Paris. In Frankreich dauert die Regierungsbildung an, die Spannungen steigen. Der Präsident bremst die Erwartungen – und weckt neuen Unmut.

Auch im fernen Washington denkt Emmanuel Macron an seine Mitbürger: Vom Nato-Gipfel aus schickt er ihnen einen längeren Brief. „Chères Françaises, chers Français“ beginnt er – und führt dann aus, dass die Stimmberechtigten bei den Parlamentswahlen der extremen Rechten „klar die Regierungsmehrheit verweigert“ hätten. Allerdings verfüge kein politisches Lager über die Mehrheit in der Nationalversammlung.

Und da nun mal „niemand gewonnen“ habe, müssten die Parteien versuchen, eine „solide, notgedrungen zusammengesetzte Regierung“ zu bilden, die ein „pragmatisches“ Programm erarbeiten soll. Auf dieser Basis werde er sodann einen Premierminister ernennen, wie es die Verfassung vorsehe. Das erfordere allerdings „ein wenig Zeit“, so der Präsident weiter. ‌Was auf den ersten Blick eher banal klingt, ist in Wahrheit hochpolitisch.

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Das zeigten auch die Reaktionen: Die Linke fürchtet gar, sie werde um ihren Wahlsieg und den Regierungsanspruch gebracht. Ihre „Volksfront“ hatte am vergangenen Sonntag 182 Sitze erobert, das Macron-Lager 168 und das „Rassemblement National“ von Marine Le Pen 143 Sitze. Nach französischer Tradition ernennt der Staatschef den Vertreter des Lagers mit den meisten Stimmen zum Premierminister. Jean-Luc Mélenchon hat bereits Ansprüche auf das Amt angemeldet.

Trotz Wahlsieg der Linken: „Frankreich stand noch nie so weit rechts“

‌Andere Stimmen relativieren den Wahlsieg der Linken allerdings. Der Politologe Dominique Reynié erklärte, es sei anmaßend, wenn die Linke den Wahlsieg beanspruche: Sie habe nur 27 Prozent der Stimmen erzielt – die Rechte insgesamt 47 Prozent. „Frankreich stand noch nie so weit rechts wie heute“, meint die konservative Ex-Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse.

Jean-Luc Mélenchon ist der große Sieger der Parlamentswahl. Der linksradikale Politiker ist aber auch bei Linken und Grünen umstritten.
Jean-Luc Mélenchon ist der große Sieger der Parlamentswahl. Der linksradikale Politiker ist aber auch bei Linken und Grünen umstritten. © AFP | Sylvain Thomas

Manon Aubry von den „Unbeugsamen“, der linksradikalen Komponente der Volksfront, stellte am Donnerstag in Aussicht, ihre Union werde sehr rasch einen Premier-Kandidaten bekanntgeben – und nicht etwa Mélenchon, der selbst bei Linken und Grünen auf Ablehnung stößt. Macrons Hinweis auf „pragmatische“ Lösungen lässt darauf schließen, dass er keinen Extremisten nominieren würde. Auch dies stößt bei den Betroffenen auf erboste Reaktionen.

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Die „Unbeugsamen“ bezeichnen den Brief als „undemokratisch“, Marine Le Pen nennt ihn einen „unwürdigen Zirkus“. Der Präsident verhalte sich parteiisch und versuche, sein eigenes Lager an der Macht zu halten. Macron-Vertraute versuchen in der Tat fieberhaft, der Linken zuvorzukommen und ein mehrheitsfähiges Bündnis mit gemäßigten Konservativen und Sozialdemoraten zu zimmern. Zusammen kämen die drei Parteien auf 293 Sitze, knapp mehr als die absolute Mehrheit von 289 Sitzen.

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Aber auch das ist pure Arithmetik. Konservative Wortführer wie Laurent Wauquiez verweigern jede Kooperation mit Macron. Und der Sozialistenchef Olivier Faure, der Mélenchon nähersteht als Macron, aspiriert selber auf den Posten des Premiers. Sogar gemäßigte Sozialdemokraten wie Ex-Präsident François Hollande haben mit Macron seit den ersten Präsidentschaftswahlen eine Rechnung offen.‌ Die politische Blockade dauert in Paris deshalb an.

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    Und die Spannung steigt: Die radikale Gewerkschaft CGT ruft für nächste Woche zu Kundgebungen vor den Präfekturen im Land sowie „in der Nähe der Nationalversammlung“ in Paris auf. Das klingt schon fast aufrührerisch. Dagegen erlassen Ratingagenturen klare Warnungen, dass Frankreichs Wirtschaft Schaden nehme. Macron selbst gab am Nato-Gipfel nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz bekannt, man habe über Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa gesprochen. Die Instabilität Frankreichs war offenbar kein Thema.