London. Die Briten haben die Konservativen abgestraft. Doch sollte sich ihr Leben nicht bald bessern, werden auch sie nach rechts schauen.
„Historisch“, „seismisch“, „monumental“ – die britische Presse überschlägt sich in Superlativen, um den Triumph der Labour-Partei zu beschreiben. Am Freitag folgte dann der nächste, logische Schritt: König Charles beauftragte Keir Starmer mit der Regierungsbildung – und machte ihn damit zum neuen Premierminister des Vereinigten Königreichs.
Keine Frage: Die britischen Wähler haben der Opposition einen einzigartigen Sieg beschert – oder vielmehr: Sie haben der Tory-Partei eine beispiellose Niederlage zugefügt. Denn ein genauer Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass die Briten nicht besonders begeistert sind von Labour, sondern vielmehr von den Tories die Nase voll haben.
Die Partei, die vierzehn Jahre lang die Geschicke des Landes gelenkt hat, hat ihre tiefste Niederlage in der modernen Geschichte eingesteckt. Und sie hat es verdient. Wenige Briten werden zurückblicken und sich sagen: Es waren gute Jahre.
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Man denkt an die Sparpolitik, die im Land solche Verheerungen angerichtet hat, dass laut Studien die ärmeren Briten heute bei schlechterer Gesundheit sind und eine kürzere Lebenserwartung haben als zuvor. Oder an den Brexit, der das Land international isoliert und das Wirtschaftswachstum gehemmt hat. Oder an die zunehmend rechtspopulistischen Züge der Tory-Partei, an die Korruption und die Vorliebe für Regelbrüche. Man denkt an die Premierminister Boris Johnson (unterhaltsam, aber inkompetent) oder Liz Truss (inkompetent).
Großbritannien: Nigel Farage hat prominente Plattform für seine rassistische Politik
Dass die Briten die Partei in die Wüste geschickt und stattdessen Labour einen Erdrutschsieg beschert haben, stimmt zuversichtlich. Besonders wenn man ganz Europa in den Blick nimmt: Überall sind rechte bis rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch, in Frankreich, Deutschland oder Portugal. Dass Großbritannien in die genau umgekehrte Richtung gegangen ist, von rechts nach links, ist ein wichtiges Signal. Auch ist eine Annäherung an Europa zu erwarten, zumindest was den Tonfall anbelangt.
Aber es könnten Probleme aufwarten. Die neue Regierung hat eine Mammutaufgabe vor sich. Die etlichen Krisen, die sich im Land angestaut haben – darunter Lebenshaltungskosten, Wohnungspreise und kaputte öffentliche Dienste –, müssen schleunigst angegangen werden. Die diesbezüglichen Pläne der Labour-Führung, die sie in den vergangenen Wochen umrissen hat, scheinen den Problemen kaum gewachsen. Zahlreiche Ökonomen haben gewarnt: Es muss eine mutigere – sprich: ausgabenfreudigere – Fiskalpolitik her, sonst wird es bald brenzlig.
Die brutale Abfuhr, die Wähler den Tories erteilt haben, signalisiert einen Wunsch nach Veränderung. Wenn Labour diese Hoffnung enttäuscht, das heißt, wenn sich die Lebensumstände der Briten nicht bald verbessern, dann gibt es Kräfte im Land, die dies auszunutzen wissen. Yes, I’m looking at you, Reform UK.
Die Partei von Nigel Farage hat ein gutes Ergebnis erzielt, 14 Prozent der Wähler haben für sie gestimmt, zum ersten Mal ist die extreme Rechte in bedeutender Zahl im Parlament von Westminster vertreten. Farage selbst ist erstmals in seinem Leben Parlamentsabgeordneter. Als solcher wird er eine prominente Plattform haben, um seine rassistische Politik ins Land zu posaunen. Nach seinem Sieg hat er schon gesagt: „We’re coming for Labour“ – wir haben Labour im Visier. Der neue Premier Keir Starmer sollte die Warnung ernst nehmen.