Brüssel. Wenn Frankreich kippt, steht die Zukunft der EU auf dem Spiel. Um das zu verhindern, muss von der Leyen vor allem eines unterlassen.

Europa rückt nach rechts, aber anders, als viele es vermutet haben: Nicht im neu gewählten EU-Parlament feiern die Rechtspopulisten ihren Triumph – im Herzen der europäischen Demokratie sind ihre Zuwächse an Mandaten insgesamt so überschaubar, dass Nationalisten und Extremisten auch künftig die Gesetzgebung nicht blockieren können.

Zum Erdrutsch aber kommt es in wichtigen Mitgliedstaaten, dort umso heftiger: In Frankreich stimmen 37 Prozent der Wähler für Radikale und Extremisten am rechten Rand, was prompt eine politische Krise mit Neuwahlen auslöste. In Italien fährt die postfaschistische Partei von Giorgia Meloni einen klaren Sieg ein, in Österreich liegt die in Teilen rechtsextreme FPÖ vorn.

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Die Ergebnisse haben unterschiedliche Ursachen, so wie die Wahlen ja vor allem Abstimmungen über die jeweils nationale Politik waren: Aber in der Summe kann dieser Trend dem vereinten Europa schnell viel gefährlicher werden als ein paar Sitze mehr für Rechte im Parlament. Es sind die Mitgliedstaaten, die im Europäischen Rat den Kurs der EU maßgeblich prägen und die entscheidenden Aufträge auch an die Kommission erteilen.

Le Pen, Meloni und Co. wollen Europa von innen aushöhlen

Die Melonis und Le Pens, die zunehmend an Boden gewinnen, wollen dort nicht mehr plump blockieren wie der ungarische Premier Viktor Orban. Sie spielen auch nicht mehr mit der Idee eines EU-Austritts, wie es die deutsche AfD noch tut – Meloni, Le Pen und Co. wollen, viel schlimmer, die EU nach Kräften erst ausnutzen und dann von innen aushöhlen, um ein anderes Europa zu schaffen: weniger liberal, weniger geeint, für den eigenen Machterhalt auch weniger rechtsstaatlich, protektionistisch, nationalistisch, abgeschottet.

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EU-Korrespondent Christian Kerl. © FMG | FMG

Diesen Umbau der Union müssen Proeuropäer nach Kräften verhindern, solange es noch möglich ist. Sie dürfen den Rechtsaußen jetzt nicht auch noch die Hand reichen, schon gar nicht im Parlament. Christdemokraten und Kommissionspräsidentin von der Leyen als Wahlsieger spielen mit dem Feuer, wenn sie weiter überlegen, mit Rechtsradikalen zu kooperieren, um neue Mehrheiten zu organisieren.

Was es jetzt braucht, ist ein breites Bündnis der Proeuropäer

Jetzt gibt es nur einen Weg: Gebraucht wird im neugewählten EU-Parlament ein breites Bündnis der Proeuropäer – für die Wahl der Kommissionspräsidentin und darüber hinaus, auch als Gegengewicht zum Rechtsruck im Rat. Leicht wird das nicht. Von der Leyen muss nach ihren abenteuerlichen Wahlkampfschwenks ihren Kurs erneut ändern, denn sie wird Zugeständnisse an die anderen Mitte-Parteien machen müssen.

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    Aber noch mehr tragen Sozialdemokraten, Liberale und Grüne eine große Verantwortung, bei ihren Forderungen nicht zu überziehen. Die Hoffnung mancher Christdemokraten jedoch, mit Kooperationsangeboten an Meloni und andere ließe sich das rechte Lager spalten, ist naiv. Solche Versuche würden nur dazu beitragen, die radikalen Kräfte salonfähig zu machen. Nein, es ist höchste Zeit, mit klarer Haltung rote Linien zu ziehen – das vereinte Europa muss schon zu den Neuwahlen in Frankreich klarmachen, was auf dem Spiel steht.

    Kippt auch noch Frankreich spätestens bei den Präsidentschaftswahlen 2027 ganz nach rechts, bekommen Rechtspopulisten über den Rat der Mitgliedstaaten eine Blockademöglichkeit, die die EU im Kern verändern würde. Deutschland hätte keinen Partner mehr im Führerstand der EU, sondern einen unkooperativen Nachbarn, der nicht mal mehr vor feindseligen Tönen zurückschreckte. Die EU, wie wir sie kennen und schätzen, käme an ihr Ende. Es steht viel auf dem Spiel in den nächsten Monaten.