Moskau. In Russland drohen bald hohe Strafen für die Verbreitung von Infos über Kinderlosigkeit. Das kann gefährlich werden – besonders für Frauen.
Glücklich leben ohne Kind? Natürlich darf frau das auch in Russland. Nur Werbung für diesen Lebensstil zu machen, das ist neuerdings verboten. Nach dem russischen Parlament hat nun auch der Föderationsrat ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Unter Strafe steht jetzt die Verbreitung von Informationen über kinderlose Menschen im Internet, in den Medien, im Kino und in der Werbung. Soziale Netzwerke müssen entsprechende Äußerungen moderieren. Sonst droht die Aufnahme in das Register verbotener Websites. Geldstrafen bis zu umgerechnet 50.000 Euro können verhängt werden.
Was da allerdings genau verboten wurde und wie das geahndet werden soll, das ist unklar. Kritiker befürchten ähnliche Schwammigkeit wie beim schon länger existierenden Verbot sogenannter „LGBT-Propaganda“. Demnach ist es verboten, das Leben und die Rechte queerer Menschen in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Nun könnte es auch unmöglich werden, öffentlich zu sagen, dass man bewusst auf Kinder verzichtet.
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Im Netz gebe es „oft Respektlosigkeit gegenüber Mutterschaft und Vaterschaft sowie Aggression gegenüber schwangeren Frauen und Kindern“, begründete Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende des russischen Parlaments, das Gesetzesvorhaben. Es war lange umstritten. Die juristische Umsetzung wird schwierig werden, zitiert das Portal rbc.ru die Rechtsanwältin Ekaterina Tyagay: „Kann etwa die Geschichte einer Frau in sozialen Netzwerken über eine schwierige Geburt oder eine Wochenbettdepression unter solche Propaganda fallen?“ Ihre Kollegin Maria Jakowlewa meint: „Der Gesetzentwurf könne als Teil einer umfassenderen staatlichen Strategie zur Stärkung traditioneller Werte und zur Unterstützung der Bevölkerungspolitik betrachtet werden.“
Oppositionspartei: Verbot wird Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben
Das sieht auch die Oppositionspartei „Jabloko“ so. Das Verbot werde Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben, befürchtet man dort. „Unter dem Vorwand eines Propagandaverbots kann tatsächlich ein Verbot der Diskussion wichtiger medizinischer, psychologischer, sozioökonomischer Probleme von Müttern und Familien mit Kindern eingeführt werden.“
Vor allem auf die Medien in Russland wird sich das Verbot auswirken, vermutet laut rbc.ru der Anwalt Wladislaw Gubko: „Ein solches Gesetz wird zwei Geschichten für russische Fernsehserien und Werbespots hinterlassen, in denen Familienbeziehungen erwähnt werden: Familien mit Kindern werden mit Sicherheit glücklich sein, und Familien ohne Kinder werden darüber mit Sicherheit in Trauer ertrinken“, glaubt Gubko. „Es ist wahrscheinlich, dass alles, was Kinderlosigkeit öffentlich als gesellschaftlich akzeptables Verhalten einstuft, als Propaganda angesehen wird.“
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Zum einen ist das neue Gesetz ganz im Sinne von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der das Land in eine Gesellschaft umbauen will, in der andere Werte als die traditionellen keine Rolle mehr spielen sollen. Zum anderen hat es aber auch einen realen Hintergrund. In Russland fehlen Arbeitskräfte. Nicht nur wegen der vielen Kriegstoten in der Ukraine und den Hundertausenden, die das Land inzwischen verlassen haben. Seit Jahren geht die Geburtenrate zurück. Rund 600.000 Kinder wurden im ersten Halbjahr 2024 geboren, 16.000 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Glaubt man Statistiken, ist die Geburtenrate in Russland die niedrigste seit 25 Jahren.
Familienpsychologin: „Angst vor Strafe und Verboten ist keine wirksame Motivation“
Aber kann man Frauen per Gesetz zum Gebären zwingen? Nein, meint Lübow Liss, Familienpsychologin und selbst Mutter von fünf Kindern. „Angst vor Strafe und Verboten ist keine wirksame Motivation. Die Zahl der glücklichen und erfolgreichen Schwangerschaften wird durch den Druck des Staates nicht steigen.“ Zunehmen könnte allerdings die Zahl heimlicher und illegaler Abtreibungen, „was schwerwiegende Folgen für die Gesundheit von Frauen haben kann und dazu führen kann, dass sie in Zukunft nicht mehr schwanger werden können, selbst wenn der Wunsch und die Gelegenheit dafür bestehen.“
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Andere Maßnahmen wären erforderlich, sagen Fachleute. Zum Beispiel Änderung bei staatlichen Zahlungen für Eltern. Umgerechnet ein paar Tausend Euro erhalten Familien einmalig für das erste und das zweite Kind. Nimmt man den geringen Verdienst vieler Menschen in Russland hinzu, reicht das bei weitem nicht für die Miete einer größeren Wohnung, die nach der Geburt erforderlich wäre. „Heute haben wir in 32 Regionen einen Durchschnittslohn, der zwei Prozent unter dem Existenzminimum für eine Familie liegt, die aus zwei Berufstätigen und zwei Kindern besteht“, sagt Liliya Ovcharova, die Direktorin des Instituts für Sozialpolitik an der russischen „Higher School of Economics“.
Laut einem Dekret von Präsident Putin über die „nationalen Ziele“ bis 2036 soll die Armutsquote bei kinderreichen Familien auf acht Prozent gesenkt werden. Ob das erreichbar sein wird in einem Land, das 40 Prozent seiner Einnahmen für Militär und nationale Sicherheit ausgibt? Das neue Gesetz jedenfalls wird die Geburtenrate nicht ankurbeln und allenfalls zu absurden Situationen führen, so die Rechtsanwältin Ekaterina Tyagay: „Wird etwa ein Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau in der U-Bahn, in dem es emotional darum geht, dass sie aufgrund der schwierigen finanziellen Bedingungen nicht auf die Geburt eines Kindes vorbereitet sind, als Propaganda für Kinderlosigkeit betrachtet?“