes standen sich Amtsinhaber und Stellvertreter oft nicht sonderlich nahe. Sie sind im Wahlkampf ein Team, danach eine Zweckgemeinschaft. Viele Nominierungen hatten – politisch – Züge einer arrangierten Ehe.

Die Vizes sind buchstäblich zweite Wahl. So fühlten sie sich auch oder wurden so behandelt, als Zweitbesetzung. „Eines der besten Dinge am Amt des Vizepräsidenten ist, dass man nicht viel zu tun hat“, bemerkte einer von ihnen sarkastisch, nämlich Joe Biden.

Lesen Sie auch: Trump dominiert wehrlosen Biden – niemand fängt seine Lügen ein

Selbstverständlich war es nicht, dass Biden Partei für Kamala Harris ergriff. Wenn sie gewinnt, wäre sie nicht mehr die erste Schwarze, aber die erste Frau im Amt. Für eine Dokumentation über die Demokratin aus San Francisco hat der Sender Arte einen dazu aufschlussreichen TV-Ausschnitt aus dem Jahr 1989 ausgegraben: von einem Besuch des früheren Präsidenten Gerald Ford in einer Schule in Ohio.

Ford sah den Vorteil einer Vizepräsidentin voraus

Eine Schülerin wollte damals von ihm wissen, welchen Rat er einer jungen Frau gebe, die Präsidentin werden wolle. „Ich denke, dass Folgendes passieren wird“, setzte Ford an, „es wird einen Präsidenten und eine Vizepräsidentin geben. Und während dieser Amtszeit stirbt der Präsident. Und die Frau tritt laut Gesetz seine Nachfolge an.“ Mehr im Scherz führte Ford fort, „sobald diese Grenze durchbrochen ist, sollten die Männer lieber aufpassen.“

An dieser Antwort sind drei Punkte bemerkenswert. Erstens, sie ist über 30 Jahre alt – deprimierend für Frauen. Zweitens, er konnte sich eine Frau als Präsidentin nur in einer extremen Ausnahmesituation vorstellen. Drittens, Biden ist nicht verstorben, aber seine Kandidatur galt schon vor seinem Rückzug als politisch erledigt.

In gewisser Weise ist die Ausnahmesituation da. Harris ist nach Bidens Verzicht die naheliegende Wahl, weil den Demokraten die Zeit davon läuft und weil längst eine Kampagne zugunsten von Biden/Harris läuft. Jede andere Konstellation hätte einen hohen Chaosfaktor.

Makel: Vizepräsident

Amerikanischen Journalisten fiel auf, dass Biden sich zuletzt betont positiv über Harris geäußert hatte. „Sie könnte Präsidentin der Vereinigten Staaten sein.“ Echtes Zutrauen ist historisch fast die Ausnahme, wie die jüngere Vergangenheit zeigt:

  • Harry S. Truman rekrutierte einen anderen Kandidaten, um seinen eigenen Vizepräsidenten zu ersetzen.
  • Ähnlich verfuhr Obama bei seiner Nachfolge mit Biden.
  • Von Dwight D. Eisenhower ist der Spruch bekannt, er habe eine Woche gebraucht, um überhaupt über den wichtigen Beitrag nachzudenken, den Richard M. Nixon als seine Nummer zwei geleistet hatte.
  • Ronald Reagan blieb während der Vorwahlen neutral. Er unterstützte George H. W. Bush erst, als die Würfel gefallen waren. So hielt es auch Lyndon B. Johnson mit Hubert Humphrey.

Manchen gelingt es trotzdem, so schaffte es Nixon selber zur Präsidentschaft, allerdings nicht als Nachfolger Eisenhowers. Insgesamt sind acht US-Präsidenten während ihrer Amtszeit gestorben, woraufhin der Vizepräsident den Platz einnahm, zum Beispiel kam Lyndon B. Johnson nach dem Mord an John F. Kennedy zum Zuge.

Entscheidend wäre auch, „wie“ Harris nominiert wird

Die Frage einer Nominierung von Harris könnte die Partei durchaus spalten. So haben sich Vertreter des Congressional Black Caucus zwar für Biden ausgesprochen, aber zugleich gewarnt, Harris zu verdrängen, sollte der Präsident aussteigen. Einerseits.

Andererseits würde es auch für Diskussion sorgen, wenn sie als Ergebnis eines Hinterzimmerdeals auf den Schild gehoben würde. Die einflussreiche Demokratin Nancy Pelosi soll sich im kleinen Kreis dafür ausgesprochen haben, dass Harris sich in einem offenen Prozess durchsetzt, auf einem umkämpften Parteitag im August in Chicago.

Lesen Sie auch: US-Präsident: Das Endspiel für Joe Biden hat begonnen

Pelosi traut ihr die Durchsetzungskraft zu und verspricht sich vom Verfahren eine höhere Legitimation. Harris soll durch das Stahlbad gehen. Harris hätte per se schon den Vorteil, dass die Zeit gegen mögliche Mitbewerber liefe und dass nur sie natürliche Ansprüche auf Apparat und Kriegskasse hätte. Beides kam für die Kampagne Biden/Harris zustande.

Es gab Vizepräsidenten, die stark (Dick Cheney) waren, die mit der Herausforderung gewachsen sind (Mike Pence) und Lachfiguren wie Dan Quayle. Vizepräsidenten wirkten oft hilflos, wurden verspottet und verachtet. Gerald Ford, der sich 1989 über die erste mögliche Präsidentin äußerte, folgte Nixon zwar verfassungskonform nach der Watergate-Affäre, verlor aber glücklos seine Wahl. Vizepräsidenten sind Präsidenten im Konjunktiv.

Auch interessant: Bei Biden-Rücktritt hätte Kamala Harris die „Pole Position“