Rafah. Hilfsorganisationen senden Wasser, Lebensmittel und Zelte in den Gazastreifen, doch die Kartons werden oft abgefangen – und verkauft.

Die jüngsten Nachrichten von Mustafa lassen erahnen, in welcher Hölle er und seine Familie leben. Er schickt Bilder seines komplett zerstörten Hauses in Rafah. „Wir haben eine sehr schlimme Situation erreicht“, schreibt er. „Es scheint, dass der Tod besser und barmherziger wäre.“ Im Gazastreifen lägen die Temperaturen jetzt bei 40 Grad, es gebe nicht ausreichend Wasser. Es sind aber nicht nur der nicht enden wollende Krieg und die allgegenwärtige Zerstörung, die Mustafa verzweifeln lassen.

Der Palästinenser klagt darüber, dass im Gazastreifen Menschen mit dem Verkauf von Hilfsgütern Profit machen. „Wir werden von zwei Schwertern getötet“, hatte er schon Mitte Mai geschrieben, „dem Schwert des militärischen Konflikts und dem Schwert der Korruption.“ Mustafa ist nicht der richtige Name des Mannes, dessen Nachrichten uns seit mehreren Wochen erreichen. Sein richtiger Name darf nicht veröffentlicht werden, das würde ihn in Lebensgefahr bringen.

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Mustafa hat für verschiedene Hilfsorganisationen gearbeitet. Er berichtet regelmäßig über die Situation im Gazastreifen, über sein persönliches Schicksal, über die sich zuspitzende humanitäre Situation. Im Mai, nachdem der Grenzübergang zu Ägypten geschlossen worden war und die israelischen Streitkräfte mit ihren Operationen in Rafah begonnen hatten, berichtete er uns von vielen Menschen, die verzweifelt in das nördlich gelegene Chan Yunis drängten.

Rafah: Verwesende Leichen liegen unter zerstörten Häusern

„Die humanitäre Lage in Chan Yunis ist sehr, sehr schlecht“, schrieb er. „Mehr als eine Million Menschen sind ohne Wasser, Nahrung, Unterkunft oder Krankenhaus.“ Verwesende Leichen lägen unter den Trümmern zerstörter Häuser, die Gefahr von Krankheiten steige stetig. Es sind Schilderungen, die sich mit denen von Mitarbeitern ausländischer Hilfsorganisationen decken.

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In Chan Yunis stehen auch Kinder an, um ein paar Gramm Mehl oder Reis zu bekommen. © AFP via Getty Images | EYAD BABA

Seit der Schließung des Grenzübergangs Rafah kommen deutlich weniger Lieferungen von Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern in den Gazastreifen. „Wir können den wachsenden Bedarf nicht decken“, schreibt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP). In Ägypten stauen sich Hunderte Lastwagen, Hilfe kommt derzeit nur aus Israel über die Grenzübergänge Kerem Schalom und Erez West in den Gazastreifen hinein.

Ein Teil der Hilfsgüter erreicht aber erst gar nicht die Hilfsbedürftigen, sondern wird abgefangen und auf dem Schwarzmarkt zu überhöhten Preisen verkauft. Darauf deuteten bereits im März Videos in den sozialen Medien hin, auf denen zu sehen war, wie Händler Kartons verschiedener Hilfsorganisationen zum Verkauf anbieten. Mustafa bestätigt diesen Verdacht. Auch er schickt Bilder von Lastwagen mit Hilfslieferungen, die von bewaffneten Männern umringt sind. Die Fotos habe er selbst gemacht.

Rechte israelische Aktivisten zerstören Hilfsgüter für Gaza

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    Die Täter? „Banditen aus bestimmten Familien und Hamas-Gruppen“

    Er wolle den „Diebstahl von Hilfslieferungen“ dokumentieren, schreibt Mustafa. „Ich habe Lastwagen mit Hunderten deutschen Kartons gesehen, die von Hamas-Männern verkauft wurden.“ Auf Bildern, die er im Mai geschickt hat und die er auf dem Basar von Rafah gemacht haben will, sind Kartons mit der Aufschrift „German humanitarian assistance“ (deutsche humanitäre Hilfe) zu sehen, die mit Konservendosen gefüllt sind. Pro Karton würden diese Hilfslieferungen für umgerechnet 50 Euro verkauft, behauptet Mustafa. Zelte für obdachlos gewordene Menschen kosteten umgerechnet 600 Euro.

    Namentlich nennt Mustafa das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als eine von Diebstählen betroffene Organisation. Das DRK unterstützt die notleidenden Menschen im Gazastreifen nach eigenen Angaben unter anderem mit Familienzelten, Decken, Schlafsäcken, Schlafmatten, Trinkwasserbehältern, Hygienepaketen und medizinischem Material. Zu möglichen Diebstählen von Hilfsgütern lägen „keine Erkenntnisse“ vor, so ein Sprecher auf Anfrage.

    Ein palästinensischer Wissenschaftler, der bis zum Ausbruch des Krieges im Gazastreifen lebte und in engem Kontakt mit Menschen dort ist, sagt jedoch, dass „30 bis 40 Prozent der Hilfslieferungen“ abgefangen würden. Auch dieser Mann will namentlich nicht genannt werden. Gestohlen würden die Hilfsgüter von „Banditen, die bestimmten Familien angehören, und von Hamas-Gruppen, die zu Banditen geworden sind“. Die Zahl der Diebe sei massiv gestiegen.  

    Diebstahl von Hilfsgütern: Rechtsextreme Siedler zerstörten Kartons

    „Aufgrund des Krieges herrscht Chaos“, erklärt er. „Es gibt Monopole von Händlern, die alles in der Hand haben und jetzt enorme Gewinne machen.“ Für ein Kilo Mehl oder Reis müssten die Menschen umgerechnet bis zu 25 Euro zahlen. „Eine Zigarette kostet auf dem Schwarzmarkt bis zu 40 Euro.“ Der Wissenschaftler weist aber auch darauf hin, dass die Hilfslieferungen aus Jordanien über Israel von rechtsextremistischen jüdischen Siedlern erschwert würden.

    Auch aus der Luft wird der Gazastreifen mit Hilfsgütern versorgt, doch die humanitäre Lage ist dennoch desolat.
    Auch aus der Luft wird der Gazastreifen mit Hilfsgütern versorgt, doch die humanitäre Lage ist dennoch desolat. © AFP | -

    Tatsächlich sind Fälle dokumentiert, in denen Siedler Lastwagen mit Hilfslieferungen gestoppt und die Hilfsgüter beschädigt oder zerstört haben. Das US-Außenministerium hat deshalb Sanktionen gegen eine rechtsextreme Gruppierung verhängt. Am vergangenen Freitag teilte das Ministerium mit, die Organisation „Tzav 9“ sei eine „gewalttätige israelische Gruppe, die Konvois mit lebensrettender humanitärer Hilfe für palästinensische Zivilisten im Gazastreifen blockiert und beschädigt hat“. 

    Hoffnung für die Menschen im Gazastreifen macht jetzt die Ankündigung der israelischen Armee, jeden Tag eine „taktische Pause militärischer Aktivitäten einlegen“ zu wollen. Somit könnten künftig vielleicht mehr Hilfsgüter über den Grenzübergang Kerem Schalom in den Gazastreifen gelangen.

    Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl