Seoul. Kang Chun-hyeok floh als Jugendlicher aus Nordkorea. Heute lebt er in Südkorea und ärgert Kim Jong-un – und verdient auch noch daran.
Dieses Bild hat es in sich: Ein Kind steht vor einer Wand, an die eine Ankündigung geschrieben ist. Mit roter Farbe, die wie Blut aussieht, werden die Menschen des Ortes auf eine nahende Vollstreckung hingewiesen: Es gehe um „Kriminelle, die gegen sozialistische Gesetze verstoßen haben.“ Ein 30-jähriger Verbrecher werde um 7.15 Uhr gerichtet. Der mit überkreuzten Beinen vor dieser Botschaft stehende Junge, den man im Bild nur von hinten sieht, scheint den Text mit Interesse zu lesen. Wird er hingehen?
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„Er ging hin“, sagt Kang Chun-hyeok und schaut starr an die Wand eines Cafés in Seoul, der Hauptstadt von Südkorea. „Der Junge war ich, vor ungefähr 30 Jahren. Und das, was ich sah, war grauenvoll.“ Gefesselt sei der angeklagte Mann dagestanden, Offizielle schossen auf ihn ein, bis er umgefallen sei. Die Schaulustigen, die wie der junge Kang Chun-hyeok gekommen waren, sahen nur zu. „Viele dürften nicht gewusst haben, was der Mann überhaupt verbrochen hatte“, sagt Kang heute. Aber die Botschaft sei allen klargewesen: Wer die Gesetze Nordkoreas bricht, werde schwer büßen.
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Für Kang Chun-hyeok sind solche Erinnerungen ein Blick in eine mittlerweile ferne Vergangenheit. Seit 2001 lebt der 37-jährige in Südkorea, aus seinem Geburtsland Nordkorea floh er schon 1998. Aber wenn er an die schweren Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat denkt, kocht es in ihm bis heute, sagt er. Und auf eine Weise halte ihn dies am Leben: „Aus meinen Bildern vorm inneren Auge mache ich ja regelmäßig Bilder, die sich auch andere Menschen ansehen können.“ Und immer wieder verkauft er sie, manchmal für viel Geld.
Kang Chun-hyeok: „Meine Heimat ist Korea“
Kang Chun-hyeok hat quasi Glück im Unglück: Unglück, weil er in einem Land aufwuchs, das nicht nur zu den ärmsten der Welt zählt, sondern dessen Ein-Parteiensystem rund um eine totalitär geführte Kommunistische Partei kaum Freiheiten zulässt, gegen Andersdenkende rabiat vorgeht. Glück aber, weil ihm als Kind mit seinen Eltern die Flucht gelang, und er sich später im demokratischen Südkorea als Kunstschaffender etablieren konnte. Kang ist heute der wohl bekannteste Künstler im Süden, der sich aus eigener Erfahrung über die Lage in seiner Heimat auslässt.
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Aber was ist überhaupt seine Heimat? Seit 1950 befinden sich Nord- und Südkorea formal im Kriegszustand miteinander. Die Halbinsel, die von 1905 bis 1945 unter japanischer Herrschaft gestanden war, hatte sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einen kommunistisch regierten Norden und einen kapitalistischen Süden aufgeteilt. 1950 griff der Norden den Süden an, im dreijährigen Koreakrieg starben Millionen Menschen. Weil danach nur ein Waffenstillstand vereinbart wurde, ist die Grenze bis heute hochmilitarisiert. Die Anspannung ist auf beiden Seiten hoch.
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„Meine Heimat ist Korea“, sagt Kang Chun-hyeok nur. Er wünsche sich die Wiedervereinigung, allerdings hinter liberalen Vorzeichen, also unter Achtung von Menschenrechten und der Garantie von Freiheit. Dass er diese vor allem im Norden vermisst hat, ist in seinen Werken nicht zu übersehen. Da sind aus der Erinnerung gezeichnete Bilder öffentlicher Erschießungen. Eine Verfolgungsjagd zwischen flüchtenden Familien und der Polizei. Oder Offizielle, die unter der nordkoreanischen Flagge sitzen, zwar mit Gewehren bewaffnet, aber mit Hunger im Bauch.
Künstler aus Nordkorea: Aufgewachsen im Versteck
„Alles davon ist Lebensrealität“, bezeugt Kang, der selbst eine leidvolle, jahrelange Flucht hinter sich hat. Der Künstler holt aus: „In den 1990er Jahren gab es in Nordkorea eine Hungersnot. Weil unser Heimatort in der Grenznähe zu China und Russland ist, schlich sich mein Vater über die Grenze, um dort Geld zu verdienen. Aber er wurde erwischt und kam in ein Arbeitslager. “ Als der Vater wieder daheim war, packte die Familie spontan ihre Sachen und machte sich mit einer Handvoll Nachbarn auf nach China. „Es war nachts, Grenzpolizisten sahen und verfolgten uns.“
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Auf der anderen Seite der Grenze ging das Versteckspiel weiter. „Wir kamen bei einer Bauernfamilie unter, arbeiten für sie und erhielten als Gegenleistung ihren Schutz.“ Dort erlebte Kang Chun-hyeok seine Pubertät und fand zu seinem Kindheitshobby zurück: Das Malen. Bald wusste er es zu monetarisieren. „Wie andere Teenager wollte ich rauchen, aber mir fehlte das Geld. Eines Tages sprach ich den Besitzer des Schreibwarenladens an, bei dem ich immer Stifte und Papier kaufte. Ich bot ihm an, Poster zu zeichnen und sie bei ihm zu verkaufen. Die Gewinne könnten wir uns teilen.“
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Der Ladenbetreiber willigte ein. Und wenige Tage später war er überrascht, wie gut sich die Poster des Jungen verkauften. „Ich zeichnete alles Mögliche, von Portraits beliebter K-Popstars bis zu Skizzen von Tieren. Und nach kurzer Zeit nahm ich damit mehr Geld ein als mein Vater, der mittlerweile auf einer Baustelle arbeitete!“ Das Leben hätte so weitergehen können, Kang Chun-hyeok sprach schon Chinesisch. Doch eines Tages wurde die Familie von der chinesischen Polizei erwischt. „Wieder entkamen wir.“ Wie viele Flüchtlinge aus Nordkorea kamen sie über Vietnam nach Kambodscha.
Seine Gemälde verkaufen sich besonders gut da, wo man wenig über Nordkorea weiß
Von dort aus gelang die Ausreise nach Südkorea. Aber das Leben in Freiheit stellte sich als eines ohne Sicherheit heraus. „Meine Skills waren plötzlich nutzlos. Handzeichnungen von K-Popstars brauchte hier ja niemand!“ Kang Chun-hyeok, dessen Eltern sich nach der Ankunft im Süden zuerst schieden, bevor sie später beide verstarben, begann auf dem Bau zu arbeiten. Doch als er sozialen Anschluss gefunden hatte, ermutigten ihn Freunde, es doch wieder mit der Kunst zu versuchen. „Ich bewarb mich bei der Hongik Universität in Seoul, der führenden Hochschule für Kunst.“ Und erhielt einen Platz.
Seit dem Abschluss sind mittlerweile sieben Jahre vergangenen. Die Aufs und Abs seiner Karriere als Künstler reichen aber weiter zurück. Schon als Student stellte Kang bei der Ostrale in Dresden aus, wodurch er das Gemälde, das ihn als Jungen zeigt, wie er die Ankündigung einer Hinrichtung liest, für rund 7.000 Euro verkauft habe. Im Jahr 2014 trat er zudem in der südkoreanischen TV-Castingserie „Show Me The Money“ auf, wo er auch als Rapper Aufsehen erregte. Seine Texte klagten nicht nur die Menschenrechtslage im Norden an, sondern auch die volatilen Beziehungen zwischen Nord und Süd.
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Doch mit der Zeit bemerkte der aufstrebende Künstler, dass seine Arbeiten eher dort beeindrucken, wo man über Nordkorea besonders wenig weiß. „Meine Werke kommen im Ausland viel besser an als in Korea.“ Im Süden der Halbinsel sind die Schicksale, die Kang Chun-hyeok zu Bildern verarbeitet, eben nicht einzigartig. Rund 30.000 Geflüchtete aus dem Norden leben in Südkorea. „Würde ich in die USA ziehen, könnte ich wahrscheinlich wesentlich mehr Geld verdienen“, vermutet Kang, der bis heute gelegentlich Schichten auf dem Bau schiebt, um sein Einkommen zu sichern.
„Wenn die Konservativen regieren, ist das für mich besser“
Zumal die Beliebtheit seiner Kunst auch politischen Schwankungen in Südkoreas Zwei-Parteiensystem unterworfen sei. „Wenn die Konservativen regieren, ist das für mich besser“. Die Konservativen bevorzugen gegenüber Nordkorea generell eine härtere Gangart, während die liberale Demokratische Partei eher den Austausch sucht. „Als zwischen 2017 und 2022 die Demokratische Partei an der Macht war, wurde ich kaum noch zu Ausstellungen eingeladen.“ Kang vermutet, dies habe mit dem Versuch der damaligen Regierung zu tun, die Beziehungen zum Norden zu verbessern.
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Seit 2022 regiert mit Yoon Suk-yeol ein Konservativer, der gegenüber Nordkorea – das seinerseits regelmäßig Raketentests durchführt – wiederholt mit militärischer Abschreckung droht. An neuerlichem Austausch mit Norden ist die gegenwärtige Regierung in Seoul kaum noch interessiert. Für Kang Chun-hyeok seien damit auch in Südkorea wieder gute Zeiten angebrochen. „Ich werde jetzt endlich wieder mehr beachtet!“ Im Sommer hat er auch an einer Sendung namens „No Money No Art“ teilgenommen, bei der die Werke von Künstlern von Sammlerinnen beurteilt werden.
Ein Bild von Kang Chun-hyeok wurde daraufhin für gut 5.000 Euro verkauft. Es zeigt zwei Föten, die offenbar im selben Bauch schwimmen und doch getrennt bleiben. Der obere ist rot gemalt, der untere blau, verbunden sind sie aber durch eine Nabelschnur. „Nord und Süd gehören zusammen“, erklärt Kang. Doch auch wenn ihm seine Erfahrungen ein künstlerisches Fortkommen ermöglichen, habe er zu solchen Werken ein ambivalentes Verhältnis.
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„Lieber würde ich Bilder von der Natur malen, oder etwas Abstraktes wie Gerhard Richter.“ Aber was bleibe ihm übrig? „Solange Korea geteilt ist, muss meine Kunst mit Korea zu tun haben.“ Auch deshalb will Kang Chun-hyeok Seoul nicht verlassen, selbst wenn er es anderswo als Künstler womöglich schneller zu Rum bringen würde.